„Kraven the Hunter“ – Ödipale russische Superhelden
Manchmal so schlecht, das es viel Spaß macht: Der letzte Superheldenfilm … des Jahres
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll: Bei der seltsamen Mythologie, den bizarren russischen Akzenten, der schlechten CGI, der Frage, ob dieser Film gut oder schlecht für die Chancen Aaron Taylor-Johnsons ist, der nächste James Bond zu werden oder beim geradezu verzweifelten Versuch der Macher, „Kraven: The Hunter“ doch bitte eine Chance zu geben. Letzteres versuchten Hauptdarsteller Taylor-Johnson und Regisseur J.C. Chandor mittels Tweets, Sony folgte mit der Online-Veröffentlichung der ersten acht Minuten. Was keine schlechte Taktik darstellt, denn dieser Prolog gehört tatsächlich zu den rundesten, kohärentesten eines zwei Stunden-Films, der selbst das nicht mehr allzu hohe Level, das moderne Superhelden erreicht hat, problemlos unterbietet.
In diesem Prolog sieht man Kraven in einem russischen Gefängnis einen Mafia-Boss und seine Schergen auseinandernehmen, bevor er flink wie ein Tier in den Weiten Sibiriens entkommt. Schnitt – nach Afrika. Jahre zuvor gehen der russische Gangster Nikolai Kravinoff (Russell Crowe) und seine Söhne Sergei (Levi Miller) und Dmitri (Fred Hechinger) auf die Jagd, denn der Patriarch will seine verweichlichten Söhne endlich zu Männern machen. Was nur bedingt gelingt, denn Sergei wird von einem mächtigen Löwen fast gerissen, doch zufällig taucht die junge Calypso (Ariana DeBose) auf, die Sergei einen afrikanischen Zaubertrank einflößt, dank dessen er nicht nur überlebt, sondern plötzlich zum Tier wird. Nicht zu einem bestimmten, sondern irgendwie zu allen, je nachdem welche Fähigkeit gerade gefragt ist. In Sibirien findet der sich bald Kraven nennende Jäger ein zu Hause, stellt Wilderern nach, denn Tiere liegen ihm sehr am Herzen (was ihn allerdings nicht daran hindert, Fisch zu Essen … so ein Vegetarier also …), aber eigentlich hat er größere Ziele.
Warum es ihn ausgerechnet jetzt nach London verschlägt, bleibt wie vieles offen, jedenfalls hat er eine Liste mit finsteren Gestalten, auf der man als Krimineller nicht sein möchte. Deswegen versucht Rhino (Alessandro Nivola), ein eigentlich schmächtiger Mann, der sich in ein Nashorn verwandeln kann, Kraven in die Falle zu locken.
Das hört sich alles reichlich durchgedreht an und wirkt auch so, gerade wenn Alessandro Nivola in einem nicht zu identifizierenden Akzent viel Spaß mit seiner Rolle hat. Purer Camp ist „Kraven“ in diesen Szenen, dummerweise wirkt der Film in anderen Momenten, als wäre es das Anliegen der Macher gewesen, ein ödipal geprägtes russisches Drama im Stile Dostojewskis zu drehen. Besonders Aaron Taylor-Johnson ringt sehr bedeutungsschwer mit seinem übermächtigen Vater, den der inzwischen nicht mehr in Gladiator-Form befindliche Russell Crowe als Parodie eines russischen Gangsters zu spielen scheint … noch so ein Akzent.
Angesichts der aktuellen Weltlage ist man als Filmkritiker natürlich versucht, die russische Komponente dieses Marvel-Films auf allegorische Anknüpfungspunkte zu interpretieren, doch dieser Versuch, Substanz zu finden, dürfte ins Leere gehen. Zu lange war die Genese der Kraven-Figur, die schon Sam Raimi in den Spider-Man-Kosmos einführen wollte, wo zumindest in den Comics Kraven und sein Halbbruder, hier Bruder Dmitri, das spätere Chamäleon, als Dauergegner des Spinnenmannes agieren. Ein Auftritt vom aktuellen Spider-Man Tom Holland in „Kraven“ war zu einem Zeitpunkt einmal angedacht, dazu kam es dann nicht. Ob es in einer Fortsetzung zu einem Aufeinandertreffen der Antagonisten kommt, darf man bezweifeln, J.C. Chandors „Kraven: The Hunter“ dürfte den Weg so mancher Superhelden-Franchise gehen, die nicht über den Auftakt hinauskam.
Kraven the Hunter • USA 2024 • Regie: J.C. Chandor • Darsteller: Aaron Taylor-Johnson, Russell Crowe, Fred Hechinger, Ariana DeBose, Alessandro Nivola • ab 12. Dezember im Kino
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