Der ölige Traum
Die DDR-Alternativwelt-Utopie „Schwarzes Gold aus Warnemünde“
Im Osten nichts Neues? Von wegen! In ihrem gerade im Aufbau Verlag erschienenen Roman „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ blicken der Journalist und Kolumnist Harald Martenstein und der Theater- und Hörspiel-Autor Tom Peuckert in eine Alternativwelt, in der die DDR am 9. November 1989 die Erdöl-Wende erfährt und zur kommunistischen Supermacht wird.
In dieser neuen Deutschen Demokratischen Republik, deren Öl-Boom nach Honeckers Rücktritt selbstverständlich nicht ohne Intrige abgelaufen ist, fungieren der 1953 in Mainz geborene Martenstein und der 1962 in Leipzig geborene Peuckert selbst als Protagonisten – unangepasste Freunde und Gelegenheits-Enthüllungsjournalisten, die einerseits ihre systemkritischen Reportagen veröffentlichen und dafür einiges an Ärger kriegen, und die andererseits gleichzeitig trotzdem auf der sozialistischen Welle der kontrollierten Bequemlichkeit surfen.
Genug, worüber es sich zu berichten lohnt, findet sich in der neuen DDR der sozialistischen Superlative allemal: Der paradiesische Osten prosperiert, die Gastarbeiter stammen aus dem verarmten, kapitalistischen Westen, wo man ganz scharf ist auf die Wiedervereinigung mit den reichen Onkels und Tanten aus der DDR. Allerdings fließt nicht allein das schwarze Gold, für dessen Gewinnung die Ostsee und Rügen verseucht werden, sondern auch die rote Ideologie. Grundeinkommen, keine Steuern, gefiltertes DDR-Internetz, Tragphone, Kati Witt als Femme fatale und Moderatorin des Dschungelcamps zur politischen Rehabilitation; Spione und Kunstdiebe, Gregor Gysi als talkshow-gestählter Kulturminister, Uli Hoeneß als Manager von Dynamo Dresden, Hartmut Mehdron als frustgeplagter Chef von Robotron, dem Apple der DDR; die Demontage der Truppe von Jogi Löw durch die DDR-Kicker im Finale von Rio 2014; der im Westen in Ungnade gefallene, im Osten zum Super-Wirtschaftsminister beförderte Karl-Theodor zu Guttenberg; und natürlich Angela Merkel, die als junge Frau in Haft landet und schließlich ins Exil geht.
Geschichten wie „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ können ins Auge gehen und unter Umständen mächtig peinlich werden. Martenstein und Peuckert finden aber die Balance zwischen witziger Realwelt-Satire und der üblichen Parallelwelt-Faszination, wenn der bekannte Strom der Historie umgeleitet wird. So skizzieren die Autoren das überzeugende, heitere Bild einer DDR im kontrafaktischen Geschichtsverlauf, das in erster Linie für Nicht-Genre-Leser gedacht ist, jedoch auch für echte Science-Fiction-Fans und eingefleischte Anhänger des Alternativwelt-Sujets funktioniert. Die vielseitigen Reportagen (ergänzt durch z. B. ein herrlich albernes 99-Fragen-Interview mit Kulturminister Gysi), auf denen die episodenhafte Handlung hauptsächlich ruht, sind außerdem hervorragend geschrieben und höchst unterhaltsam, während der gerade mal 260 Seiten knappe Roman ganz allgemein erfreulich knackig daherkommt und von Länge und Ton her genau richtig ist.
Wer sich schon immer gefragt hat, was wäre, wenn die DDR durch die Erdöl-Wende eine schwarz-rot-goldene Ära betreten hätte, wird mit dem kurzweiligen Parallelwelt-Panorama „Schwarzes Gold aus Warnemünde“ viel Spaß haben. Und auch wer sich die Frage noch nie gestellt hat, sollte unbedingt mal reinlesen …
Harald Martenstein & Tom Peuckert: Schwarzes Gold aus Warnemünde • Aufbau, Berlin 2015 • 256 Seiten • € 19,55
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