25. September 2022 3 Likes

„Paradox Hotel“ von Rob Hart

Aus dem Store ins Grand Hotel neben dem Zeitreiseflughafen – ein SF-Krimi

Lesezeit: 3 min.

Mit seinem dystopischen Near-Future-Roman „Der Store“ (im Shop) legte der amerikanische Autor Rob Hart nach seiner Hardboiled-Krimi-Serie um Detektiv Ash McKenna (im Shop) eine unterhaltsame, aber auch schonungslose Kritik am Kapitalismus, Großkonzernen und dem Online-Versandhandel vor, die in den Anfangstagen der Corona-Pandemie noch mehr den Nerv getroffen hat. Jetzt ist mit Paradox Hotel“ (im Shop) Harts neuestes Werk bei Heyne auf Deutsch erschienen, und auch dieser SF-Krimi über kommerzialisierten Zeitreise-Tourismus 50 Jahre in der Zukunft enthält wieder einiges an Missbilligung des ökonomischen, sozialen und politischen Zeitgeists unserer Welt, während Hart zugleich klassische Genre-Kost wie „Time Scout“ von Bob Asprin (im Shop) und Linda Evans an die heutigen Standards von Technik, Wissenschaft und Gesellschaft anpasst.

In der Zukunft des Jahres 2072 sind Zeitreisen der neue Spaß für die Wohlhabenden und Reichen, die als Touristen und Touristinnen in die Vergangenheit reisen. Direkt neben dem Einstein-Zeitreiseflughafen steht deshalb auch ein großes Luxushotel, das in seinem Atwood- und seinem Butler-Flügel mehrere Hundert betuchte Gäste unterbringen und verwöhnen kann, während diese auf ihren Zeitflug warten. Die Hausdetektivin bzw. Security-Chefin des Paradox heißt January Cole und wird von der vorlauten Drohne/Künstlichen Intelligenz Ruby unterstützt. Jan wachte als Regierungsagentin der Zeitvollzugsbehörde (ZVB) lange über den Zeitstrom und reiste dafür bis ins Berlin des Zweiten Weltkrieg kurz vor Hitlers Selbstmord oder bis in die prähistorische kanadische Frühzeit voller Säbelzahntiger – denn irgendwer muss ja aufpassen und sicherstellen, dass der Zeitstrom nicht verändert wird (ein bisschen wie in „Star Trek“ oder im Museum: anschauen erlaubt, anfassen verboten). Doch das hat Spuren an January hinterlassen, die losgelöst ist – eine typische Krankheit von Zeitreisenden, was wohl mit der Strahlung zu tun hat.

Für Jan bedeutet das, dass sie nicht nur im Hier und Jetzt lebt, sondern per Drift auch immer wieder in die nähere Vergangenheit oder die nähere Zukunft ihres Lebens sowie ihres Umfeld abtreibt. Die zynische, in ihrem Selbsthass und ihrer Verbitterung gefangene Sicherheitschefin des Paradox wird also von Erinnerungen, von Flashbacks und von Visionen möglicher zukünftiger Ereignisse heimgesucht, und klinkt sich solange aus ihrer gegenwärtigen Realität aus. Die Krankheit ist bei January schon ziemlich fortgeschritten und setzt ihr ebenso zu wie die Erinnerungen an ihre tote große Liebe. Aber da kommt noch mehr. Jetzt soll ihr verhasstes, geliebtes Paradox in einer Auktion zwischen vier der reichsten Personen der Welt verkauft werden, und ausgerechnet kurz vor dem Tag der Tage häufen sich zwischen Dinos und Leichen im Hotel die unerklärlichen Phänomene, die erschreckenden Anomalien und die ans Licht drängenden Geheimnisse …


Rob Hart. Foto © Anna Ty Bergman

Mit einer taffen, rotzigen Antiheldin als Ich-Erzählerin und einer interessanten Verwendung der gängigen Zeitreise-Tropen legt Rob Hart nach „Der Store“ einen weiteren spannenden SF-Krimi vor, der diesmal sogar noch etwas deutlicher auf typische, um nicht zu sagen nerdige Genre-Elemente setzt. Die über die futuristische Bande gespielte Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus, an populistischen Politikern, an Fanatikern aller Art und an übermächtigen Superreichen (im Roman verbirgt sich z. B. eine unverhohlene Donald-Trump-Persiflage) verbindet „Paradox Hotel“ am Ende allerdings wieder unübersehbar mit Mr. Harts erstem Bestseller, der Amazon, Google, Facebook und Co. aufs Korn genommen hat. Dass trotz Zeitreise-Möglichkeiten die eigentliche Haupthandlung meistens in einem abgeschlossenen Gebäude der Erzählgegenwart bleibt, erweist sich als erfrischend – und obendrein geradezu klassisch-kriminalistisch, obwohl es noch nicht ganz zum Locked-Room-Mystery reicht. Man kann den Film oder die Fernsehserie praktisch schon sehen. Januarys Drifts ermöglichen es Hart im Buch indes außerdem, die Kunst des Foreshadowings, also die teasernde Vorausdeutung des Plots, quasi aufs nächste Level zu bringen – was er sehr effektiv für seinen ziemlich coolen, ziemlich spannenden Zeitreise-Krimi am Puls der, nun ja, Zeit nutzt.

Rob Hart: Paradox Hotel Roman • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Pfingstl • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 448 Seiten • als Paperback und E-Book erhältlich • Preis des Paperbacks € 15,00 (im Shop)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.