9. Januar 2025

„Putin“ – Grelle, geschmacklose Kolportage

Deepfake-Diktator hat die Windeln voll

Lesezeit: 3 min.

Putin“ vom polnischen Regisseur, Drehbuchautor und Produzenten Patryk Vega gibt bereits nach wenigen Minuten mit einer Szene die Marschrichtung vor, die auch im Teaser vor einigen Monaten schon für Aufsehen gesorgt hat und vielleicht die einzige ist, die seinen Film langfristig überleben wird, denn meme-tauglich ist das definitiv: Der gefürchtete Ultrabrutalo-Diktator liegt in vollgeschissenen Windeln auf dem Boden eines Krankenhauszimmers.

Doch das ist natürlich nicht der reale Putin. Weiterhin für Gesprächsstoff hat gesorgt, dass Vega einem Schauspieler via KI das Gesicht von Putin verpasst hat, es sich hiermit um den weltweit ersten Kinofilm mit einem Deepfake-Protagonisten handelt. Das sieht – vor allem angesichts des moderaten Budgets von gerade mal 15 Millionen Dollar – ganz in Ordnung aus, der Uncanny-Valley-Effekt wird aber nicht überwunden, Putin wirkt in den meisten Szenen irreal, um nicht zu sagen gruselig.

Wobei „gruselig“ durchaus passt. Vega ist in seinem Heimatland mit Filmen wie der „Pitbull“-Reihe extrem erfolgreich, gilt bei der Kritik aber als Regie-Bulldozer, der statt auf filigran gestrickt- und fachmännisch umgesetzte Inhalte vor allem auf zweckmäßig zusammengebaute Vehikel voller Brutal- und Vulgaritäten, setzt.

Dementsprechend ist „Putin“ kein handelsübliches Biopic geworden, sondern eine grelle, geschmacklose Kolportage mit Schlagseite Richtung Horrorfilm, die wahre Ereignisse wie die Geiselnahme im Dubrowka-Theater (2002) oder im tschetschenischen Beslan (2004) oder den bis heute andauernden Ukrainekrieg mit Spekulationen vermischt und obendrauf noch einen Schuss magischen Realismus gibt, denn Putin wird verfolgt von einem Dämonen seiner Kindheit, einem getöteten Bandenführer, der durch die Szenerie geistert wie ein Abkömmling Damiens und Wladimir mit enervierenden Flüsterton (die schwach abgemischte deutsche Synchro gibt einem in diesen Momenten den Rest) Bosheiten in den Kopf pflanzt.

Der Film beginnt im Jahr 2026 im besagten Krankenzimmer und geht von da aus zurück in die Leningrader Kindheit des späteren Schreckensherrschers um sich im Schnelldurchlauf etwas unkoordiniert durch die Lebensjahrzehnte zu spulen und wieder zurück ins Krankenzimmer zu einem nicht unsympathischen Ende zu kommen. Grautöne in der Zeichnung seines Protagonisten kennt Vega dabei nicht: Putin ist schnell maximal manipulativ, korrupt und brutal, die küchenpsychologische Erklärung (schlechte Kindheit) für sein Verhalten verpufft noch während erklärt wird. AI-Putin ist böse bis auf die Knochen und nicht weit entfernt von Horror-Ikonen wie aktuell Art The Clown.

Wie soll man sich zu so einem Film jetzt verhalten?

Der erste Reflex ist natürlich die Nase zu rümpfen. Letztendlich ist das ein handwerklich alles in allem bestenfalls mittelmäßig gefertigtes Werk, das sich nicht nur, aber auch wegen seiner Verwendung von Originalmaterial des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine weitaus näher bei italienischen 70er-Jahre-Bahnhofskinoheulern wie „Women’s Camp 119“ (1977) als bei „seriösen“ Produktionen meist amerikanischer Provenienz wie „Lincoln“ (2012) befindet.

Anderseits: Liegt in der Herangehensweise von Vega – gerade bei einem monströsen Mann wie Putin, an dessen Händen zweifellos das Blut von unzähligen Menschen klebt – auf eine bestimmte Weise nicht eine größere Wahrhaftigkeit als in den x-mal teureren Bildern und „tiefgründigen“ Inhalten seiner „großen“, „wichtigen“ Kollegen? Anders gefragt: Muss man bei einem Mann, der Kinderkrankenhäuser bombardieren lässt, denn wirklich unbedingt Grautöne suchen?

Und, kann man einen Film dieser Art nicht auch als zugespitzten künstlerischen Protest sehen? Im Kreml hat man „Putin“ offenbar wahrgenommen: Er wird nicht ins russische Kino kommen und Politiker haben sich öffentlich aufgeregt.

Was jetzt nicht das Schlechteste ist.

Putin • Malta/Polen/USA/Syrien/Jordanien/Russland/Ukraine/Israel 2024 • Regie: Patryk Vega • Darsteller: Tomasz Dedek, Justyna Karlowska, Thomas Kretschmann, Slawomir Sobala

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