Mit Charles Platt in die „Free Zone“
Ein Meta-Roman über Anarchie, Roboter, Mutanten, Aliens und vieles mehr
Nachdem zuletzt verstärkt die provokanten und pornografischen Werke von Charles Platt auf Deutsch erschienen sind, liegt im Memoranda Verlag nun Platts Science-Fiction-Roman „Free Zone“ als deutsche Erstausgabe vor. Platt veröffentlichte das Buch im Original 1989 und siedelte es 1999 an, also genau vor dem Jahrtausendwechsel. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Free Zone, eine anarchistische Republik inmitten von Los Angeles. Während sich die vielfältigen Bewohner der Freien Zone barrikadieren und mit dem Rest der feindlich gesinnten Stadt bekriegen, geht ihnen Freiheit und Selbstbestimmung über alles. Die ehemalige Söldnerin Dusty ist so etwas wie die inoffizielle Anführerin der Zone, wo jedoch alle Beschlüsse und Entscheidungen über Teleabstimmung geregelt werden. Aber auch Dustys Lover Thomas trägt mit seinen Hackerkenntnissen dazu bei, dass die Dinge in der Free Zone laufen, während der fiese Bürgermeister von L. A. seinen nächsten Angriff plant. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse plötzlich über diesen Konflikt hinaus: Ein Forscher bringt genetisch veränderte, sprechende Hunde und ein gefährliches Virus aus Asien in die Free Zone, Aliens landen auf der Erde, Mutanten und Höhlenmenschen tauchen auf, ein zeitreisender Roboter platzt in das Chaos und die Dinosaurier aus Atlantis ziehen in den Krieg …
Abgesehen von seinen hemmungslosen Underground-Kultbüchern wie dem eingangs angesprochenen „The Gas“ (1970) schrieb Charles Platt noch traditionelle SF-Romane, darunter „Asteroid der Ausgestoßenen“ (1967) und „Dämmerung über der Stadt“ (1977). Außerdem verfasste der 1945 geborene Engländer, der heute in den USA lebt, inzwischen praktisch keine SF mehr schreibt und zeitweise primär Artikel zum bekannten Tech-Magazin „Wired“ beisteuerte, mehrere Computer-Sachbücher. 1980 und 1983 trug er indes seine beiden preisgekrönten „Dream Makers“-Interviewbände mit bekannten Science-Fiction-Autoren zusammen – der erste davon kam 1982 als „Gestalter der Zukunft“ sogar auf Deutsch heraus; Platts kritischer Essayband „Loose Cannon“ (2001) über die Zukunftsliteratur brachte es dagegen bisher nie zu einer Übersetzung.
„Free Zone“ ersann Platt seinem sehr sympathischen Vorwort zum Roman zufolge als Reaktion auf die Anthologie „The Drabble Project“ (1988), in der er selbst, Terry Pratchett (im Shop), Neil Gaiman (im Shop), Brian W. Aldiss (im Shop), Arthur C. Clarke (im Shop), Bruce Sterling (im Shop), Stephen Baxter (im Shop) und andere Könner Science-Fiction-Kürzestgeschichten mit genau 100 Wörtern Umfang erzählten. Platt, von den textlichen Experimenten in Michael Moorcocks revolutionärem britischen SF-Magazin „New Worlds“ durch J. G. Ballard und Co. inspiriert, ging in seinem Drabble-Beitrag damals noch einen Schritt weiter und „stopfte“ 50 typische Begriffe der Science-Fiction in seine Story. Das brachte Platt, der u. a. als Grafiker an „New Worlds“ mitwirkte, zudem dazu, über einen ganzen Meta-Roman nachzudenken, der ähnlich viele Topics und Tropen der SF zwischen A wie Aliens und Z wie Zeitreise behandeln sollte. Das Ergebnis war „Free Zone“.
Vielleicht lässt einen Platts Vorwort zu viel erwarten, aber am Ende fehlt es „Free Zone“ vor allem an Tiefe, die man bei Meta-Fiktion irgendwie erwartet. Stattdessen liest man einen allerdings durchaus kurzweiligen und charmanten, auf altmodische Art handlungsorientierten SF-Roman, der trotz seiner vorsätzlichen Bestückung mit klassischen Genre-Elementen nie überfrachtet wirkt. Am verblüffendsten ist dabei, wie zeitlos oder aktuell Charles Platts „Free Zone“ einem beim heutigen Lesen an vielen Stellen im Angesicht von Klimawandel und trotz veralteter Hardware erscheint, wenn man bedenkt, dass das Buch vor über 30 Jahren entstand. Damit ist „Free Zone“ dann doch ein aus mehreren Gründen beachtlicher Science-Fiction-Eintopf, den es als Paperback mit Klappenbroschur, E-Book und – direkt beim Verlag – als Hardcover-Sonderausgabe in geringer Auflage gibt.
Cover-Abbildung: Michael Marrak
Charles Platt: Free Zone • Memoranda, Berlin 2020 • 310 Seiten • Paperback: 18,90 Euro
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