„Encodya“: Mit Kind und Roboter durch Neo-Berlin
Ein Cyberpunk-Adventure, das leider nur so halb zünden mag
Was für eine verpasste Chance, möchte man nach den rund 4-5 Stunden Spielzeit dieses klassischen, bereits seit Ende Januar erhältlichen Point&Click-Adventures gleich festhalten. Denn so liebevoll manche Ansätze auch sein mögen – es gelingt Encodya leider nicht, sein Potenzial komplett zu entfalten. Welche Gründe das hat und warum der Titel dennoch für PC-Spieler eine Option sein kann, klären wir hier im Test.
Berlin soll ja angeblich immer eine Reise wert sein. Encodya versetzt uns in eine dystopische Version der Hauptstadt im Jahre 2062. Dort sind wir mit Tina, einem kleinen Waisenmädchen, und deren Begleiter Sam unterwegs. Sam ist ein Roboter und Beschützer, der über Stärke sowie Sprachfähigkeit verfügt und Tina nicht von der Seite weicht. Mit unserem ungleichen Team erleben wir eine Story, die erst langsam Fahrt aufnimmt und sich gerade zu Beginn die Zeit nimmt, uns den rauen Alltag der beiden Straßenvagabunden vorzustellen.
So beginnt das erste Rätsel mit der Suche nach herumliegender Nahrung in den unwirtlichen Seitenstraßen des an typische Cyberpunk-Städte erinnernden Neo Berlins. Uns erwarten folglich Häuserschluchten mit Neonreklametafeln und leicht japanischen Flair, viele düstere Farbtöne und eine generell nicht gerade freundliche Welt, in der ein fieser Bürgermeister namens Rumpf (wer da wohl Vorbild war?) das Sagen hat. In den einzelnen Szenarien, die wir jeweils nach kurzer Ladezeit erkunden müssen, treffen wir auf menschliche wie künstliche Mitbewohner, die uns in mal mehr, mal weniger gut (englisch) vertonten Dialogen Auskunft über ihr Leben oder aufgabenrelevante Aspekte geben.
Letzteres läuft, wie eingangs angedeutet, sehr klassisch ab. Das heißt, dass wir mit Tina oder Sam in den rund 100 Gebieten via Cursor nach anklickbaren Gegenständen suchen, die wir in unser Inventar aufnehmen, um sie dort hoffentlich korrekt zu kombinieren. Vorab dürfen wir zwischen zwei Schwierigkeitsgraden wählen, wobei uns der erste dazu befähigt, die Story ohne Anstrengung, also mit Hinweisen wie einem Hotspot-Anzeigesystem zu genießen, während der zweite darauf verzichtet. Richtig schwer fallen die Kopfnüsse allerdings ohnehin nicht aus und erreichen nicht ansatzweise das Um-mehrere-Ecken-Denkpotenzial großer Genremeilensteine wie das unvermeidliche Monkey Island.
Besonders schade in diesem Zusammenhang: Obwohl wir uns ja in einer Hightech-Zukunft befinden, greift Encodya bei der Rätselmechanik diese eigentlich doch sehr naheliegende Prämisse kaum auf. Wer also Rätsel mit vielen Gadgets und ein bisschen Science erwartet, wird von den meisten Suchaufgaben eher enttäuscht sein. Selbst die Betrachtung von Objekten, was nun wirklich nichts mit Sci-Fi per se zu tun hat, mutet ohne frei justierbare 3D-Ansicht fast schon altbacken vor diesem thematischen Hintergrund an.
Wenn also die Spielmechanik schon nicht gänzlich fesseln kann und oft nur so dahindümpelt, wie steht es dann mit Story und Atmosphäre? Hier erweist sich Encodya definitiv besser aufgestellt, obwohl auch in diesen Bereichen mehr möglich gewesen wäre. Tina und Sam wachsen einem schnell ans Herz, da ihre Interaktionen und Dialoge charmant geschrieben sind und dank mehrerer Gefühlslagen nicht zu einseitig daherkommen. Leider kann man das nicht über alle Figuren sagen, denn die Qualität der Nebencharaktere fällt sehr unterschiedlich aus. Figuren wie ein mangels genügend Einkommen zur Kriminalität verdammter Uniprofessor oder ein Straßenarbeiter, bleiben bereits zu Beginn des Spiels wenig im Gedächtnis, wohingegen ein menschenhassender Robokollege von Sam etwas mehr Eindruck hinterlässt.
Auch die Inszenierung wechselt sich ab in Höhen und Tiefen. Weckt die Einstiegssequenz mithilfe einer comichaften Panelstruktur noch den Sci-Fi-Fan in uns, kommen einem viele unnötig lange und gehäufte Areale wie eine Streckung der Spielzeit ohne Substanz vor. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Grafisch überzeugt der zeichnerisch ausdrucksstarke, eben leicht comichafte 2,5D-Zukunftslook auch dank sauberer Technik und vieler atmosphärischer Einsprengsel wie Straßengeräuschen durchaus. Dazu sorgen einige treffende Referenzen auf Blade Runner und Co. für die passende Genrestimmung.
Doch gepaart mit viel Mittelmaß bei Figuren und Rätseln, springt der Funke nach einiger Zeit eben auch beim Artdesign nur noch so halb über und versandet wie die letztlich ebenfalls nur durchschnittliche Story. Menschen, die von einem üblen Politiker und Großkonzernen mittels VR medial manipuliert werden, könnte eine kluge Basis für einen kritischen wie cleveren Plot sein. Wenn dann aber nur ein doch recht platter Menschen-sind-hirnlose-Zombies-Twist rausspringt, ärgert man sich über die auch hier verpasste Chance.
Letztlich ist es mit Encodya, das bislang nur auf PC für aktuell für unter 25 Euro zu haben ist, so, dass man, wenn man insgesamt ein leicht überdurchschnittliches Spiel mit netten Charakteren, einigen guten Ideen und stimmungsvollem Setting erwartet, einige vergnügliche Stunden erleben kann. Wem das reicht, kann also beruhigt zugreifen. Wer allerdings mehr erwartet, kann sich den Trip nach Neo Berlin aber eigentlich sparen.
Fazit
Grundsolides, aber eben doch sehr durchschnittliches Adventure, bei dem nur die Helden und das Artdesign etwas herausragen.
Encodya • Chaosmonger Studio • Point&Click-Adventure • PC
Abb. © Assemble Entertainment
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