Was wäre wenn?
„The Man in the High Castle“ imaginiert den Sieg der Nazis im Zweiten Weltkrieg
Counterfactual history ist ein im angelsächsischen Raum beliebtes Gedankenspiel, mit dem sich Historiker gern die Zeit vertreiben. Während in Deutschland das Nachdenken über kontrafaktische Geschichte eher verpönt ist, erscheinen in England regelmäßig Sammelbände zum Thema „What if?“, die sich zum Beispiel fragen, was passiert wäre, wenn Luther gestorben wäre, bevor er seine Thesen an die Kirchentür genagelt hätte, oder wenn der D-Day wegen schlechtem Wetter ausgefallen wäre und die Alliierten die Atombombe vielleicht nicht über Japan, sondern über Berlin gezündet hätten. Besonders der Zweite Weltkrieg ist beliebter Schauplatz für diese Gedankenspiele, in der Wissenschaft, aber auch in der populären Kultur.
Einer der ersten Romane zum Thema stammt vom legendären Science-Fiction-Autor Philip K. Dick, der 1962 “The Man in the High Castle” veröffentlichte, in dem er eine Welt imaginiert, in der die Achsen-Mächte den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben und die USA nicht in der Form existiert, die wir kennen: Während die Westküste bis etwa zu den Rocky Mountains japanische Kolonie ist, ist der weite Teil der Landmasse Teil des Deutschen Reichs. Getrennt werden die beiden Blöcke von einer neutralen, weitestgehend freien Pufferzone. Ein großartiges Konzept, aber eben vor allem ein Konzept. Wie schwierig es ist, diese Idee in einen Film, geschweige denn in eine auf zahlreiche Staffeln angelegte Fernsehserie umzusetzen, zeigt sich an Frank Spotnitz Adaption, die seit Freitag streamt.
Schon seit Jahren bemühten sich diverse Produzenten und Regisseure um eine Adaption von Dicks Roman, der kaum 250 Seiten umfasst und vor allem von seinen philosophischen Gedanken lebt, aber ganz gewiss nicht von einer relevanten Handlung. Weite Teile des Romans bestehen zudem aus inneren Monologen, in denen die zahlreichen, nur lose verbundenen Hauptfiguren ihren Gedanken nachhängen, nicht zuletzt um die Hauptfrage des Romans: Was ist authentisch, was ist fiktiv? Für eine teure, zehnteilige Fernsehserie, die ein erstes Prestigeobjekt des Streamingportals Amazon Prime sein soll, ist das natürlich zu wenig.
Showrunner Frank Spotnitz hat dementsprechend einiges am Roman verändert, auf teilweise sinnvolle, aber auch problematische Weise. Deutlicher als der Roman konzentriert sich die Serie auf zwei Erzählstränge: Zum einen der Doppelagent Joe Blake (Luke Kleintank), der sich in die Kreise der Widerstandskämpfer einschleicht, die im Untergrund gegen das Nazi-Regime kämpfen. In Wirklichkeit untersteht Blake jedoch Obergruppenführer John Smith (Rufus Sewell), der aus New York die Fäden zieht. Blake wiederum trifft auf Juliana Crain (Alexa Davalos), die in San Francisco die Ermordung ihrer Schwester mit ansehen musste. Kurz vor ihrem Tod hatte diese Juliana eine Filmrolle mit dem Titel „The Grasshopper Lies Heavy“ übergeben, die eine Welt zeigt, wie sie nie existiert hat: Die Alliierten haben den Krieg gewonnen. Diese Filmrolle will Juliana nun in die freie Zone bringen, wo sie hofft, den titelgebenden Mann im hohen Turm zu treffen, von dem sie sich Antworten verspricht.
Doch soweit kommt es in der Serie im Gegensatz zum Roman nicht, denn „The Man in the High Castle“ ist laut Spotznitz auf mehrere Staffeln angelegt, entwirft also von Anfang an eine viel größer Welt, als sie Philip K. Dick in seinem Roman entwickelte. Viel Zeit nimmt sich Spotznitz, um die neue Welt zu zeigen, ein Amerika, dass zwar einerseits unverkennbar Amerika ist, das aber von Nazis bzw. Japanern geprägt ist. Das erschreckende dieser Vision ist nun, wie problemlos sie funktioniert, wie gut sich die „Urbevölkerung“ Nordamerikas, in diesem Fall also die Amerikaner, in ihr Schicksal gefügt haben und die Deutschen bzw. Japaner bei ihrer Arbeit unterstützen. Und genau das ist der Kern von Dicks Vision: Nicht etwa eine nur durch Waffengewalt funktionierende Diktatur ist das Gegenszenario, sondern kaum mehr als eine Variante der Realität, die er Anfang der 60er Jahre, also mitten im Kalten Krieg, erlebte. So zwangsläufig sind Konflikte zwischen Staaten, so zwangsläufig das Ausnutzen von militärischer Macht, dass es kaum eine Rolle spielt, von wem man beherrscht wird.
Und hier kommt der brillante Kniff zum Tragen, das Dick in seiner „Was wäre wenn“-Welt ein geheimnisvolles Buch ins Zentrum stellt, das selbst eine „Was wäre wenn“-Welt imaginiert, die aber eben nicht die Realität schildert! In „The Grasshopper Lies Heavy“ haben zwar die Alliierten den Krieg gewonnen, doch statt eines Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion herrscht zwischen Amerika und England Eiszeit. Bedauerlicherweise ist genau dies der Aspekt, an dem Frank Spotnitz Serie deutlich vom Roman abweicht. Denn der Film „The Grasshopper Lies Heavy“ zeigt nicht etwa fiktive Szenen, sondern benutzt bekanntes Dokumentarfilmmaterial vom Sieg der Alliierten. Die Essenz von Dicks Idee wird dadurch verwässert, die moralischen Fragen des Romans unterlaufen.
Vielleicht ist das aber auch nicht zu vermeiden, in einer Serie, die sich aus kommerziellen Gründen zwangsläufigerweise auf ihre Schauwerte konzentriert. Und diese sind ohne Frage außerordentlich. Geradezu liebevoll sind Dekor und Kostüme gestaltet, als Mischung aus amerikanischer und Nazi-Kultur, die hier erstaunlich gut harmonieren. Man darf gespannt sein was sich Frank Spotnitz in zukünftigen Staffeln einfallen lässt und ob „The Man in the High Castle“ dann zu einer Serie wird, die mehr ist als ein Konzept, wenngleich ein brillantes Konzept.
The Man in the High Castle • USA 2015 • 10 Folgen • Showrunner: Frank Spotnitz • Darsteller: Luke Kleintank, Rufus Sewell, Alexa Davalos, Rupert Evans, DJ Qualls
Kommentare
Bin weder ein Fan noch zahlendes Mitglied:
"The Man in the High Castle" läuft ab Freitag in der englischsprachigen Originalfassung und auf Deutsch ab dem 18. Dezember auf Amazon Prime.
Teil 1 der ersten Staffel in English kostenlos: Suche "The Man in the High Castle: Sneak Peek".
SF als Bewegtbild ist populär - diverse Streaminganbieter wissen das und teasern die Kundschaft mit gut gemachten Serien. Wer künftig was sehen kann ist eine Frage des Geldes. Fernsehen ist dagegen so altbacken wie egalitär.
Da sbild passt zum Text.
Nicht aber auf der Startseite von diezukunft.de. Hier wird heute, 23.11.15 abends dieses Bild mit Hakenkreuz mit dem Text hinterlegt:
"Star Trek aus Deutschland - 2016 erscheinen erstmals Star Trek-Romane von deutschen Autoren"
Das ist strange.
Inzwischen weiß ich auch die Ursache: Es fehlt ein Bild im Bilderwechsler. Texteinblendungen und Bilder laufen so nicht mehr synchron. Das ist also kein "Bug" in der Maschine, sondern hier liegt eine Fehlbedienung vor.
Mit Absicht?
Wie auch immer: bitte schnell ändern!
Wald - Bäume - Danke für den Hinweis!