11. Januar 2023 1 Likes

„Copenhagen Cowboy“ - Neonfarbener Fiebertraum in Slow-Mo

Sehenswerte Superheldenserie vom Planeten Refn

Lesezeit: 4 min.

Ein neuer Refn, das gleiche alte Spiel: Mittlerweile sind Kritiken zu neuen Projekten von Nicolas Winding Refn, oder NWR, wie er im Vorspann von „Copenhagen Cowboy“ aufgeführt wird, ja fast schon ein bisschen obsolet, denn der Filmemacher teilt das Publikum wie Moses einst das rote Meer. Die Anhängerschaft hat vor Glück glänzende Augen, der Rest schlägt mal wieder die Hände über den Kopf zusammen und fragt sich, wie lange der exzentrische Däne denn noch mit seinen sich oft kurz am Rande der Publikumsverachtung bewegenden Arbeiten davonkommt. Dazwischen gibt es nichts. Absolut gar nichts. Ein bisschen sind die negativen Reaktionen aber natürlich auch Refns Schuld, denn der inszeniert sich nicht nur mit Vorliebe als künstlerischer Freigeist und schießt bei jeder Gelegenheit gegen Hollywood, auch das Ego scheint mehr als gesund zu sein: Unvergessen das herrliche Gespräch mit William Friedkin, in dem er sich selbst, zum Entsetzen Friedkins, auf eine Stufe mit Orson Welles und Stanley Kubrick hievte. Die Reaktion seines Gegenübers: „Ist ein Arzt anwesend?“

Was immer man von diesem Gebaren auch hält – man kann ihm kaum Inkonsequenz vorwerfen: So zerbröselte Refn nach seinem Durchbruch „Drive“ (2011) mit dem in Cannes ausgebuhten und von der vor den Kopf gestoßenen Presse zerrissenen „Only God Forgives“ (2013) genussvoll absolut alle Erwartungen, die man an den Nachfolgefilm hatte und lehnte die Inszenierung des James-Bond-Abenteuers „Spectre“ (2015) ab. Auch spätere Hits wie „The Equalizer“ (2014) oder „Wonder Woman“ (2017) kamen nicht unter seiner Regie zustande, stattdessen zog Refn sein ganz eigenes Refn-Ding durch, was zuletzt in der Amazon-Prime-Serie „To Old To Die Young“ (2019) mündete, mit der der rüpelige Auteur die Grenzen des Serienformats derart rücksichtslos aufsprengte, dass Amazon der eigenen Produktion jegliche Promotion verweigerte und schon sehr kurze Zeit nach Veröffentlichung bekannt gab, dass keine zweite Staffel folgen wird.

Es ist vor diesem Hintergrund und angesichts der momentanen Situation des Streaming-Marktes – der Finger der Verantwortlichen kreist nervöser über dem Absetzungsknopf als je zuvor – erstaunlich, dass ein Projekt wie „Copenhagen Cowboy“, zustande gekommen ist. Zwar nun beim Amazon-Konkurrenten Netflix, aber auch der strauchelt. Und obwohl das neuste Baby ein nicht ganz so schwer verdaulicher Brocken ist wie der Vorgänger, gibt’s doch einmal mehr Refn unverdünnt und der empfahl dem Publikum bei der Weltpremiere von „Copenhagen Cowboy“ auf dem Festival in Venedig im September letzten Jahres es sich gemütlich zu machen, die Füße über die Lehne der Vorderreihe zu legen und während der Vorstellung ruhig laut zu sein, denn: „Fuck The Establishment!“.

Inhaltlich kreist die – laut Eigenauskunft – erste Superhelden-Serie des Regisseurs um ein kleines Mädchen mit Namen Miu, das als eine Art menschlicher Glücksbringer fungiert und unter anderem in einem von einem albanischen Brutalo und einem Amateurschlagersänger betriebenen Bordell und in einem China-Restaurant, dessen Besitzerin Hausschweine hält, die die bei ihr abgeladenen Leichen einer Verbrecher-Gang futtern, landet. Außerdem bekommt sie es mit einer kannibalistischen Familie zu tun, deren Oberhaupt besessen von seinem Penis ist.

Man befindet sich von Minute eins an auf dem Planeten Refn: Atmosphärische, teils wunderschöne, von Neonlicht durchflutete Bilder, ein tief, tief entspanntes Erzähltempo, eine schweigsame Hauptfigur, Gewalteruptionen, Mutterfiguren, tätowierte Gangster, Prostituierte, Martial Arts … Es ist an der ein oder anderen Stelle zu lesen, dass Refn nichts mehr Neues einfällt, seine Serie nichts weiter als ein „Best-of“ ist, eine Hommage an sich selbst, NWR nicht nur altbekannte Motive verwendet, sondern sich gelegentlich sogar unverfroren eins zu eins selbst zitiert. Letzteres ist nun wirklich voll und ganz in Ordnung – wieso bitte sollte ein Meisterregisseur wie Refn denn nicht einen Meisterregisseur wie Refn zitieren dürfen? Der Vorwurf, dass immer wieder die gleichen Komponenten verwendet werden, ist absurd: Es würde (hoffentlich) auch keiner auf die Idee kommen, Hitchock kleinzureden, da sich in seinen Filmen immer wieder platinblonde Frauen, dominante Mütter, unschuldig Verfolgte, trottelige Polizisten, Zugszenen und andere Motive finden? Das Entscheidende ist doch das wie und die Motive werden immer wieder auf neue Weise verwendet.

Natürlich ist beispielsweise Miu ein Abkömmling von Figuren wie One Eye („Valhalla Rising“) oder Driver („Drive“), aber dieses Mal handelt es sich nicht nur um ein kleines Mädchen, sondern eine Figur, bei der die mythische Überhöhung der Vorgänger ins Übernatürliche kippt, was insofern von Bedeutung ist, als das der gerne als frauenfeindlich gescholtene Regisseur nach dem Kinofilm „The Neon Demon“ (2016) nun eine Serie gedreht hat, die eindeutig den Frauen zu gehören scheint. Scheint deswegen, weil „Copenhagen Cowboy“ leider in einem zentralen Moment – ironischerweise genau in dem, in dem das Refn-Universum offenbar tatsächlich erweitert wird – abbricht und man damit rechnen kann, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis der Absetzungsknopf gedrückt wird. Jawohl, „Fuck The Establishment!“, aber so was von.

Jedenfalls ein weiteres äußerst schmackhaftes Filetstück, zubereitet von einem Solitär – man kann wirklich nur hoffen, dass niemals ein Arzt anwesend sein wird!

Copenhagen Cowboy (Dänemark 2022) • Regie: Nicolas Winding Refn • Darsteller: Angela Bundalovic, Fleuer Frilund, Lola Corfixen, Zlatko Burić, Andreas Lykke, Jason Hendil-Forssell, Li li Zang • Netflix

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