15. August 2016 2 Likes

Augen auf dort oben

Wir sollten öfter an die Leute denken, die das Weltraumprogramm wirklich am Laufen halten

Lesezeit: 4 min.

Wir brauchen mehr Überwachung.

Mehr Kameras, mehr Ortungssoftware, mehr automatische Bildanalyse. Mehr schlaue Menschen, die auf Computerbildschirme starren. Für die Sicherheit des gesamten Planeten ist es unerlässlich, dass wir in bessere und präzisere Technologien investieren. Schließlich wollen wir wissen, was um uns herum geschieht.

Ich weiß, was Sie jetzt denken. Ich sehe Sie schon vor Ihrer Tastatur oder Ihrem Touchpad sitzen, kurz davor, einen wütenden Tweet oder empörten Kommentar zu schreiben. Wie kommt ein eigentlich liberal denkender Science-Fiction-Autor dazu, mehr Überwachung zu fordern? Keine Angst, ich habe mich nicht in Donald Trump verwandelt. Was menschliche Wesen angeht, bin ich durchaus für weniger Überwachung. Vor der Linse meiner Webcam befindet sich zwar noch kein Klebebandstreifen, aber ich bin mir durchaus bewusst, dass Regierungen und Konzerne uns umfassender und in weitaus unangenehmerer Weise überwachen, als sie es eigentlich sollten. Nein, ich meine eine andere Art der Überwachung. Richten wir unsere Kameras nicht auf unsere Mitbürger. Richten wir sie auf den Ort jenseits der Erdatmosphäre, an dem 700.000 gefährliche Objekte derzeit den Planeten umkreisen.

Weltraumüberwachung ist nicht gerade schlagzeilenträchtig. Im Gegensatz zum jüngsten SpaceX-Raketenstart darf die Entdeckung eines bis dato unbekannten Stück Weltraummülls keine Zuschauermillionen erwarten. Und doch sind solche Forschungen überaus wichtig, schließlich haben wir bei unseren Bestrebungen, den Weltraum zu bereisen und die Erde zu kartographieren, eine unvorstellbare Menge von Weltraumschrott im Orbit hinterlassen: Teile von Satelliten und Raketen, von der ISS abgefallene Trümmer, Schaumstoffbrocken - das alles treibt da draußen durch die Gegend.

Und das ist ein Problem. Ein Riesenproblem. Ein kleines Schaumstoffstück verhält sich im Weltraum ganz anders als auf der Erde. Wenn ich aus ein paar Metern Abstand mit einem Schaumstoffbrocken auf Sie werfe, wird er von Ihrem Kopf abprallen; und womöglich würden Sie mir dann erbost hinterherlaufen, immerhin hat Ihnen gerade ein Wildfremder Schaumstoff an den Kopf geworfen. Doch würde Sie derselbe Brocken mit einer Geschwindigkeit treffen, wie Sie in der Umlaufbahn üblich ist, würden Sie wohl so schnell nicht wieder aufstehen. Selbst der kleinste Lacksplitter kann ein Loch in ein Raumschiff schlagen. Die traurige Pressekonferenz, wenn ein winziger Splitter Elon Musks nächster Rakete den Garaus gemacht hat, will ich mir gar nicht vorstellen.

Natürlich verlassen viele dieser Objekte die Umlaufbahn und verglühen in der Atmosphäre. Das Dumme ist nur: Ständig kommt neuer Müll hinzu. Die vernünftigste Lösung wäre, einfach mit diesem Blödsinn aufzuhören, aber da dies so bald nicht geschehen wird, betreiben die NASA, die Europäische Weltraumorganisation und andere Partner Weltraumüberwachung.

Wenn wir den Müll also schon nicht verhindern können, sollten wir wenigstens wissen, wo er ist und wie schnell er sich bewegt. Diese Überwachungsprogramme, auf die ich gleich noch näher eingehen werde, beobachten alle Objekte, die größer als ein Baseball sind. Wie gesagt, nicht gerade die aufregendste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Die Weltraumüberwachung auch nur in Grundzügen zu beschreiben, setzt die Auseinandersetzung mit einem Wust verschiedenster Abkürzungen voraus. In Amerika beispielsweise untersteht das United States Space Surveillance Network (USSSN) dem Joint Functional Component Command for Space (JFCCSPACE), einer Abteilung des United States Strategic Command (USSTRATCOM). In Europa koordiniert das Space Surveillance Test & Validation Centre (SSTVC) den SSA und SST und …

Ich könnte jetzt den ganzen Tag so weitermachen, aber ich glaube, es genügt zu sagen, dass viele helle Köpfe damit beschäftigt sind, das, was jenseits der Atmosphäre vor sich geht, sehr genau zu beobachten. Nun ja, vielleicht könnten sie noch jemanden brauchen, der etwas peppiger formuliert. Hier würde ich mich ganz selbstlos zur Verfügung stellen. Als Beispiel die Beschreibung der ESA, wie diese Objekte beobachtet werden: „Wenn das Objekt bereits bemerkt wurde, werden mit den Beobachtungsdaten die bisherigen Informationen über dieses Stück Weltraumschrott aktualisiert. Wenn in einem bestimmten beobachteten Segment ein neues Objekt auftaucht, wird das übrige Sensorennetzwerk dazu herangezogen, diesen Neuankömmling näher zu Erfassen und genauere Daten über seine Umlaufbahn in Erfahrung zu bringen. Danach wird das Objekt dem Katalog aller erfassten Objekte hinzugefügt. Dieser umfasst viele Tausend Objekte, die regelmäßig und mit höchster Präzision observiert werden müssen. Unser Tagesgeschäft besteht also darin, Beobachtungen in einem Katalog festzuhalten.“ Nicht gerade Hollywood-Material, oder? Und es regt auch nicht unbedingt die Fantasie an. Schon klar, dass es echte Wissenschaft ist, aber irgendwie könnte man tödliche Lacksplitter doch aufregender verpacken.

Wie dem auch sei, ich bin froh, dass es diese wunderbaren Programme und die Menschen dahinter gibt. Ihre brillante Arbeit wird viel zu wenig gewürdigt. Dabei ist sie gerade heute wichtiger denn je, denn ohne Satelliten wären wir aufgeschmissen. Wenn Sie also das nächste Mal Pokémon Go spielen und das „GPS aktiv“-Symbol auf dem Display sehen, halten Sie kurz inne und denken Sie an die armen Teufel, die das ganze System am Laufen halten. Ohne sie werden Sie das nächste Pikachu nie fangen.
 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Sein Debütroman „Tracer“ (im Shop) ist im Heyne Verlag erschienen.

 

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