Kurz gesagt
Zum Erscheinen von „Weltenzerstörer“: fünf kurze Romane oder lange Kurzgeschichten, die man nicht so schnell vergisst
Es müssen nicht immer tausend Seiten sein, damit uns eine Geschichte vollkommen in ihren Bann schlägt. Im Gegenteil, oft sind es gerade die kürzeren Stories, die man nie wieder vergisst, weil der Plottwist am Ende so krass, die Botschaft so eindringlich, das Setting so faszinierend ist. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Cixin Lius Erzählung „Weltenzerstörer“ (im Shop), die gerade erschienen ist und in der die Menschheit sich gegen einen schier übermächtigen Feind zur Wehr setzen muss, was einiges an Planung und Raffinesse erfordert. Hat man „Weltenzerstörer“ einmal zur Hand genommen, legt man es nicht mehr zur Seite – gut, dass die Geschichte gerade einmal 62 Seiten umfasst! Hier sind fünf weitere Erzählungen, die alle in etwa dieselbe Länge haben und Sie faszinieren, packen und mitreißen werden:
Cordwainer Smith: „Scanner leben vergebens“
Viertausend Jahre in der Zukunft hat die Menschheit das Geheimnis des interstellaren Fluges entdeckt: Dank des „Ersten Effekts“ lassen sich die gewaltigen Distanzen zwischen den Sternen überwinden. Doch der Erste Effekt ist so schmerzhaft, dass nur bestimmte, zuvor veränderte Menschen, die sogenannten Scanner oder Habermänner, ihn ertragen können. Martel ist ein solcher Habermann. Wie sein Leben war, ehe er halb Mensch, halb Maschine wurde, weiß er schon gar nicht mehr. Aber das Menschsein ist selbst in der Zukunft nur schwer abzulegen …
„Scanner leben vergebens“ ist eine der ersten Stories über Cyborgs und fünfzehn Jahre älter als der Begriff selbst, der in „Cyborgs in Space“ von Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline erstmals verwendet wurde. Zwar gab es bereits vorher Geschichten, in denen Mischwesen aus Mensch und Maschine vorkamen, aber Smiths Scanner Martel sticht bis heute aus der Masse seinen Cyborg-Kollegen weit heraus.
Cordwainer Smith: Scanner leben vergebens • Erzählung • Aus dem Amerikanischen von Thomas Ziegler • Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 • E-Only • ca. 52 Buchseiten • € 0,99 • im Shop • auch in dem Sammelband „Was aus den Menschen wurde“ (im Shop) enthalten
Wolfgang Jeschke: „Osiris Land“
Jahre, nachdem die weißen Männer im Kampf um das Horn von Afrika alles mit ihren Bomben verwüstet haben, wagt sich erstmals wieder ein Weißer ins Land der Tuareg: Jack Freyman, genannt Master Jack. Zusammen mit einem Führer und einem Kameltreiber, dem jungen Beshîr, macht er sich auf den Weg durch das zerstörte Land, in dem es kein Wasser und kein anderes Leben gibt als die grausigen Mutanten, um den Rand der bekannten Welt zu erkunden. Denn von dort, aus dem Teil der Welt, der einmal Ägypten war, wird geradezu unglaubliches berichtet: Menschen steigen wieder auf Feuersäulen in den Himmel …
Keiner kann in so wenigen Sätzen ein so umfassendes Bild einer Welt zeichnen wie Wolfgang Jeschke, und „Osiris Land“ ist eines der Paradebeispiele dafür – auch wenn sie zu Jeschkes umfassenderen Erzählungen gehört. Was Master Jack und Beshîr auf ihrer Reise durch die Wüste erleben, verändert nicht nur die beiden Charaktere – es verändert auch uns, die Leser.
Wolfgang Jeschke: Osiris Land • Erzählung • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • E-Only • ca. 70 Seiten • € 1,99 • im Shop
Harlan Ellison: „Ein Junge und sein Hund“
Vic tut alles, um in seiner postapokalyptischen, nuklear verseuchten Welt zu überleben. Ihm zur Seite steht sein treuer Gefährte Blood, ein telepathisch begabter Hund. Als sie auf eine junge Frau namens Quilla June treffen, verliebt Vic sich in sie und folgt ihr in die Unterwelt, dem letzten Refugium der Zivilisation. Hunde sind dort jedoch nicht erlaubt …
Selbst wenn Sie nicht wissen, wer Harlan Ellison ist, werden Sie seine Werke auf jeden Fall kennen: das Drehbuch zu Star Treks „Griff in die Geschichte“ beispielsweise, oder das Computerspiel „Fallout“ vielleicht, das auf Ellisons Erzählung „Ein Junge und sein Hund“ beruht (die wiederum 1975 mit Don Johnson in der Hauptrolle verfilmt wurde). Jedoch werden weder Verfilmung, noch die Spieleserie dem Erlebnis gerecht, diese Story zu lesen, von der ersten Szene bis zur letzten, überraschenden (oder vielleicht auch nicht so überraschenden) Wendung.
Harlan Ellison: Ein Junge und sein Hund • Erzählung • Aus dem Amerikanischen von Eva Malsch • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • E-Only • ca. 60 Seiten • € 1,99 • im Shop • auch in dem Sammelband „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ enthalten (im Shop)
Poul Anderson: „Die Königin der Luft und der Dunkelheit“
Der Planet Roland liegt am äußersten Ende der besiedelten Galaxis. Es ist eine raue Grenzwelt, die scheinbar kein intelligentes Leben hervorgebracht hat. Doch immer wieder verschwinden Kinder der Kolonisten offenbar spurlos im Hinterland. Eric Sherrinford ist Privatdetektiv und wird von einer der Mütter beauftragt, ihren Sohn zu finden. Was ihm im wilden, unzivilisierten Outback begegnet, ist schier unglaublich …
Für „Die Königin der Luft und der Dunkelheit“ wurde Poul Anderson 1972 mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet – und das völlig zu recht. Das, was Eric Sherrinford im Outback entdeckt, stellt ihn, die Gesellschaft, aus der er kommt, und letztendlich auch uns Leser vor eine Herausforderung, die heutzutage gewaltiger denn je erscheint: das Zusammentreffen mit Wesen, die uns völlig fremd erscheinen.
Poul Anderson: Die Königin der Luft und der Dunkelheit • Erzählung • Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr • Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 • E-Only • ca. 51 Seiten • € 1,99 •im Shop
George R. R. Martin: „Sandkönige“
Simon Kress ist ein reicher Playboy auf dem Planeten Baldur, der exotische Tiere sammelt. Seine neuste Anschaffung, zu der er auf Umwegen gekommen ist, ist eine Kolonie Sandkönige: ein unbewegliches Weibchen sitzt in der Mitte des Terrariums und steuert telepathisch eine Reihe Männchen wie Drohnen, die ihr Nahrung bringen und sie beschützen, indem sie eine Sandburg um das Weibchen bauen. Kress lässt sie gegeneinander kämpfen, um sich und seine Freunde zu amüsieren. Doch die Sandkönige haben Eigenschaften, mit denen er so nicht gerechnet hätte – und das bekommen Kress und seine Freunde zu spüren, als die Sandkönige eines Tages aus ihrem Terrarium entkommen …
Angeblich ist „Sandkönige“ von einem Studienkollegen Martins inspiriert, der Piranhas hielt, denen er ab und an einen Goldfisch ins Becken warf – gruselige Vorstellung! Auf jeden Fall ist „Sandkönige“ die perfekte Einstiegsdroge in George R. R. Martins Schaffen jenseits von „Game of Thrones“: es gibt genug Ähnlichkeiten mit der TV-Serie, um Gefallen bei deren Fans zu finden, und ist zugleich so anders, dass sie Lust auf mehr macht. Von der unvergesslichen „Moral von der Geschichte“ ganz zu schweigen!
George R. R. Martin: Sandkönige • Erzählung • Im Sammelband Traumlieder II enthalten • Aus dem Amerikanischen von Hanelore Hofmann • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • Paperback • € 14,99 • im Shop
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