Beseelte Piktogramme
Die „New Yorker“-Vignetten von Richard McGuire („Hier“)
Schon in seiner außergewöhnlichen Zeitreise-Bildergeschichte „Hier“ hat der amerikanische Grafiker, Illustrator, Animationsfilmer, Skulpteur, Kinderbuchautor, Comickünstler und einstige Liquid Liquid-Bassist Richard McGuire bewiesen, dass er auf engstem Raum Großes schaffen kann. Das so eben bei Dumont erschienene haptische kleine Büchlein „Erzählende Bilder“ mit seinen sequenziellen Strichzeichnungen aus dem berühmten „New Yorker“ zeigt im Anschluss an ein Vorwort des belgisch-amerikanischen Literaturkritikers Luc Sante erneut das ganze Können des 1957 geborenen Mr. McGuire, den die zeichnerische Darstellung und zugleich Kompression von Zeit seit jeher fasziniert.
Die Vignetten-Folgen der grafischen Kurzgeschichtensammlung, zwischen deren traditionsreichen Einzelbildern im „New Yorker“-Magazin sonst viele Seiten liegen, streifen dank McGuire ihre dekorative Funktion ab und werden in piktogrammatischer Einfachheit und reduzierter Formensprache zu kleinen wundersamen Reihen und sogar Erzählungen: Über das Aufzugfahren, eine Dreiecksbeziehung im Besteckkasten, einen Flamingo und einen Regenschirm, die Blickwinkel eines Bilderrahmens, eine Parkuhr und ihre Freunde im Winter, einen Wohnhausflur, eine anthropomorphisierte Version von Schere-Stein-Papier, Berührungen von Tablet oder Brief, eine neugierige Taube, schwatzhafte Badezimmerartikel, eine Insektenmodenschau oder das Fahren mit der U-Bahn.
Wie wenige Striche McGuire braucht, um den Dingen und Begebenheiten nicht nur narratives Leben einzuhauchen, immens variable Geschichten zu erzählen und zwischen den Bildern die comic-typische Illusion von Bewegung in Zeit und Raum entstehen zu lassen, ist absolut beeindruckend. Da kann man wirklich sagen: Formvollendet – oder man spricht gleich von großer sequenzieller Kunst innerhalb des modernen Minimalismus.
Richard McGuire: Erzählende Bilder • Dumont, Köln 2016 • 584 Seiten • Hardcover: 25,00 Euro
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