Frischcellkur
Tarsem Singh macht’s wieder gut: „Self/less – Der Fremde in mir“
Der indische Regisseur Tarsem Singh ist eins jener 90er-Jahre-Phänomene, die den Sprung ins neue Jahrtausend nicht ganz unbeschadet überstanden haben. Ähnlich wie The Prodigy, „Akte X“, Tribal Tattoos – gibt’s alles noch irgendwie, will aber keiner mehr so richtig haben. Streng genommen gehört Singhs Debütfilm „The Cell“ der Dekade von Rave und Dekadenz zwar gar nicht mehr an – das Jennifer-Lopez-Vehikel erschien im Jahr 2000 –, aber trotzdem verkörpert dieser Film doch eine Menge von dem, was die visuelle Populärkulturästhetik des Jahrzehnts prägte. Als ikonografische Fortführung seines Musikvideos für R.E.M.s Hit Losing My Religion erschuf Singh mit „The Cell“ barockes Serienkiller-Kintopp der manieriertesten Sorte; Industrial Grunge traf auf fernöstlichen Budenzauber, surrealistisches Kasperletheater auf voyeuristische Slasher-Begeisterung, Vulgäropernhaftes auf maskenhaften Celebrity-Kult. Als aalglatte Apotheose von „Sieben“, „Das Schweigen der Lämmer“ und Nine Inch Nails steht „The Cell“ bis auf den heutigen Tag für die 90er-Jahre-typische Verbindung aus Slickness und Sickness.
Danach kam dann – nicht mehr viel. Erst im Jahr 2006 war Singh wieder auf der Leinwand zu sehen. Doch der Cell-Pastiche „The Fall“ wirkte bereits seltsam vorgestrig. Danach dann 2011 das Mythenspektakel „Krieg der Götter“, in dem Tarsem als Regisseur kaum noch erkennbar war. Ein Kinoprodukt für die genau abgesteckte Marktnische des hochgetunten Sandalen-Revivals. Das war im Prinzip unsehbar.
Jetzt – vier Jahre später, die Pausen werden kürzer – nun also „Self/less – Der Fremde in mir“. Hier geht Singh nun endgültig den Weg alles Irdischen, landet im handwerklich gutgemachten SF-Thriller-Mittelfeld der fortgeschrittenen 2010er-Jahre – und liefert ein erstaunlich solides Genrewerk ab, das den immanenten Singh-Manierismus auf ein dekoratives Mindestmaß zurückschraubt und vor allem durch gutes Casting überzeugt.
Sir Ben Kingsley, hier nur zu Anfang des Films zu sehen, aber wie immer eine Bank, verkörpert den sterbenden Immobilien-Tycoon Damien Hale, der kurz vor dem Ableben sein Bewusstsein in die Hände einer dubiosen High-Tech-Geheimorganisation legt, die eben jenes wiederum in einen 35-jährigen, kerngesunden Körper verpflanzt. Wie? Egal, darum geht’s hier nicht. Zunächst funktioniert das auch alles ganz wunderbar, doch dann beginnen natürlich die Komplikationen, als deutlich wird, dass dieser knackige Körper nicht ganz ohne Biografie ausgeliefert wurde und sich im Hintergrund diverse dunkle Machenschaften abspielen, die in bester Film-Noir-Manier nach und nach aufgedeckt werden. Das ist alles nicht wirklich originell – „Face/Off“, „Freejack“, „Seconds“, „Transcendence“ und zahlreiche andere Körpertausch/Bewusstseinstransfer-Stücke standen für das Drehbuch von David und Alex Pastor Pate. Doch in der Umsetzung beweist Singh ein sicheres Händchen für gutes Timing, klares Produktionsdesign und vor allem im allerbesten Sinne angemessene Besetzung. Ryan Reynolds trägt den Film als klassischer Noir-Held, haunted by the past, gefangen im falschen Körper, seiner Identität nie ganz sicher. Und das macht er wirklich erstaunlich mitreißend – so sehr, dass seine Präsenz und inhärentes Charisma fast zum Makel werden, während man zeitweise vergisst, dass es sich hier eigentlich um Ben Kingsley handelt. Doch das ist wirklich marginal, denn worauf es bei diesen ständig Haken schlagenden Plots letztendlich ankommt, ist Identifikationspotenzial. Und davon bietet Reynolds reichlich.
Matthew Goode, nicht zuletzt seit Zack Snyders „Watchmen“-Verfilmung und Chan-wook Parks zu Unrecht ignoriertem Stoker auf sinistre Schlakse abonniert, zwirbelt herrlich operettenhaft seinen imaginären Schnauzer, TV-Veteran Victor Garber darf endlich mal wieder im Kino zeigen, was er kann – es macht Spaß, diesen Profis dabei zuzusehen, wie sie genau das richtige Maß an Camp und Kompetenz finden, um dieser ziemlich hanebüchenen Story ein angemessenes Gesicht zu geben. Das muss man wohl tatsächlich dem Regisseur zugute halten, so ein Genrestück spielt sich nicht von selbst. Und da Singh nebenbei sowohl die Action als auch die expositorischen Sequenzen mit sicherer Hand orchestriert und immer wieder mit kleinen visuellen Gestaltungsideen ausschmückt, die nicht zum Standardrepertoire des Direct-to-DVD-Arsenals gehören, wird man hier permanent durchaus ansprechend unterhalten.
Am Ende bleibt zwar kein Genre-Meisterwerk, aber eben auch keine gesichtslose Dutzendware. Mit „Self/less – der Fremde in mir“ ist Tarsem Singh nach Jahren des Herumstocherns schließlich im gehobenen Mittelfeld des Hier und Jetzt angekommen – eine reife Leistung, die ihm höher anzurechnen ist, als das zunächst klingen mag. Mal sehen, ob Mulder und Scully das auch schaffen.
Self/less – Der Fremde in mir ist seit dem 20.8. bei uns im Kino zu sehen.
Self/less – Der Fremde in mir (USA 2015) • Regie: Tarsem Singh • Darsteller: Ryan Reynolds, Sir Ben Kingsley, Natalie Martinez, Matthew Goode
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