13. Oktober 2016 3 Likes

Aliens und Chaos in Afrikas Megacity

„Lagune“ – Ein Roman von Hugo-Gewinnerin Nnedi Okorafor

Lesezeit: 3 min.

Seit Jahren erhält Nnedi Okorafor, amerikanische Autorin mit nigerianischen Eltern und Wurzeln, alle möglichen Preise für ihr fantastisches Werk. Wenn Lauren Beukes die Anlaufstelle für topaktuelle Science-Fiction mit südafrikanischem Einschlag ist, dann ist Okorafor die Adresse für wichtigen zeitgenössischen Genre-Stoff mit westafrikanischem Hintergrund und Flair. Ende 2014 erschien im Original ihr Roman „Lagoon“, den Okorafor verfasste, weil sie sich über „District 9“ geärgert hat. Wer bereits länger um das englischsprachige Buch herumgeschlichen ist, wird überrascht gewesen sein, als Cross Cult die deutsche Übersetzung „Lagune“ ankündigte, die nun pünktlich zur Frankfurter Buchmesse als E-Book und als ausgesprochen schön gestaltetes Paperback erschienen ist, dessen Cover-Motiv der amerikanische Comic-Künstler Greg Ruth sogar exklusiv für die deutsche Ausgabe angefertigt hat. Für einen Moment wähnt man sich da schon im Science-Fiction-Leser-Himmel.

Vom Himmel kommen auch die Besucher, die eines Tages im Meer vor Lagos landen, der bevölkerungsdichtesten Stadt Afrikas. Die Fremden aus dem All sind strukturell und ideologisch außergewöhnlich und bringen Veränderung und Erneuerung. Gleichzeitig bringen sie das Schlechteste in Vielen und das Beste in Wenigen zum Vorschein, weshalb die nigerianische Megacity für eine Weile in Gewalt und Chaos versinkt. Eine Meeresbiologin, deren Ehe zu zerbrechen droht, ein aufrichtiger Soldat und ein bekannter Rapper mit ungeahnten Fähigkeiten müssen unterdessen den Kontakt zwischen der gejagten Botschafterin der Außerirdischen und dem kranken nigerianischen Präsidenten herstellen, während der Ozean in der Lagune von riesigen Schwertfischen und anderen Seemonstern in Besitz genommen wird. Den Meeresbewohnern geht es also prächtig. Aber sind die Menschen noch zu retten?

Bei der Beschreibung des Erstkontakts und seiner Folgen zeigt die 1974 geborene Nnedi Okorafor den ambivalenten afrikanischen Alltag und die Probleme des heutigen Nigeria, in dem Religion, Mythen und Aberglaube parallel zu Cyber-Betrug und Smartphones eine ebenbürtige Rolle spielen. Neben ihren Protagonisten, die alle dem digitalen Zeitalter angehören und dennoch an Meerhexen und anders glauben, gibt es außerdem viele Figuren, die trotz der Kürze ihrer Auftritte für das moderne Lagos und den Einfluss des Kontakts mit dem Außerirdischen stehen – so entsteht auf einer eigenen Ebene das Bild einer Stadt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Okorafors Science-Fiction mutet zudem abwechselnd realistisch, magisch-realistisch und geradezu fantastisch an, was ebenfalls auf die afrikanischen Quellen ihrer Imagination zurückzuführen ist. Ihrem Igbo-Erbe trägt die Amerikanerin, die obendrein als Professorin und Lehrerin für kreatives Schreiben arbeitet, mit vielen Slang-Begriffen Rechnung, und oft setzt sie auf lautmalerische Soundwords, wie man sie in SF-Romanen dieser literarischen Güteklasse eher selten ‚zu hören’ bekommt. Alles sehr interessant!

Nach dem World Fantasy Award für den besten Roman 2011 hat Okorafor erst vor Kurzem den Hugo Award für die beste Novelle erhalten – umso schöner, dass sich deutschsprachige SF-Liebhaber jetzt erstmals selbst ein Bild von ihrem Schaffen mit afrikanischem Ausgangspunkt machen können. „Lagune“ könnte manchmal einen etwas klareren Fokus haben, doch der Erzählmagie dieses für uns Westeuropäer doppelt exotischen Erstkontaktromans, der Afrika atmet, seine Menschen und Strukturen kennt und beschreibt und wirklich faszinierend andersartige Aliens auffährt, kann man sich dennoch kaum verschließen. Nach der Lektüre versteht man jedenfalls, wieso Altmeisterin Ursula K. Le Guin (im Shop) von Okorafor begeistert ist und wieso die Film/TV-Rechte an „Lagune“ Ende September verkauft worden sind. Cross Cult hat für 2017 zwei weitere Romane von Nnedi Okorafor angekündigt, und auf die darf man sich freuen. Und wer weiß? Vielleicht verirrt sich wegen des Settings ja sogar der eine oder andere Fan der boomenden Afrika-Krimis in die fantastischen Gefilde und wird verändert

Nnedi Okorafor: Lagune • Cross Cult, Ludwigsburg 2016 • 410 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 18,00 Euro

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