10. August 2014 1 Likes

Der erste und der letzte Mensch

Mit „Lucy“ wird Luc Besson philosophisch – zumindest ein bisschen

Lesezeit: 3 min.

Manchmal fragt man sich ja, wie Autoren und Regisseure zu ihren Ideen kommen: War Luc Besson etwa irgendwann in einem Naturkundemuseum, vielleicht bei einem Ausflug mit seinen Kindern, und sah ein Modell von Lucy, dem noch sehr affenartigen ersten Menschen? Vielleicht hatte er kurz zuvor auch mal wieder „The Matrix“ gesehen und kam so auf die Idee, von einer eher tumben Frau zu erzählen, die zum Übermenschen mutiert und in bester Neo-Manier die Welt klarer sieht und vor allem beeinflussen kann, als die Durchschnittsperson.

Ausgangspunkt von „Lucy“ ist der wissenschaftliche Mythos vom ungenutzten Gehirn des Menschen: Angeblich nur 10 % seiner Gehirnkapazität benutzt der durchschnittliche Mensch, was zwar nicht stimmt, aber viel filmisches Potenzial hat. Um das zu entfalten erfindet Besson eine Superdroge, deren blaue Kristalle zwar aussehen wie Crystal Meth, aber laut „Lucy“ auf dem von schwangeren Frauen ausgestoßenem Hormon CPH4 basiert: Das soll Föten stärken und hat in kondensierter Form extreme Wirkungen. Durch diverse bizarre Plottwists bekommt die von Scarlett Johansson gespielte Lucy eine extreme Überdosis von CPH4, mit unerwarteten Folgen: Nicht nur, dass sie auf einmal chinesisch kann und Martial Arts Fähigkeiten entwickelt (wobei letzteres im modernen Action-Kino ja bekanntermaßen praktisch Kinderkram ist), die bloße Berührung eines anderen Menschen ermöglicht ihr Einblicke in Psyche und Physis des Gegenübers. Auf der Leinwand eingeblendete Prozentzahlen halten dabei den Zuschauer über Lucys Entwicklung auf dem Laufenden, wobei die entscheidende Frage ist was denn wohl passieren wird, wenn sie irgendwann die 100 % erreicht.


Jenseits der 100% verwandelt sich Lucy in einen Vulkanier

Dass sie schon mit 30 oder 40 % Kapazität praktisch unbesiegbar ist, Materie beherrscht, sich in sämtliche elektronischen Netze der Welt einspeisen kann, sorgt für amüsante Momente, stellt den Drehbuchautor aber vor ein kaum zu lösendes Problem: So mächtig ist Lucy, dass kein Antagonist ihr Paroli bieten könnte. Doch da „Lucy“ nicht zuletzt ein Actionfilm sein will, denkt sich Besson einen taiwanesischen Drogenboss aus, der ebenso wie Lucy hinter dem wenigen existierenden CPH4 her ist und auf der Jagd nach dem Stoff halb Paris in Schutt und Asche legt. Warum Paris? Weil dort der von Morgan Freeman gespielte Wissenschaftler Professor Norman gerade einen Vortrag über seine Theorie von den Möglichkeiten des menschlichen Geistes hält. Von ihm erhofft sich Lucy nun Hilfe bei den wichtigen Fragen: Was tun mit ihrer geistigen Kapazität, wie den damit einhergehenden Zellverfall stoppen und vor allem: Wie das von Lucy binnen kürzester Zeit angehäufte Wissen auch für normale, geistig noch nicht so entwickelte Menschen erfassbar zu machen.

Viele interessante Aspekte kratzt Besson in „Lucy“ an, ein Projekt das er wenig bescheiden wie folgt beschrieb: Im ersten Drittel erinnert es an „Leon – Der Profi“, im zweiten an „Inception“ und im dritten an „2001“! An letzteren erinnert natürlich die Affen-Symbolik, allerdings weniger der philosophische Anspruch, der bei Besson eher popkulturelle Dimensionen annimmt und selbst die Absurditäten der „Matrix“ wie eine überzeugende Dissertation erscheinen lässt. Und dennoch: Trotz der typischen Bessonschen, sehr austauschbaren Actionszenen (die exakt so aussehen wie vergleichbare Szenen in „Taxi“, Transporter“ „Taken“ oder anderen Besson-Produktionen) und der oft absurden Dialoge: Gerade im letzten, dem „2001“-Drittel, wenn Lucy sich der Transzendenz nähert, gelingen Besson eindrucksvolle Momente. Besonders wenn er visualisiert, wie Lucy mit ihren zunehmenden Fähigkeiten umgeht, etwa unzählige bunte „Leitungen“ aus den Menschen in den Äther ragen, die die unzähligen in jedem Moment geführten Telefonate andeuten, und sie dann eine einzelne Leitung anzapft, hat „Lucy“ eine Imaginations-Kraft, wie man sie lange nicht erlebt hat.

Dass es Besson nicht gelingt Action und Philosophie so in Einklang zu bringen, wie es etwa den Wachowskis im ersten „Matrix“-Film gelang, mag an seiner oft grobschlächtigen, unsubtilen Art liegen: Kaum einen platten, offensichtlichen Gag lässt er aus und nie kann er verhehlen, dass seine Heimat seit langem das B-Picture ist. Was ja nicht unbedingt das schlechteste ist, erst recht nicht wenn dabei etwas wie „Lucy“ rauskommt: ein rohes, ebenso krudes wie ambitioniertes Stück Kino, das gleichermaßen platt wie visionär ist und dabei in kurzen, knackigen 90 Minuten mehr Spaß macht als viele deutlich teurere Filme in 150 Minuten.

„Lucy“ startet am 14. August im Kino.

Lucy • Frankreich 2014 • Regie: Luc Besson • Darsteller: Scarlett Johansson, Morgan Freeman

Bilder: © Jessica Forde/EUROPACORP - TF1 FILMS PRODUCTION - GRIVE PRODUCTIONS

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