5. Dezember 2022 3 Likes

„Birgit Lutz: Nachruf auf die Arktis“

Ein wunderbar vielfältiges Buch, das weit mehr ist als eine deutliche Mahnung an uns alle

Lesezeit: 3 min.

Abseits einer wohlwollenden Klientel ist es anscheinend das Los vieler sogenannter „Klimaschutzbücher“, erstmal auf ein geteiltes Echo zu stoßen. Während die einen befürchten, nur einen weiteren Datensatz vorgesetzt zu bekommen, der sie mit unüberwindlichen Hürden zu gewaltigen Desastern ohnmächtig zurücklässt, sieht der andere Teil eher einen Panikmacher, der ihnen Verzicht predigt, wo doch der gewohnte Alltag mit all seinem Konsum lieber ungestört bleiben möge.

Es ist leider nicht ganz von der Hand zu weisen, dass noch viele Menschen sich in die beiden eben genannten Kategorien einordnen lassen, wobei es – das gilt es immer wieder zu betonen – immer mehr Leute gibt, die sich zum Thema Klima und Umwelt bewusst informieren, handeln wollen und damit der Ohnmacht etwas entgegensetzen. Und zwar gerade auch dann, wenn die Hinterfragung gesellschaftlich liebgewonnener Rituale wie Fleischkonsum, Flugreisen und so mancher schwieriger Einkauf im noch zu plastifizierten Supermarkt anstehen.

In diesem Spannungsverhältnis ein Buch zu veröffentlichen, das nicht so leicht als vorhersehbarer Teil der mittlerweile langen Liste an Werken zum Thema angetan werden kann, ist durchaus schwierig. Doch der Journalistin Birgit Lutz ist am Beispiel der Arktis genau dies (und weit mehr) gelungen. Lutz, die aufgrund ihrer jahrelangen Expeditionserfahrung in der Region und einschlägigen Reportagen wie „Heute gehen wir Wale fangen“ oder „Quer durch Grönland“ über viel persönliche Erfahrung mit der Arktis und ihren Entwicklungen verfügt, nimmt uns in „Nachruf auf die Arktis“ (im Shop) mit auf eine packende Reise nach Spitzbergen. Ein polares Gebiet, das so reich an natürlicher Faszination ist, dass es eine Freude ist, den erfrischend persönlichen Erfahrungen der Autorin zu folgen und sich den vielen Bildeindrücken innerhalb des Buches hinzugeben.

Doch Lutz legt hier eben nicht nur einen kenntnisreichen Abenteuerreport vor, sondern geht, stets von sich ausgehend, der Frage nach, was zu den dramatischen Veränderungen in der Region geführt hat, die beispielsweise Permafrostböden schmelzen lassen und den Lebensraum zahlreicher Lebewesen massiv verändern. Mit viel Feingefühl für die Sache verfällt Lutz dabei nie in einen platt belehrenden bis anklagenden Ton, sondern sucht nach Verständnis für diejenigen, die einerseits den Klimawandel immer noch nicht als das entscheidende Problem dieses Jahrhunderts aufgenommen haben, oder andererseits an der Last der Aufgabe leiden.

„Nachruf auf die Arktis“ bleibt aber auf dieser Ebene nicht stehen. Mittels zahlreicher, dank verständlichem Informationsmaterial zusätzlich sehr gut aufbereiteter Interviews mit teils bekannten ExpertInnen wie Stefan Rahmstorf, Katharina von Bronswijk, Claudia Kemfert oder Volker Quaschning zu Themenbereichen wie Klimawandel, Ökonomie, Psychologie oder Philosophie, zeichnet Lutz sehr präzise nach, wie wir als Gesellschaft mit falschen Mythen (z. B. neue Energien ist doch viel zu teuer), Vorbehalten (z. B. Freiheitsverlust) oder auch unseren eigenen Ängsten („Ich kann als Einzelperson doch nicht wirklich etwas verändern.“) umgehen können.

So ist dieses Buch eben nicht nur ein weiterer Aufklärer. Es schafft Hoffnung, indem es immer ebenso die persönlich menschliche Seite des Themas Klima- und Umweltschutz beleuchtet (auch aufseiten der Wissenschaftler) und konkret Chancen aufzeigen will, gemeinsam auf Politik, Medien oder noch unentschlossene Teile unserer Gesellschaft einzuwirken, um sich damit, wie Lutz ebenfalls mithilfe guter Recherchen untermauert, gegen Lobbyismus und eine immer unverantwortlichere Verschleppung notwendiger Wandlungsprozesse zu stemmen.


Birgit Lutz. Foto © Boris Storz

Wer aber will, kann „Nachruf auf die Arktis“ als reich bebilderte Reise zu einem der faszinierendsten Orte der Welt lesen, der in den Ausführungen der Autorin so lebendig wie in einer Fernsehdokumentation vor den eigenen Augen aufscheint. Vielleicht wäre gerade deshalb auch ein anderes Cover passender gewesen, aber im Sinne der Sache ist es wohl verständlich, auf das doch etwas abgegriffene Eisbärenmotiv mit all seinen emotionalen Facetten gesetzt zu haben. Doch dies nur am Rande.

Um daher das Wesentliche nochmal unmissverständlich auf den Punkt zu bringen: Wenn Sie ein hervorragend aufbereitetes Buch lesen wollen, das sowohl informativ, verständlich, persönlich und verständnisvoll auf die größte Herausforderung der Menschheit für die nächsten Jahrzehnte eingeht, dann lesen Sie unbedingt „Nachruf auf die Arktis“. Denn Hoffnung gibt es noch genug – auch dank Bücher wie diesem.

Birgit Lutz: Nachruf auf die Arktis • Sachbuch • btb, München 2022 • 496 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 18,00 • im Shop

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