26. Juni 2023 1 Likes

„Isaac und das Ei“ von Bobby Palmer

Eine Begegnung mit einem seltsamen Ei – und der eigenen Trauer

Lesezeit: 3 min.

Als wir Isaac Addy in Bobby Palmers Roman „Isaac und das Ei“ (im Shop) zum ersten Mal begegnen, steht er betrunken auf einer Brücke, die über einen rauschenden kalten Fluss führt. Dort hält sich Isaac allerdings nicht auf, um in aller Frühe die englische Natur im Wasser oder am Ufer zu bewundern. Nein, der Kinderbuchillustrator steht auf dieser Brücke, um den Mut dafür aufzubringen, in die Fluten zu springen. Denn Isaac will sich das Leben nehmen, da er einfach nicht mit dem Tod seiner Frau Mary und dem damit verbundenen Schmerz klarkommt. Doch dann, auf dieser kalten Brücke, in diesem eisigen Moment, hört Isaac einen durchdringenden, fremdartigen Schrei, und statt seinen ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen, folgt Isaac dem Geräusch, die Böschung hinab. So findet er ein ca. 50 Zentimeter hohes, pelziges Ei in einem Nest und nimmt es kurzerhand mit nach Hause.

In seinem vernachlässigten Heim stellt Isaac erschrocken fest, dass das Ei schwarze Cartoon-Augen, lange schlabbrige Arme, einen ziemlich merkwürdigen Essensgeschmack und ein lautes Organ zum Schreien hat. Kein Spoiler: Ein solches Wesen macht Isaacs Situation natürlich kein bisschen leichter. Eher viel, viel komplizierter. Vor allem, wenn beunruhigte Verwandte, besorgte Nachbarn oder die alarmierte Polizei vor der Tür stehen. Und dennoch, nach und nach freunden sich Isaac und die eierförmige Kreatur miteinander an. Mehr noch: Das Ei hilft Isaac bei der einen oder anderen schmerzhaften Erkenntnis bezüglich seines Verlusts, seiner Trauer und seines Umgangs mit all dem. Aber „Isaac und das Ei“ hält mehr als diese ungewöhnliche, bereichernde Freundschaft für den verstörten Witwer bereit – nicht zuletzt ein paar wirklich überraschende Wendungen, die letztlich selbst die bisherige Prämisse dieses Romans in einem komplett anderen Licht erscheinen lassen könnten …


Bobby Palmer. Foto © Ricardo Marques

Der Engländer Bobby Palmer lebt mit seiner Frau in einem Dorf in Sussex, schreibt als freischaffender Journalist für „GQ“, „Men’s Health“, „Time Out“ und „Cosmopolitan“. Bei „Isaac und das Ei“, im Original „Isaac and the Egg“ und von Felix Mayer ins Deutsche übertragen, handelt es sich um Palmers Romandebüt. Man kann seinen Einstand als Buchautor vor allem am Anfang wie schrullige Fantastik und SF in der Manier von vielleicht Jasper Fforde (im Shop) lesen, und Palmer selbst geizt auch keineswegs mit Referenzen an „E. T. – Der Außerirdische“ und einige andere Klassiker mit entsprechenden Begegnungen zwischen verblüfften Menschen und fremden Lebensformen. Aber vor allem anderen ist „Isaac und das Ei“ ein fiktives Buch über den sehr realen Schmerz durch Verlust und Tod, und wie er einen aus der Bahn werfen, die gesamte Wirklichkeit, das ganze Dasein, die eigene Persönlichkeit komplett verändern kann, bis man nichts mehr klar sieht.

Dennoch schafft Bobby Palmer es, der Geschichte von Isaac und seinem eierförmigen Therapiehelfer immer wieder Wärme, Leichtigkeit und Humor abzugewinnen, es beim Lesen trotz allem nie zu finster werden zu lassen, im Gegenteil. Darüber hinaus nutzt Palmer einige postmoderne typografische Spielereien, angefangen bei Formsatz oder Schreien in seitenfüllenden Großbuchstaben. Ob dieser literarische Ansatz, die gesamte Story, die Twists oder der gute, nie zu aufdringliche therapeutische Subtext – „Isaac und das Ei“ ist immer etwas mehr und etwas anders, als man erwartet.

Bobby Palmer: Isaac und das Ei • Roman • Aus dem Englischen von Felix Mayer • Heyne, München 2023 • 320 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook und Hörbuch Download • Preis des Hardcovers: € 22,00 • im Shop

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