7. August 2022

Nachrichten aus dem Raketenzeitalter

Neu aufgelegt: Hardy Kettlitz‘ Überblick zu Leben und Werk von Ray Bradbury

Lesezeit: 4 min.

Es gibt vieles, was man der SF zugutehalten kann, doch eine übermäßige Neigung zu stilistischer Brillanz gehört gewiss nicht dazu. Ihre Texte sind meist so erzählt, dass sie sich widerstandsfrei lesen lassen; die verwendete Sprache dient allein dem Transport der Handlung und braucht daher kaum eigene Qualitäten zu entwickeln. Zu den wenigen Ausnahmen gehört Ray Bradbury, dessen Literatur sich ohnehin kaum in eine der bekannten Schubladen stecken lässt: SF, Kriminalgeschichte, Fantasy, Weird Fiction – es ist (fast) alles dabei. Wer Spaziergänge in seinem umfangreichen Werk unternehmen möchte, kann nun wieder auf den bewährten Werkführer „Poet des Raketenzeitalters“ von Hardy Kettlitz zurückgreifen, der überarbeitet in der Reihe SF Personality erschienen ist.

Ray Bradbury wird am 22. August 1920 in Waukegan (Illinois) geboren, begeistert sich früh für SF-Magazine und beginnt noch vor dem familiären Umzug 1934 nach Los Angeles, selbst zu schreiben. Er lernt neben Forrest J. Ackerman, Hannes Bok und Ray Harryhausen auch Robert A. Heinlein (im Shop) kennen, der ihm zu seiner ersten professionellen Veröffentlichung verhilft. Eine wichtige Freundin wird Leigh Brackett, mit der sich Bradbury regelmäßig trifft, um seine Geschichten mit ihr zu besprechen. Nach 1942 gelingt es ihm, immer mehr Stories zu verkaufen, die seinen Ruf als vielversprechender Autor unterstreichen. Bradbury heiratet die Buchhändlerin Marguerite McClure und veröffentlicht 1947 mit Dark Carnival – einer Sammlung phantastischer Erzählungen – sein erstes Buch. Grundsätzlich hätte der Autor gern einen weitere Kurzgeschichtenband folgen lassen, doch Romane galten bei Verlagen als zugkräftiger, und so fasste Bradbury seine feinsinnig-melancholischen Erzählungen über den roten Planeten unter dem Titel The Martian Chronicles (1950; dt. Die Mars-Chroniken) in „geschlossener“ Form zusammen. Typische Genrebausteine fehlen weitgehend, stattdessen überwiegt eine melancholische Atmosphäre, die das erfolgreiche Buch zu einem Klassiker macht. Im nächsten Jahr erschien die Sammlung The Illustrated Man (Der illustrierte Mann), gefolgt von The Golden Apples of the Sun (1953; Die goldenen Äpfel der Sonne), in der erstmals die für Bradbury typische Mischung aus phantastischen und nichtphantastischen Erzählungen umgesetzt werden konnte. Dies war genau die Linie, die ihn interessierte.

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1953 ist zugleich das Jahr, mit dem Bradburys bis heute populärstes Buch verbunden ist: Fahrenheit 451 (im Shop), von dem allein in Deutschland zwanzig Ausgaben (allerdings in nur zwei Übersetzungen) erschienen sind. Der Klassiker über einen dystopischen Staat, in dem Lesen verboten ist und die Feuerwehr ausrückt, um Bücher zu verbrennen, hat sich als zeitlos erwiesen: „Während das Fernsehen allmählich an seinen sinnlosen und vulgären Spielshows und Quizsendungen, an ‚Daily Soaps‘ und ebenso hohlem ‚Infotainment‘ erstickt, rückt der Tag des Feuerwehrmanns immer näher.“ (Brian W. Aldiss, im Shop) Und noch etwas stimmt nachdenklich: Bradbury wurde eines Tages darauf aufmerksam gemacht, dass Verlage in seinem Roman „von Auflage zu Auflage Textänderungen ohne Wissen des Autors“ vorgenommen hätten, wobei die Sprache „der jeweils gültigen ‚Political Correctness‘ angepasst“ worden sei. Dass dies ausgerechnet einem Text passiert, der von Zensur handelt, ist von kaum überbietbarer Ironie.

Bradbury sollte in den kommenden Jahrzehnten weiterhin Buch um Buch veröffentlichen; genannt seien Dandelion Wine (1957; dt. Löwenzahnwein), A Medicine for Melancholy (1959; dt. Medizin für Melancholie), I Sing the Body Electric! (1969; dt. Das Kind von Morgen) sowie der u.a. für Stephen King (im Shop) wichtige Horrorklassiker Something Wicked This Way Comes (1962; dt. Das Böse kommt auf leisen Sohlen). Doch er hat noch viel mehr geschrieben. Insgesamt kommt der Autor „auf rund 450 Kurzgeschichten und zehn Romane“, dazu gesellen sich Theaterstücke, Drehbücher, Essays und Gedichte. Diese lassen sich nur bedingt einem Genre zuordnen. Tatsächlich ist Bradburys Sinn für poetische bis nostalgische Stimmungslagen, die sich nicht selten Erinnerungen an die Kindheit verdanken, erheblich wichtiger als innovative Inhalte, mit denen er ab den 1960er Jahren ohnehin nicht mehr aufwarten konnte – sein Ideenfundus schien sich weitgehend erschöpft zu haben. Am 5. Juni 2012 ist er gestorben.

Dennoch gibt es gute Gründe, sich auch mit dem „späten“ Bradbury zu beschäftigen, weshalb Hardy Kettlitz in der 24. Folge seiner Reihe SF Personality alle regulären Veröffentlichungen aufführt und ebenso kenntnisreich wie kritisch kommentiert. Im Vergleich zur Erstausgabe von 2013 gibt es einige Ergänzungen; außerdem ist das Layout luftiger und besser lesbar geworden. Aus nachvollziehbaren Gründen eingekürzt wurde hingegen die ursprünglich achtzigseitige Bibliographie, deren Zusammenstellung nunmehr Joachim Körber übernommen hat. Doch während Bradburys Romane mustergültig nach den Originaltiteln erschlossen werden, sind die Sammelbände überraschenderweise anhand der deutschen Fassungen gelistet, was die Orientierung erschwert und auf Kosten der Vergleichbarkeit geht. Dies bleibt aber der einzige Kritikpunkt an dem ebenso arbeitsintensiven wie gelungenen Unterfangen, Bradburys Werk kompakt und gut verständlich darzustellen.

Hardy Kettlitz: Ray Bradbury. Poet des Raketenzeitalters • SF Personality 24 • Memoranda • 423 Seiten • € 22,90

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