Postapokalyptische Straßenmeister
Manu Larcenet adaptiert Cormac McCarthys „Die Straße“ als Comic
Als Cormac McCarthy im Juni 2023 verstorben ist, hat die moderne Weltliteratur einen ihrer Größten verloren. Einen Ausnahmeautor, der für seine urgewaltigen, teils alttestamentarisch anmutenden Südstaatengeschichten zurecht mit Faulkner verglichen wurde, der Western und Neo-Western ohne Kitsch zu neuem Glanz verhalf, und der mit jeder Menge schreiberischer Klasse im Angesicht des zivilisatorischen Zerfalls selbst die Postapokalypse in die Gefilde der anspruchsvollen Hochliteratur brachte. Auf das Konto des Amerikaners gingen zeitlose Buch-Highlights wie „Kein Land für alte Männer“, die Trilogie um „All die schönen Pferde“, „Die Abendröte im Westen“ und „Verlorene“ – und eben das Meisterwerk „The Road“ alias „Die Straße“, für das Mr. McCarthy anno 2007 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete wurde.
Im Buch ziehen ein Vater und sein junger Sohn durch die gnadenlose Postapokalypse voller Plünderer, Kälte, Hunger, Sorgen und Kannibalen, ihre wenigen Habseligkeiten oder gar Vorräte in einem Einkaufswagen vor sich her schiebend, im Revolver bloß noch ein paar Kugeln, nicht unbedingt für die Bösen gedacht, sondern als letzter Ausweg. Und doch folgen Vater und Sohn der bereits 2006 titelgebenden Straße gen Süden, ein diffuses Nirgendwo der Hoffnung als Ziel ihrer anstrengenden, lebensbedrohlichen Reise durch ein entvölkertes, zerstörtes Amerika. Schon 2009 folgte eine Verfilmung des eindringlichen Stoffes von Regisseur John Hillcoat, mit Viggo Mortensen und Kodi Smit-McPhee in den Hauptrollen.
Jetzt hat sich der französische Comic-Könner Manu Larcenet an eine Panel-Adaption des modernen Buchklassikers von Cormac McCarthy gewagt, die deutschsprachige Ausgabe ist soeben bei Reprodukt erschienen, nicht lange nach dem französischen Original, noch vor der englischsprachigen Edition. Monsieur Larcenet kennt man für den opulenten Genre-Geniestreich „Blast“, für „Der alltägliche Kampf“, „Brodecks Bericht“, „Rückkehr aufs Land“ und selbst für ein „Valerian und Veronique Spezial“ oder ein paar Beiträge zur kunterbunten Fantasy-Parodie „Donjon“. Die Gemeinsamkeit all dieser grundverschiedenen Comics? Manu Larcenet ist immer überragend, selbst wenn er inhaltlich und stilistisch in gänzlich unterschiedliche Richtungen gehen kann. Völlig egal, was er konzipiert, schreibt, zeichnet, umsetzt, adaptiert, ob Realismus, Humor oder Weird-Fiction, ob klassischer Weltraum oder satirische Rollenspiel-Fantasy – Larcenet begeistert stets mit seiner Kunst.
Auch in der grauen, grauenvollen Postapokalypse. Seine Comic-Fassung von „Die Straße“, diesem ewigen Brett aus dem Schaffen des ikonischen McCarthy, wirkt zeichnerisch auf Anhieb ein bisschen, als würde Manu Larcenet auf den Spuren früherer argentinischer Comic-Meister wandeln: Viele Striche, dichte Schraffur, dreckige Anmutung, hoher Kontrast zwischen Hell und Dunkel, das erinnert bei allen erfüllten visuellen Larcenet-Checkpoints und ersichtlichen Blast-Erinnerungen z. B. an Jorge Zaffino. Die Farben von Larcanets Bildern indes sind dermaßen – dermaßen herrlich! – ausgewaschen, dass sie größtenteils nur gerade so über Schwarz-Weiß rangieren, und dennoch einen klaren Mehrwert zu diesem dualen Schema bieten. Kaum eine Seite, die man nicht ins Lehrbuch packen, sich nicht gerahmt an die Wand hängen würde.
Die Atmosphäre des Albums, die der 1969 geborene Manu Larcenet scheinbar mühelos aus dem Roman in seine Comic-Interpretation übertragen hat, ist so dicht und fantastisch wie im Original. Man schmeckt die allgegenwärtige Asche, spürt die überall lauernde Gefahr, die Bedrohlichkeit, den Hunger, die Liebe, die Kälte, die Verlorenheit. Gerade die rohen, starken, direkten Emotionen zwischen Vater und Sohn, die McCarthys „Die Straße“ zu so einer nachhallenden, bisweilen heimsuchenden Science-Fiction-Horrorgeschichte von Weltruhm gemacht haben, tragen auch den Comic, neben dem Artwork. Dabei überzeugt Larcenets makellose Adaption bei den Dialogen genauso wie auf den wortlosen, mignola-esken Seiten ganz ohne Text, und fährt sein variabel angelegtes Panel-Raster in beiden grafischen Erzählmodi voll aus.
Von all den Künstlern, die „The Road“ in einen Comic hätten verwandeln können, ist Manu Larcenet erwartungsgemäß der große Glücksfall: In seiner Kunst – seinem Handwerk – selbst ein Meister wie Cormac McCarthy, macht er mit Respekt, Können und Verständnis die unvergessliche Straße und die vielbesuchte Postapokalypse, in aller ihrer ungeschminkten Brutalität, all ihrer poetischen Bitterkeit, auch im Comic zum intensiven Leseerlebnis.
Abb © by Manu Larcenet 2024 by Dargaud / dt. Ausgabe Reprodukt
Manu Larcenet: Die Straße – Nach dem Roman von Cormac McCarthy • Reprodukt, Berlin 2024 • 160 Seiten • Hardcover: € 25,00
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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