Exit West
Mohsin Hamids Roman über Liebe, Krieg, Migration und die Zukunft
Mohsin Hamid wurde im pakistanischen Lahore geboren, studierte in Harvard und Princeton und lebt nach Aufenthalten in New York und London mit seiner Familie heute wieder in seiner Geburtsstadt, während seine Bücher in über dreißig Sprachen übersetzt, für Preise nominiert und sogar verfilmt werden. „Exit West“, das bei Dumont in der Übersetzung von Monika Köpfer als Hardcover und als E-Book vorliegt, ist sein neuester, in vielerlei Hinsicht aktuellster Roman. Darin beschäftigt sich Hamid, für den der Trend zur Nostalgie einer Tyrannei des Gestern gleichkommt, mit dem geopolitischen Thema und gesellschaftlichen Brandherd Migration, wobei es dem internationalen Erfolgsautor keineswegs um Dystopie oder Utopie geht, sondern um alternative Vorstellungen und Perspektiven für die Zukunft.
Dennoch beginnt sein schmaler Roman irgendwo im Nahen Osten in einer namenlosen Stadt in einem namenlosen Land, wo die Regierung einen Bürgerkrieg gegen extremistische Fundamentalisten führt, der ganze Städte verdunkelt und verwüstet. In einer dieser Städte, wo der Schatten des Krieges immer weiter vorrückt und immer stärker drückt, verlieben sich Saeed und Nadia ineinander und trotzten den widrigen Umständen. Als es gar nicht mehr auszuhalten ist und jeder Tag eine gewaltige Gefahr für ihrer beider Leben darstellt, folgt das junge Paar den Gerüchten über die magischen, pechschwarzen Türen, die auf der ganzen Welt auftauchen und immer an einen anderen Ort führen. Saeed und Nadia bezahlen für einen Durchgang und verlassen das Kriegsgebiet, nur um in das Chaos eines griechischen Flüchtlingslagers zu stolpern. Doch selbst in den reichen, pulsierenden Metropolen der Welt ist es nicht besser, ja kommt es sogar zu noch mehr Gewalt, wenn die Einwanderer, paramilitärische Migrationsgegner und Regierungstruppen mit Robotern und Drohnen aufeinanderprallen. Obwohl die Städte und ihre alten und neuen Bewohner sich nichtsdestotrotz unweigerlich verändern …
Natürlich denkt man bei der Lektüre von „Exit West“, die von langen Schachtelsätzen, einer allgemeinen Poesie und Märchenhaftigkeit sowie viel Einsicht in das imperfekte Wesen der Menschen geprägt ist, immer wieder an den furchtlosen Erzähler Salman Rushdie – dabei wurde Mohsin Hamid viel mehr von den britischen Fantasy-Vätern C. S. Lewis (die Türen!) und J. R. R. Tolkien (das Selbstverständnis einzelner Völker!) geprägt. So oder so verändert sich sein Roman ungefähr in der Mitte von einer modernen, politischen und ungeheuer sympathischen Liebesgeschichte in Zeiten des Krieges in einen zukunftsorientierten, ungebrochen politischen und menschlichen Science-Fiction-Titel. Liebe, Krieg, Migration, Veränderung, Anpassung – das sind die großen Themen dieses brandaktuellen Romans, der den Zeitgeist einfängt, ohne sich von ihm einschüchtern zu lassen. Und selbst wenn Hamid keine einfache oder saubere Patentlösung anbieten kann, so versinken er und sein Buch doch nicht in Hoffnungslosigkeit oder dystopischen, depressiven Windungen. Stattdessen verwandelt er das apokalyptische Gefühl, das über weiten Teilen seines Werks und der Flüchtlingskrise schwebt, in die Gewissheit, dass die Menschheit bisher jede Krise überstanden und irgendwann wieder eine Zukunft gesehen hat, völlig egal, welche Konflikte sie austrug, welche Blessuren sie davontrug oder wie sich das Antlitz der Welt unterwegs veränderte.
„Exit West“ hat gerade mal 220 Seiten, muss aber als der subtilste und zugleich brisanteste, aktuellste und wichtigste Science-Fiction-Roman des Jahres betrachtet werden.
Mohsin Hamid: Exit West • Dumont, Köln 2017 • 220 Seiten • Hardcover: 22,00 Euro
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