1984 nach dem Arabischen Frühling
Der Roman „Das Tor“ von Basma Abdel Aziz
Die 1978 in Kairo geborene Basma Abdel Aziz (im Shop) ist nicht nur Schriftstellerin und bildende Künstlerin, sondern auch Psychiaterin, die sich auf die Behandlung von Folteropfern spezialisiert hat. In ihrer ägyptischen Heimat kämpft sie gegen die von der Regierung unterdrückten und verletzten Menschenrechte – das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut bezeichnete sie 2018 als wichtigsten Influencer der öffentlichen Meinung in den arabischen Ländern. 2013 veröffentlichte Abdel Aziz nach mehreren Sachbüchern und Studien ihren Debütroman, der von der internationalen Presse als eine Mischung aus George Orwells „1984“ und Franz Kafkas „Der Prozess“ gefeiert wurde und der nun als „Das Tor“ bei Heyne auf Deutsch erschienen ist.
Das fernöstliche Land, in dem „Das Tor“ einsetzt, wird im Buch nie konkret benannt – die Vermutung, dass es sich dabei um ein fiktionalisiertes Ägypten handelt, ist jedoch nicht allzu tollkühn oder so weit hergeholt. Nach dem Schändlichen Ereignis – der mit Gewalt niedergeschlagenen Revolution – verschanzen sich die Machthaber hinter dem Tor, vor dem die Bürger trotz Hitze und Gebrechen eine gefühlte Ewigkeit in einer Schlange stehen und warten, da sie für jede Kleinigkeit das passende Dokument brauchen – selbst ein Mann, der bei den Aufständen eine Kugel verpasst gekriegt hat und diese nicht herausoperiert bekommt, weil die Regierung das Geschehen in der Öffentlichkeit umgeschrieben und den Einsatz von Waffengewalt an jenem Tag aus der Wirklichkeit getilgt hat. Das Tor und wer dahinter steht, beherrscht alles, überwacht alles, kontrolliert alles, definiert alles. Es ist erdrückend, es ist ermüdend, und es ist enervierend, und trotzdem geben viele Menschen die Hoffnung nicht auf …
Abdel Aziz’ „Das Tor“, auf Englisch übrigens als „The Queue“ erschienen, ist eine moderne politische Fabel aus dem arabischen Raum und über das alltägliche Leben in diesem, und dabei mindestens so sehr Gesellschaftsportrait wie Dystopie. Obwohl einen der Plot und die Protagonisten des schmalen Romans nicht im Sturm erobern oder sich auf ewig ins Gedächtnis einbrennen, spürt man bei der Lektüre doch früh, was Abdel Aziz einem sagen und vermitteln will: welche Zustände, Gedanken und Probleme ihr Sorge bereiten, und wie schwierig das Leben angesichts der gewaltigen, allesumfassenden Macht von undurchschaubaren, unermüdlich mahlenden, zermalmenden und zermürbenden Regierungsapparaten ist. Gut möglich, dass „Das Tor“ auf einer anderen Ebene gerade auch deshalb bei seinen westlichen Leser jetzt noch mehr Eindruck macht, weil der Kampf gegen Corona uns viele der Freiheiten geraubt hat, die bis dahin selbstverständlich für uns waren.
Es kommt nicht allzu viel arabische Literatur – geschweige denn arabische Science-Fiction – an der Zensur in den jeweiligen Ländern vorbei und ferner bei uns an. Doch bereits mit Werken wie „Die 33. Hochzeit der Donia Nour“ von Hazem Ilmi, „Exit West“ von Mohsin Hamid und nun „Das Tor“ von Basma Abdel Aziz ist es allemal möglich, sich über die Berichte im Fernsehen oder im Internet hinaus ein Bild vom Leben, Denken, Bangen, Leiden und dennoch auch immer Hoffen in den vom arabischen Frühling berührten Ländern zu machen.
Basma Abdel Aziz: Das Tor • Aus dem Arabischen von Larissa Bender • Heyne, München 2020 • 283 Seiten • E-Book: 11,99 Euro (im Shop)
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