18. November 2018 3 Likes 3

If I am mad, it is mercy…

Die Adventure-Adaption zu Lovecrafts „Call of Cthulhu“ tänzelt gekonnt zwischen Realität und Wahnsinn

Lesezeit: 7 min.

Auf kaum ein Game haben wir in der Redaktion in diesem Jahr stärker hingefiebert als bei der Adaption zum berühmten Cthulhu-Mythos von Horrorpabst H.P. Lovecraft. Dessen Werk wurde zwar schon oft genug stilbildend ausgeschlachtet, um Film, Serie, Kunst und auch Spiel mit erdrückend einprägsamen Bilderwelten voller Wahn und Schmerz zu bereichern. Dennoch fehlte es bislang im Gaming-Kosmos an einer würdigen „Verspielung“ des Lovecraftschen Oeuvres, bis sich Cyanide Games und Publisher Focus Home (die ja in diesem Jahr bereits mit Vampyr - hier unser damaliger Test - ein weiteres famoses Gothic-Horror-Adventure an den Start gebracht haben) ein Herz nahmen und anhand der offiziellen Lizenz – sowie des konkreten Pen&Paper-Vorbildes von Chaosium – dieses Projekt verwirklichten.

Das Ergebnis liegt nun seit dem 30. Oktober für PS4, Xbox One und PC vor und sollte nicht nur Fans der literarischen Vorlage(n) mehrfach wohligen Schauer bereiten. Den Machern ist nämlich in mehrfacher Hinsicht ein Action-Adventure mit RGP-Einschlag gelungen, das sowohl die prickelnde Atmosphäre aus Lovecrafts Werk transportiert, gleichzeitig aber auch als überraschend flexibles, dennoch nie überkomplexes Spielerlebnis richtig gut funktioniert.

Das liegt vor allem am Storytelling, das sich in 14 jeweils angenehm knapp gehaltenen Kapiteln entfaltet und stark auf Dialoge setzt. Wir übernehmen in Call of Cthulhu die Rolle des abgehalfterten Privatschnüfflers Edward Pierce, der im Jahre 1924 von seltsamen Alpträumen geplagt wird und eines Tages Besuch von einem Mann erhält, der ihn beauftragt, den mysteriösen Tod der Familie Hawkins zu untersuchen. Die verstarb aufgrund eines Feuers in deren eigenem Anwesen auf der Insel Blackwater, die sich in der Nähe von Boston befindet. Von finanziellen Nöten unter Druck gesetzt, machen wir uns als Pierce nach einem kurzen Prolog per Schiff auf den Weg zur Insel, um fortan in mehreren Locations wie dem Hafen, einer Walfangstation, dem Anwesen der Hawkins-Familie, einer Klinik oder einem Höhlensystem quer durch das ganze Gebiet nach Hinweisen zu suchen.

Jedes Kapitel ist dabei auf ein Areal begrenzt, das während des Kapitels nicht verlassen werden kann. Immer in Ego-Perspektive gehalten, klappern wir in bester Sherlock Holmes-Tradition die überschaubaren Gebiete nach Hotspots ab, die uns typische Infomaterialien wie Bücher, Briefe, Tonaufnahmen oder situativ verwendbare Items offenbaren, mit deren Hilfe wir nach und nach in die Geschichte und deren Zusammenhänge eintauchen sowie einige semi-anspruchsvolle Rätsel lösen. Action gibt es in Call of Cthulhu hingegen nur sehr selten.

Werden wir in den mehrfach verteilten Schleichpassagen etwa von Gegnern entdeckt, müssen wir uns schnellstmöglich in eigentlich immer ausreichend dafür vorhandenen Plätzen verstecken, bis die letztlich eher tumb agierende KI von uns ablässt. Wird der psychisch labile Pierce dennoch gefasst und von einem aggressiven Feind erwischt, heißt es sofort zurück zum letzten (automatischen) Speicherpunkt. Die sind zwar großzügig gelegt, doch so ganz mag es sicher nicht jedem schmecken, dass sich der eigentlich recht kräftige Pierce selbst von einem Mann gleich umhauen lässt. Nur gegen Ende geht es sogar mit einem Revolver zur Sache, wobei man auch hier keine Shooter-Mechanik im eigentlichen Sinne erwarten sollte.

Wenn also der Titel nicht mit richtiger Action punktet, dann liegt es umso näher, dass er mit Rätseln und Erkunden in seinen Bann zieht. Und das ist in der Tat der Fall. Die stilvoll integrierten Kopfnüsse sind allesamt sehr logisch, einsteigerfreundlich und wie jedes Spielelement nicht zu dauerpräsent, um schnell zu langweilen. Meist müssen Gegenstände gefunden werden, um Mechanismen in Gang zu setzen oder bestimmte Geheimnisse zu offenbaren. Letzteres geschieht auch mittels der situativ einsetzbaren Rekonstruktionsfähigkeit, mit deren Hilfe Pierce an bestimmten Stellen frühere Ereignisse visualisieren kann. Leider klingt aber speziell dieses Feature spannender als es in der Tat ist. Denn auch in diesem Modus müssen wir letztlich nur im Raum verteilte Hotspots aufstöbern und so eine festgelegte Hinweiskette vervollständigen.

Allerdings spielt das Gameplay dafür mehrfach gekonnt mit unseren Erwartungen, wenn wir beispielsweise mitten in einer Untersuchung beschäftigt sind und uns plötzlich der Schlurfer – ein besonders fieses Ungetüm – nach dem Leben trachtet und wir uns nur mit Wegrennen und Verstecken zu helfen wissen. Ebenfalls gelungen: Es gibt immer mehrere Wege, Rätsel zu lösen und beispielsweise für Ablenkung bei den Wachen zu sorgen.

Neben den einzelnen Kapiteln, die sich wie angedeutet sehr in ihrer spielerischen Ausrichtung zwischen Verstecken, Erkunden, Rätseln oder Dialogführen abwechseln, sind es die Rollenspiel-Aspekte, die für gezielten Tiefgang im Gameplay sorgen. Pierce verfügt über mehrere Talente wie Psychologie, Medizin- und Okultismuskunde, Stärke, Redegewandtheit oder Ermittlung, die sich in mehreren Stufen dank gefundener Bücher oder erspielter Skillpunkte weiterentwickeln lassen.

Haben wir etwa ein besseres Medizinverständnis, ergeben sich erst bestimmte Optionen bei der Analyse von Leichen und damit ein gesteigerter Erkenntnisgewinn für gewisse Tathergänge. Verfügen wir hingegen über eine geschärfte Psychologie, fällt es Pierce leichter, seine Gesprächspartner in den oft genug nicht vorhersehbaren Dialogen zu manipulieren und bestimmte Informationen nicht zu verpassen. Da sich Call of Cthulhu mit Dialogen und genaueren Untersuchungen alles andere als zurückhält, macht es daher durchaus Sinn, Peirce je nach Präferenz gezielt weiterzuentwickeln und so im Fortgang Stärken wie Schwächen einzukalkulieren.

Unsere Entscheidungsfreudigkeit wird auch immer wieder auf die Probe gestellt, um Pierce mentale Entwicklung in verschiedene Richtungen zu lenken. Widerstehen wir etwa der Verlockung von Medizin und Alkohol ebenso wie den Stimmen, die uns Verheißung versprechen? Wenn wir die Wahl haben, Gewalt einzusetzen, tun wir das auch? Passend dazu erwarten uns am Ende mehrere Endings, die Pierce entweder stärker als komplett Irren oder vom Schicksal gezeichneten „Wahrheitssucher“ einer Prophezeiung dastehen lassen – Cthulhu inklusive.

Ganz groß trumpft das Adventure folgerichtig auch bei der düsteren Grundstimmung und den immer wieder eingestreuten Visionen auf. Das spezielle Lovecraft-Feeling kommt nie zu kurz, obgleich man einräumen muss, dass der Wahnsinn spielerisch stärker in den Vordergrund hätte gerückt werden können. Denn die Entwickler hatten diesbezüglich eine sehr gute Idee: Wenn Pierce in mancher Situation in Panik gerät, verengt sich zunehmend sein Blickwinkel und die Steuerung wirkt wesentlich unpräziser. Erst wenn sich der „Held“ wieder beruhigt, normalisiert sich sein Zustand. Leider gibt es viel zu wenig Situationen, in denen dieses Element sinnhaft zum Einsatz kommt und wirklich passt. Hier wäre – wie auch beim Umgang mit Lichtquellen wie der Öllampe oder dem Feuerzeug – leicht mehr drin gewesen, um den Action- bzw. Stealthanteil auszubauen.

Bei der Technik ergibt sich ein zwiespältiges Ergebnis. Speziell auf der PS4 stören ein oft sehr krasses Kantenflimmern sowie die starren Gesichtsanimationen, während die sehr guten englischen Sprecher und gerade das viktorianische Design überzeugen. Auch der punktuell sehr gut akzentuierte, nicht aufdringliche Soundtrack ist ein echter Gewinn und bei Steuerung und Übersichtlichkeit der Kamera gibt es ebenso wie bei den punktgenau gesetzten Lichteffekten oder der Handhabung unseres Avatars nichts zu meckern.

Figuren wie Story prägen sich schnell ein und sorgen für gruselige, aber nur selten wirklich erschreckende Horror-Unterhaltung. Implementierte Jump Scares lassen sich an einer Hand abzählen, aber um diese Art des Grauens ist es den Machern glücklicherweise nicht gegangen. Vielmehr steht die zunehmende Grenzverwischung zwischen Vision und Wirklichkeit im Zentrum des Geschehens, die sich um den Cthulhu-Kult und dessen fanatischen Mitgliedern bei der Erweckung ihres uralten Gottes aufbaut. Was ist Einbildung? Was Wahrheit? Mit diesen Fragen operiert die Dramaturgie meist geschickt, ohne letztlich – bei einigen kleineren Logiklücken - zu eindeutige Antworten zu geben.

Alles in allem ist Call of Cthulhu also ein unterhaltsames, im Sinne der Vorlage gut adaptiertes Horror-Adventure mit starkem Detektiv-Einschlag geworden, das leider gameplay-technisch nicht ganz die gerade bei uns vielleicht etwas zu hoch angesetzten Erwartungen voll erfüllt.

Fazit

Cyanides Lovecraft-Version ist ein intelligent erzähltes wie atmosphärisch am oberen Level der Gothic-Horror-Skala angesiedeltes Adventure, dessen Story und Charaktere bis zum Schluss überzeugen. Gerade der Wechsel zwischen Terror und Grusel auf der einen und den verschiedenen Spielmechaniken wie Erkunden, Entdecken, Rätseln oder Verstecken auf der anderen Seite gelingt Call of Cthulhu richtig gut und motiviert über die 10-12 Stunden Spielzeit konstant. Auch typische Motive des Cthulhu-Kults sorgen für Spannung und dank zahlreicher Texte, Hinweise, Tonaufnahmen oder besonders den alptraumhaften Visionen und den hervorragend geschriebenen Dialogen kann man sich sehr gut mit Hauptcharakter Pierce in die Geheimnisse von Darkwater Island einfinden.

Doch leider beschleicht uns bei den jeweiligen Adventure- oder Action-Konzepten ebenso wie bei der technischen Umsetzung stets das Gefühl, dass noch deutlich mehr möglich gewesen wäre. Speziell das Panik-Feature oder die Rekonstruktionsmomente bleiben viel zu reduziert und fast redundant. Selbiges gilt für das interessante Entscheidungssystem, dessen Auswirkungen aber leider im Spielverlauf kaum ersichtlich sind und bei dem die etwas zu kurzen Endsequenzen kaum dramatisch genug sind, um mehrere Durchläufe zu rechtfertigen.

Dennoch: Wer mit Lovecrafts Werk in Kombination mit einem Mix aus klassischem Detektiv-Gameplay, RPG, Adventure und einer Prise Action ohne hohen Schwierigkeitsgrad glücklich wird, sollte diesem Ruf des Cthulhu auf PS4, Xbox One und PC unbedingt folgen. Wahnsinn kann eben manchmal eine Gnade sein.

Call of Cthulhu: The Official Video Game • Cyanide Studio/Focus Home Entertainment • Horror-Adventure

Abb. © Cyanide Studio/Focus Home Entertainment

Kommentare

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich habs wirklich versucht, und ich hatte echt Spaß an dem Spiel, aber inzwischen ist der gute Herr Pierce so wahnsinnig, dass ich beim Spielen reisekrank werde! *heul*

Bild des Benutzers Alexander Schlicker

So schlimm gleich? Ich hab beim ersten Durchlauf viel zu rational gespielt und jedem Drink ebenso entsagt wie den Offenbarungen. Da war mir Pierce am Ende fast zu nüchtern. Beim zweiten Durchgang ging es aber dann auch bei mir extrem wahnsinnig zur Sache...gefiel mir gleich besser;)

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich hab von vornherein keinen Drink ausgelassen ;-) Und das Fiese: Mir wird ja nicht mal beim Reisen schlecht!

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