3. August 2020

„Crosscode“: Unterhaltsame Meta-Spielchen

Nach längerer PC-Exklusivität zieht das Retro-RPG mit Sci-Fi-Anklang auch auf Konsolen in seinen Bann

Lesezeit: 4 min.

Während es unter Spielern etwa bei allzu offener Kräfteungleichheit schon mal vorkommen kann, der Schummelei (besser bekannt als Cheating) bezichtigt zu werden und ein solcher Vorwurf speziell in einschlägigen Fancommunities richtig Beef garantiert, kommt dergleichen als Thema innerhalb von Spieleplots relativ selten vor. Im Action-RPG Crosscode stehen Metaverweise wie dieser ständig auf der Speisekarte und gehören zum guten Ton eines in mehrfacher Hinsicht spannenden Indie-Projekts. Schließlich handelt es sich hier um einen Titel, der tatsächlich von einem Spiel im Spiel erzählt, nämlich der Real Life-Spielwelt CrossWorlds. Dort tummeln sich eingeloggte Zocker mittels Avatare und erleben, zumindest vermeintlich, weitgehend handelsübliche Abenteuer in einem Sci-Fi-inspirierten Setting voller Dungeons, Stadtgebiete und natürlich Feinden.

Nach einem kurzen wie dramatischen Einstieg in Crosscode, der uns gleichzeitig mit einigen Kampf- und Steuerungsoptionen vertraut macht, erwacht unser blauhaariger wie stummer Avatar Lea auf einem Schiff, dessen Crew für den reibungslosen Ablauf von CrossWorlds verantwortlich zeichnet. Als eine Art Security-Einheit eröffnen uns die Helfer das bereits offensichtliche Problem: einen kompletten Gedächtnisverlust unsererseits. Dieses urtypische Videospielklischee, das uns hier in charmanter Art daran erinnert, wie oft wir in der Spielehistorie schon Helden ohne Gedächtnis dabei begleiten durften, ihr Schicksal zu erkennen und sich ihm zu stellen, markiert wie der eingangs erwähnte Schummelvorwurf (der relativ früh im Spiel erfolgt) einen besonderen Reiz von Crosscode.

Denn das bereits 2015 als Early Access zunächst auf PC veröffentlichte und dort 2018 fertiggestellte RPG, das nun seit Anfang Juli auch für PS4, Xbox One und Switch kompetent adaptiert wurde, zelebriert neben dem grafischen Retro-Zauber von 16-Bit-Genreperlen wie Secret of Mana, Zelda oder Chrono Trigger auch dank vieler Anspielungen gerade die damalige Zockerkultur als Ganzes. Wie in genannten RPGs und Action-Adventures früherer Zeit, reisen wir mit unserer Figur durch eine üppige, in insgesamt sieben abwechslungsreiche Großgebiete unterteilte Pixelwelt, in der wir weitere Mitstreiter kennenlernen und zunehmend Wind davon erhalten, was es mit unserem Gedächtnisverlust und den mysteriösen Ereignissen zu Beginn auf sich hat. So entsteht eine gemächliche, schön erzählte Story mit sympathischen Charakteren, wobei man aus heutiger Sicht aber zwingend ein Herz für ausufernde Textblock-Leserei (auch auf Deutsch) und einen im Vergleich zu heute eher zäheren Plotfluss mitbringen muss. Wer nicht gewillt ist, locker 50 Spielstunden aufwärts zu investieren und auch die zahlreichen optionalen Nebenquests nicht angehen möchte, kann sich die aktuell rund 20 Euro auf allen Plattformen sparen.

Denn das volle Paket dieses Titels kann speziell zu Beginn ein wenig überfordern. Es gibt fast schon zu viel zu tun und zu entdecken und erst nach ein paar Stunden hat man den Bogen bei den verschiedenen Gameplay-Elementen vollends raus. Dem Saarbrücker Studio Radical Fish Games gelingt es dabei, Kämpfe wie Rätsel auf motivierende Art zu kombinieren und ihr Abenteuer trotz des Retrolooks spielerisch wesentlich frischer zu gestalten als es die Vorbilder seinerzeit konnten. So verzichtet Crosscode auf nerviges Grinding und lässt uns mit einem Mix aus schnellen Nah- und Fernkampf sehr dynamische Gefechte bestreiten, in denen die Zeit eine wichtige Rolle spielt und es vor allem auf unsere Reflexe und eine kluge Abwägung zwischen Angriff und Ausweichen ankommt.

Gelingt es uns etwa, mittels weitreichender Energieball-Kanone, möglichst viele Gegner, wie bei einem Twinstick-Shooter(!), schnell hintereinander zu erwischen, steigt unsere anschließende Belohnung deutlich an. Da sich oft genug recht viele Gegner auf dem Bildschirm tummeln, geht es meist aber auch ohne diesen Faktor actionreich zur Sache – gegen die schick designten wie gerne übergroßen Bossgegner am Ende eines Dungeons sowieso. Dazu gesellt sich eine Prise Taktik, denn nur, wenn wir die Zeithatz abbrechen, regeneriert unsere Lebensenergie. Größere Belohnung oder mehr Sicherheit? Da fällt die Entscheidung manchmal gar nicht so leicht.

Haben wir ein Gebiet gemeistert, erhält Lea eine weitere Fähigkeit und kann so noch vielfältiger die leider zunehmend etwas redundanten Aufgaben im Stil von „Töte ein Monster hier“ und „Bringe einen Gegenstand dahin“ meistern. Wer will, kann zwischen den erreichten und via Skilltree freigeschalteten Spezialfähigkeiten und Boni auch hin- und herwechseln, sodass man z.B. nie auf nur eine Angriffsart komplett festgelegt ist. Soviel Flexibilität macht ordentlich Lust auf Experimente.

Die Rätsel orientieren sich strukturell an klassischen Verschiebe- und Schalterkopfnüssen, wirken aber wie die Kämpfe weniger krampfig und auch bei der Umsetzung der sehr guten Steuerung flüssiger als bei Secret of Mana und Co. Leicht fällt die Lösung aber eben nicht immer und so dürfte speziell Fans von Zelda bei vielen Türöffner-Aufgaben das Herz aufgehen.

Technisch überzeugt Crosscode auf PS4 und Xbox One auf ganzer Linie, während es auf Switch leider zu Problemen bei der Bildrate kommt (wir spielten auf PS4). Der Soundtrack untermalt das Geschehen meist solide; ein paar markantere Stücke hätten aber gerade mangels gesprochener Sprache und der Dauerdudelei speziell in den ruhigen Erkundungs- und Dialogpassagen nicht geschadet. Das Design belegt hingegen geschickt, wie Programmierer einen Retrolook inszenieren können, der dennoch mit vielen modernen Facetten wie einer deutlich erhöhten Farbdichte und knackigeren Animationen alles andere als altbacken wirkt.

Insgesamt besticht Crosscode weniger durch Brillanz einzelner Elemente, sondern aufgrund des sehr guten Zusammenspiels seiner Teile. Kämpfe, Rätsel und Story wechseln sich gut dosiert ab und gerade die ersten beiden Elemente erweisen sich bei näherer Betrachtung zugleich als zugänglich wie tiefgründig. Speziell der Wegfall des damals üblichen Auflevelns ist dabei echt eine Wohltat. Wer das zu schätzen weiß, gerne viel Zeit in ein Spielerlebnis investiert und nichts gegen leicht naive Charaktere und viel Lesen hat, sollte sich dieses Retrofest also nicht entgehen lassen.

Fazit

Hübsch poliertes wie sympathisch präsentiertes Retro-Abenteuer, das vor allem mit seinem gut durchdachten Kampf- und Rätselmix begeistern kann.  

Crosscode • Radical Fish Games • Retro-RPG • PC/PS4/Xbox One/Switch

Abb. © Deck 13

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