17. Mai 2020 4 Likes

Künstliches Bewusstsein in der Endzeit

M. G. Wheatons knackiger SF-Roman „Emily Eternal“

Lesezeit: 2 min.

Im Kanon der Science-Fiction bringt zu hoch entwickelte künstliche Intelligenz der Menschheit für gewöhnlich die Apokalypse und das Ende. In M. G. Wheatons Roman „Emily Eternal“ (im Shop) ist es genau andersherum: Emily, die schlauste und ressourcenreichste KI der Welt, steht als Einzige zwischen der Menschheit und ihrer Auslöschung …

Die am MIT erschaffene Emily trumpft dabei nicht nur als künstliche Intelligenz auf, sondern als künstliches Bewusstsein. Dank Chips an den Hälsen ihrer Mitmenschen und den allgegenwärtigen Kameras wird Emily aus ihrer digitalen Welt in die Wirklichkeit projiziert – und gaukelt den Sinnen ihres Gegenübers vor, dass er sie sehen, hören, berühren, fühlen und riechen kann. Gleichzeitig vermag sich Emily in den genetischen Aufzeichnungen und Erinnerungen aller zu bewegen, die ihr mittels Chip Zugang gewähren. Emily könnte die psychologische Therapie verändern und die Zukunft neu definieren … wenn die Menschheit denn eine Zukunft hätte. Doch die Sonne brennt aus, ihre verheerenden Stürme sind höchstens noch ein paar Monate entfernt, die Endzeit verändert bereits die irdische Zivilisation. Wenn Emily der Bitte der US-Präsidentin folgt und ihre moralischen Bedenken überwindet, könnte sie die Rettung der Menschheit sein. Wie auch immer sie sich entscheidet, wird sie und ihre Freunde garantiert zu Zielscheiben jener machen, die im Angesicht des Weltuntergangs zu allem bereit sind.


M. G. Wheaton. Foto © Morna Ciraki Photography

M. G. Wheaton arbeitete in der IT-Branche, ehe er sich als Autor selbstständig machte und z. B. für den „Hollywood Reporter“ oder „Total Film“ schrieb. Inzwischen hat er mit Father Luis Chavez einen eigenen Romankrimihelden erschaffen, die Comic-Serie „Cleaners“ kreiert sowie Drehbücher für Videogames und Filme verfasst. „Emily Eternal“ ist sein erster Science-Fiction-Roman. Man spürt Wheatons IT-Know-How, und sein gut verbautes Wissen kommt dem Plot jederzeit zugute. Der in Texas geborene, heute in L. A. lebende Amerikaner erschafft nämlich auf wenigen Seiten eine sympathische KI-Protagonistin und Ich-Erzählerin, die er auf plausible Weise mit der physischen Welt interagieren lässt und die teilweise eine symbiotische Beziehung mit Chip-Trägern eingeht – Romanze inklusive. Und obwohl Wheaton mit dem Endzeit-Setting und dem actionreichen, weitführenden Roadmovie viel Stoff hat, wurde „Emily Eternal“ ein überraschend schlanker und kurzer Roman. Knackig und flott, ohne dass je etwas fehlt oder man etwas vermisst. Schön, dass nicht alle Autoren automatisch den dicken Wälzer anvisieren.

Durch die gegenwärtige Situation um und mit Corona erhält „Emily Eternal“ außerdem noch eine ganz aktuelle Dimension und Relevanz. Immerhin geht es im Buch nicht zuletzt um die Frage, wie weit Regierungen gehen und über wie viele Grundrechte sie sich hinwegsetzen dürfen, um in einer Ausnahmesituation Menschenleben oder gar die gesamte menschliche Spezies zu retten. Das macht Wheatons SF-Roman im Augenblick zu einer noch interessanteren und lesenswerteren Lektüre als ohnehin schon.

M. G. Wheaton: Emily Eternal • Heyne, München 2020 • 381 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.