Erwachsenwerden in der Endzeit
Coming-of-Age-Drama mit Genre-Kniff: Der Comic-Roman „Magdas Apokalypse“
Am Tag vor ihrem dreizehnten Geburtstag erfährt Magda, dass die Welt in einem Jahr durch einen gewaltigen Vulkanausbruch und andere Naturkatastrophen untergeht. Die Menschen wissen also, dass ihr Leben nach dem nächsten Durchlauf der Jahreszeiten vorbei sein wird, und das verändert alles. Manche versuchen, einfach stoisch weiterzumachen, bis selbst sie keinen Sinn mehr in Schule oder Job sehen; andere brechen sofort mit ihren bisherigen Lebensgewohnheiten, um die letzten Monate all das zu machen, was sie bis dato nie getan haben. Magdas Vater zum Beispiel verlässt seine Frau und seine beiden Töchter, damit er mit seiner Geliebten zusammen sein kann. Als die Ordnung der Dinge immer deutlicher zu zerbröckeln beginnt und auch schon mal der Strom ausfällt, weil niemand mehr im Kernkraft zur Arbeit erscheint, schaltet Magda ebenfalls auf rücksichtslos: Wenn sie schon nur noch ein läppisches Jahr hat und jung sterben muss, will sie mitnehmen, was geht. Sie lässt sich unbedacht mit Jungs ein und schließt sich sogar einer Diebesbande an, deren Mitglieder keine Angst vor dem sicheren Tod haben …
Mit „Magdas Apokalypse“ gibt die 1988 geborene Fotografin Chloé Vollmer-Lo ihr vielversprechendes Debüt als Comic-Autorin. Obwohl die Prämisse ihres Szenarios um den Druck der feststehenden Apokalypse so neu nicht ist und z. B. an Ben Winters endzeitlichen Roman-Krimi „Der letzte Polizist“ (im Shop) erinnert, hat sie durch die überzeugend ausgeführte Coming-of-Age-Komponente doch ihre eigene Variante geschaffen. Als eifriger Genre-Leser freut man sich besonders darüber, dass ihre emotional einnehmende Endzeit-Geschichte nicht zur kitschigen Sorte gehört, obwohl sie für die sympathisch realistisch angelegte Magda eine nette Romanze mit einem verruchten Jungen bereithält. Die funktionierenden Klischees, die Vollmer-Lo in ihrer Story verbaut, stören unterwegs zum Finale kein bisschen, zumal sich ihr Ende in seiner Konsequenz bewusst von der schmusigen Genre-Verwandtschaft abwendet.
Anders als Vollmer-Lo, hat die Illustratorin und Storyboard-Künstlerin Carole Maurel seit 2012 bereits mehrere Comics veröffentlicht. Ihr hübscher Stil zeigt einmal mehr, dass die Comic-Welt enger zusammenrückt. Oft kann man ohne Vorwissen gar nicht mehr bestimmen, ob eine Bildergeschichte nun von einem ehemaligen Disney-Animationszeichner aus den USA, einem Independent-Künstler aus Kanada, Brasilien oder Israel, oder von einem Zeichner aus dem frankobelgischen Raum stammt. Die letzten zwei Generationen Kreativer wurden von denselben Comics, Manga und Anime geprägt, und oft kommt bei den Machern ein Background in den Bereichen Werbung oder Animation dazu. Das aus diesen Einflüssen kanalisierte Ergebnis kann sich aber in jedem Fall sehen lassen, und „Magdas Apokalypse“ bildet da keine Ausnahme. Der 1980 geborenen Maurel gelingt es scheinbar problemlos, Verzweiflung, Zügellosigkeit, Sex und Gewalt ausdrucksstark festzuhalten.
„Magdas Apokalypse“ ist ein starkes endzeitliches Coming-of-Age-Drama, das den drohenden Weltuntergang als Brandbeschleuniger nutzt. Man sieht die im Kino wenig beachtete, von der Kritik gepriesene Independent-Verfilmung aus Frankreich und die Geheimtipp-Ausstrahlung auf Arte praktisch schon vor sich.
Chloé Vollmer-Lo & Carole Maurel: Magdas Apokalypse • Splitter, Bielefeld 2017 • 192 Seiten • Hardcover: 24,80 Euro
Kommentare