22. Mai 2019

Der Dino-Flüsterer und die Rebellion

Moebius lässt grüßen: Vincent Perriots dystopischer SF-Western „Negalyod“

Lesezeit: 2 min.

Was erhält man, wenn man ein postapokalyptisch-dystopisches Science-Fiction-Setting mit einem allsehenden Netz, eklatantem Wassermangel, Hightech-Oberstädten und Lowtech-Unterstädten, Steampunk-Segelschiffen, weiten Wüsten, massig Dinosauriern und reichlich Moebius-Einfluss kombiniert? Ganz einfach: Den Science-Fiction-Comic „Negalyod“ des französischen Künstlers Vincent Perriot, der soeben bei Carlsen als schickes Hardcover-Album mit über 200 Seiten auf Deutsch erschienen ist.

In einer Welt, die mit Trockenheit und Dürre, der Überwachung durch ein mysteriöses unmenschliches System und großer Ungleichheit zu kämpfen hat, begleitet der junge Hirte Jarri Tschapalt eine Dinosaurier-Herde durch die Wüste. Er reitet selbst einen treuen Pachycephalosauria – einen Dickkopfsaurier – und spricht zudem die Sprache der Riesenechsen, ja gilt unter den Hirten und Händlern der Wüste als wahrer Dino-Flüsterer. Der Weg seiner Chasmosaurus-Herde führt durch die rotbraune Einöde, die von Rohrleitungen zerschnitten wird, die das knappe Wasser der Menschen fortschaffen, und vorbei an den Wracks der hoch entwickelten Segelschiffe des letzten Krieges. Hin und wieder fliegen noch immer Segler, die vom alleskontrollierenden Netz auf eine Mission gesandt werden und etwa einen wildgewordenen Tanklaster einfangen sollen, über die Wüste, Jarri und die Saurier hinweg. Eines Tages sieht sich Jarri gezwungen, den Seglern zu folgen und selbst in die große Stadt zu reisen. Dort spürt er noch mehr von der Ungerechtigkeit und den Unruhen, die angesichts der aktuellen Verhältnisse herrschen – und stolpert in die Rebellion gegen das Netz und seine Vollstrecker …

„Negalyod“, das erste ins Deutsche übertragene Werk des 1984 geborenen Vincent Perriot, ist unübersehbar von Jean „Moebius“ Giraud inspiriert und geradezu von diesem durchdrungen: Von Girauds einflussreichem Western-Epos „Blueberry“ ebenso wie von Moebius’ vielen legendären Science-Fiction-Arbeiten. Fast jede Seite in „Negalyod“ atmet den Geist von Moebius, selbst wenn nicht jedes Panel, nicht jede Linie an die klare Brillanz des französischen Comic-Altmeisters und visionären SF-Giganten heranreicht. Doch die Weite der Wüste, die Western-Motive, der diskrepante Technologie-Level, der Detailreichtum und das Gewimmel allenthalben, die Seitenaufteilungen, Gesichter und Kleidung – das alles sieht unübersehbar nach Moebius und einer regelrechten Moebius-Huldigung aus. Die Farben von Florence Breton, die früher einiges von Moebiu kolorierte, verstärken diesen Eindruck entsprechend. Die Dinosaurier in „Negalyod“ müssen sich unterdessen nicht vor den gezeichneten Reptilien von Ricardo „Age of Reptiles“ Delgado oder William Stout, dem König der Saurier-Illustratoren, verstecken.

Wobei der Moebius-Impact klar dominiert und von Vincent Perriot in einem meist sehr ansehnlichen Look umgemünzt wird. Da geraten die altbekannte, extrem konventionelle Story über ominöse Herrscher und Rebellen mit Tunnelblick sowie die blassen Figuren, zum Glück, eher zur verschmerzbaren Nebensache. Letztlich hat man immer dann am meisten Spaß mit „Negalyod“, wenn es in der Wüste mit dem Dino-Flüsterer und den Sauriern westernmäßig zur Sache geht – oder einen die wortlosen Seiten von Perriots Szenario in Staunen versetzen. Mehr hätte diese vor allem optisch reizvolle Moebius-Hommage womöglich gar nicht gebraucht.

Abb.: © Vincent Perriot, Casterman, 2018.

Vincent Perriot: Negalyod • Carlsen, Hamburg 2019 • 208 Seiten • Hardcover: 28 Euro

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