6. Januar 2023

„Kafka und der Tote am Seil“ von Jon Steinhagen

Weird Fiction mit Meta-Kniff: Autor Franz Kafka und Riesenkäfer Gregor Samsa ermitteln

Lesezeit: 3 min.

Vorneweg: Wie weird mögen Sie ihre Weird Fiction, also ihre schräge Fantastik zwischen den Genres? So richtig schräg und seltsam, absonderlich und merkwürdig? So abgefahren, dass Sie allein schon aufgrund der Prämisse eines Romans ungläubig den Kopf schütteln und verblüfft sagen, dass Sie sich so etwas nie und nimmer hätten vorstellen können? Dann ist Kafka und der Tote am Seil“ (im Shop) von US-Autor Jon Steinhagen genau das richtige Buch für Sie.

Immerhin beginnt dieser Weird-Fiction-Meta-Krimi damit, dass der heute weltberühmte tschechische Schriftsteller Franz Kafka (eigentlich 1883–1924) nicht im Alter von gerade mal vierzig Jahren in einem Sanatorium an Tuberkulose stirbt, sondern zu seiner eigenen Verblüffung frisch und munter aus dem Krankenbett steigt – und prompt von einer riesigen, sprechenden Kakerlake namens Gregor Samsa aus seinem eigenen Schaffen zurück in der Welt der Lebenden begrüßt wird. Mehr noch, Käfer und Kafka werden daraufhin noch im Krankenzimmer des genesenen Autors von einem eigenartigen Inspektor als Privatermittler einer entsprechend mysteriösen Agentur eingestellt und damit beauftragt, eine verdächtige Fake-Selbstmord-Serie durch Erhängen im Wien des Jahres 1924 aufzuklären, obwohl Kafka nun nicht gerade Sherlock Holmes ist, gleichwohl Käfer Samsa einen sehr guten John Watson abgeben würde …

Kafka übernehmen Sie – oder doch lieber ein Kafka für alle Fälle? Der amerikanische Autor Jon Steinhagen, der für seine Arbeit als Theater-Drehbuchschreiber in Chicago schon mit einigen Preisen bedacht wurde, macht aus Kafkas berühmtester Erzählung „Die Verwandlung“ von 1912 etwas ganz und gar Unerwartetes. Und wenn man als Genre-Leser heutzutage etwas zu schätzen weiß, dann doch einen Autor, der einen mit einer frischen, frechen Idee zu überraschen vermag. Außerdem hat Steinhagen nicht nur ein ordentliches komödiantisches Timing oder einen guten Sinn für Dialoge, was beides seinen Erfahrungen als Stückeschreiber zugeschrieben werden darf – darüber hinaus versteht er es, das Bizarre und Unglaubliche so zu beschreiben, dass man es als Romanwirklichkeit problemlos anerkennt.


Jon Steinhagen

Und natürlich macht der Meta-Faktor von „Kafka und der Tote am Seil“ – im englischsprachigen Original schlicht „The Hanging Artist“ – neben Sprache und Humor einen Großteil der Faszination aus. Es ist einfach zu köstlich, dass Kafka zur Romanfigur und mehr oder weniger zu einem Hardboiled-Detektiv im alten Wien wird, und sein bekannter Protagonist als sein Sidekick durch die Handlung krabbelt. Ein paar Kniffs hängen an dieser Konstellation sowie der Handlung um die Selbstmorde und den Henker-Künstler noch dran, aber viel wichtiger ist das skurrile Vergnügen in den wortgewandten Szenen mit Kafka und Samsa. Wer es, um zum Anfang zurückzukommen, in Sachen Weird Fiction gar nicht merkwürdig genug haben kann, und seine Krimis fantastisch, grotesk, schräg und humorvoll schätzt, wird mit Jon Steinhagens „Kafka und der Tote am Seil“ einige Freude haben.

Jon Steinhagen: Kafka und der Tote am Seil • Roman • Aus dem Englischen von Simon Weinert • Penhaligon, München 2022 • 432 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 18,00 • im Shop

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