9. November 2015 3 Likes

Ein letzter Ritt auf der Sternenschildkröte

Terry Pratchetts finaler Scheibenwelt-Roman „Die Krone des Schäfers“

Lesezeit: 3 min.

Am 12. März 2015 ist Sir Terry Pratchett nach schwerer Krankheit im Alter von 66 Jahren viel zu früh gestorben und ließ eine flache und eine runde Welt zurück, die seine kluge Art und seine gescheiten Bücher schmerzlich vermissen. Jetzt ist Pratchetts letzter zu Lebzeiten fertiggestellter Roman „The Shepherd’s Crown“ in der Übersetzung von Regina Rawlinson als „Die Krone des Schäfers“ keine drei Monate nach dem Original-Release bei Manhattan auf Deutsch erschienen.

Tiffany Weh, die kleine große Hexe aus dem hügeligen Kreideland am Fuß der Spitzhornberge, steht im Mittelpunkt des letzten Romans, der auf der mannigfaltig fantastischen Scheibenwelt angesiedelt ist, die auf den Schultern von vier gewaltigen Elefanten ruht, die wiederum auf dem mächtigen Rücken der Sternenschildkröte Groß A’Tuin stehen und durch die eisige Schwärze des Alls getragen werden. Tiffany bekommt einen Lehrling, muss sich mit Gender-Fragen und Generations-Konflikten herumschlagen und obendrein ein schweres Erbe antreten – und ein weiteres Mal der Finsternis aus dem Märchenland der grausamen Elfen die Stirn bieten, die gar nicht begeistert davon sind, dass mit der Eisenbahn ein Pferd aus dem unter den Elfen verhassten Metall durchs Reich der elenden Menschen schnaubt  …  

Im Nachwort erklärt Pratchetts langjähriger Assistent Rob Wilkins, dem Sir Terry seine letzten Romane aufgrund seiner nachlassenden Gesundheit diktieren musste, dass der englische Bestseller-Autor mit der Vorliebe für Schlapphüte zum Schluss nicht mehr die Zeit hatte, solange an seinem letzten Buch zu feilen, wie er das für gewöhnlich tat. Das erklärt unter anderem, wieso „Die Krone des Schäfers“ im Vergleich zu den letzten Romanen von der Scheibenwelt wesentlich kürzer ausgefallen ist und großzügiger gesetzt werden musste – man spürt, dass unter normalen Umständen Pratchett hier und da noch ein paar Abschnitte mehr eingebaut hätte, um etwa einer neuen Figur noch etwas mehr Raum zu geben. Aber darum geht es letztlich überhaupt nicht. Erst recht nicht darum, ob das jetzt der lediglich fünftbeste Hexen-Roman ist, oder ob er es überhaupt in die Top-20 der besten Scheibenwelt-Romane schafft, oder eben nicht. Mal ehrlich, wen interessiert’s?

Terry Pratchett hat seinen Figuren und seinen vielen Fans unter schwierigen Bedingungen ein Abschiedsgeschenk gemacht und dabei die Brücke geschlagen zu den bisherigen Hexen-Romanen, angefangen mit „Das Erbe des Zauberers“, dem ersten Roman um die unerschütterliche Nicht-Oberhexe-aber-doch-Anführerin-der-Hexen-die-keine-Anführerin-Haben Oma Wetterwachs – mit jenem ersten Hexen-Roman von 1987 gelangte Pratchett nach dem albernen Auftakt-Zweiteiler „Die Farben der Magie“/“Das Licht der Fantasie“ in sein Fahrwasser und fand ferner seinen Rhythmus und unvergleichlichen Stil aus Humor, Menschenkenntnis und Weisheit.

In seinem letzten Scheibenwelt-Roman macht Pratchett zudem noch einmal deutlich, wieso die Hexen ihm und so vielen Lesern besonders am Herzen lagen, allen voran eine bestimmte alte und eine bestimmte junge Hexe. Außerdem bekommen viele Lieblingsfiguren eine letzte kleine oder ein paar größere Szene: Logischerweise die Hexen um Oma Wetterwachs, Nanny Ogg und Tiff, die rauflustigen Kobolde vom Clan der Wir-Sind-Die-Größten, Erzkanzler Mustrum Ridcully und Ponder Stibbons vom Apparat der Unsichtbaren Universität, Ankh-Morporks stets gut informierter Patrizier Lord Vetinari, und natürlich der, der am Ende immer zugegen ist: Der Tod.

„Die Krone des Schäfers“ ist von der Widmung („Für Esmeralda Wetterwachs. Pass auf dich auf“) bis zur letzten Seite eine bittersüße Angelegenheit und fällt beim Pratchett-Jünger auf melancholischen Nährboden – als Roman über den Tod, über Verlust, über Legenden und darüber, dass alle anderen nach dem Tod eines Menschen weitermachen müssen und genau das auch tun (schier unmöglich, da nicht allegorisch irgendetwas hineinzuinterpretieren, wenn man sich vor Augen führt, unter welchen Umständen dieses Buch entstand. Pratchett klingt jedoch niemals bitter oder verzweifelt – im Gegenteil). Wie so oft in Pratchetts Büchern, geht es also um Wandel und Veränderung. Doch obwohl wir in all den Jahren und all den Romanen dank Terry Pratchett alles über die schönen, die schlimmen, die komischen und die in jedem Fall unvermeidlichen Seiten des Wandels gelernt haben, bleibt es nach Beenden der Lektüre ein unwirkliches bis schreckliches Gefühl, sich bewusst zu machen, dass fortan niemals mehr ein neuer Pratchett, ein neuer Scheibenwelt-Roman erscheint. Umso wertvoller ist die Discworld-Backlist, die immerhin aus 41 Romanen und diversen zusätzlichen Büchern mit Scheibenwelt-Bezug besteht.

Danke noch mal für alles, Sir Terry.

Terry Pratchett: Die Krone des Schäfers • Manhattan, München 2015 • 383 Seiten • 17,99 Euro

Foto © Christian Thiel

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