Von Elefanten und Zombies
Robert A. Heinleins Sammlung „Entführung in die Zukunft“
Robert Heinlein (1907-1988). Schwieriger Fall. Trennen wir sein Werk ganz grob in „vor 1955“ und „nach 1955“, einfach mal so. Der Heinlein „vor 1955“ war ein Schriftsteller, der dem Genre massive Impulse setzte. Er debütierte 1939 mit der Kurzgeschichte „Life-Line“, da war er schon über 30. Und erwachsen. Das machte bereits sein Frühwerk klar, das einen wissenschaftlich versierten und sozial wachen Autor zeigte, der mit den Pulp-Geschichten seiner Kollegen eher wenig am Hut hatte. In jener Zeit entstanden die berühmte „Future History“ und die meisten der Jugendbücher. Beide Reihen setzten für ihre Zeit Maßstäbe. Aber Heinlein hatte Ambitionen, die weit darüber hinausgingen. „Starship Troopers“ (1959), eigentlich auch als Jugendbuch vorgesehen, war die erkennbare Zäsur in seinem Werk. Und praktisch alles, was danach kam, kann man getrost als heikel, seltsam, verwirrt und verworren betrachten. Seine zunehmend konservative (vorsichtig formuliert) Weltanschauung, die er nach dem 2. Weltkrieg entwickelte, trat immer stärker in den Vordergrund und mit der konnte nicht jeder etwas anfangen.
Was uns zu „Entführung in die Zukunft“ (im Shop) bringt, einer Storysammlung mit Geschichten aus den Jahren 1941 bis 1959.
• Schwerpunkt ist allerdings nicht die berühmte Titelgeschichte, sondern „Das unerfreuliche Gewerbe des Jonathan Hoag“ (1942), eine Novelle, die fast Zweidrittel des Buches ausmacht. Und die ist keine (Hard-) SF, eigentlich nicht mal SF, sondern… Urban Mystery. Lange bevor dieser Begriff überhaupt geprägt wurde. Und die sehr viel von Philip K. Dick hat, zehn Jahre bevor dieser das erste Mal eine Story veröffentlichte. Es ist die Geschichte eines Mannes, der zwei Privatdetektive engagiert, die ihm tagsüber folgen sollen. Denn wann immer ihn jemand fragt, was er eigentlich tut und macht, weiß er keine Antwort.
• Auch die zweite Story, „Der Mann, der in Elefanten reiste“ (1948/1957), gehört eher in die Kategorie Fantasy/Weird Fiction, vielleicht könnte man sogar von magischem Realismus sprechen.
• Es folgt die Titelgeschichte (eher bekannt unter dem Originaltitel „All You Zombies“), die 1958 entstand und zweifellos zu den populärsten Storys der SF gehört. Eine Zeitreisegeschichte, so kompliziert oder komplex aufgezogen, so komplett irrsinnig, dass noch heute der eine oder andere Mund offen stehen dürfte. Mal ganz abgesehen davon, dass der Protagonist intersexuell ist. 1958, das muss man sich mal überlegen.
• „Sie“ (1941) geht wieder schwer in Richtung PKD, nimmt sogar irgendwie dessen Spätwerk vorweg. Hier ist der Protagonist fest davon überzeugt, zu den wenigen echten Geschöpfen (= Göttern) des Universums zu gehören. Und eigentlich haben seine Mitgötter das Universum sogar nur erschaffen, um ihm eins auszuwischen. Behauptungen, die ihn in der „Realität“ allerdings in die Psychiatrie führen.
• Anschließend kommt „Unsere schöne Stadt“ (1949), eine kleine Fingerübung, in der eine Katze (Katze! Wichtig bei Heinlein) … ah, das wird nicht verraten.
• Und am Schluss der Sammlung findet sich „Das 4-D-Haus“ (1941), die von allen Storys des Bandes am stärksten das Hard-SF-Element von Heinlein repräsentiert. Hier baut ein Architekt ein Gebäude, das in vier räumlichen Dimensionen existiert, was ja viel wirtschaftlicher und materialsparender ist, da man viel mehr Menschen auf weniger Raum unterbringen kann. Klar läuft das nicht ganz so, wie geplant.
„Entführung in die Zukunft“ zeigt Heinleins eher schräge Seite, fernab von Weltraumfahrern, galaktischen Imperien oder bizarren politischen Ideen. Es ist eine Seite, die man durchaus mal entdecken sollte. Ganz abgesehen von Heinleins Jugendbüchern, die noch immer einen gewissen Charme haben.
Robert A. Heinlein: Entführung in die Zukunft • Storysammlung • überarbeitete Neuausgabe • Wilhelm Heyne Verlag, München 2019 • als E-Book und Taschenbuch erhältlich • Preis des E-Books: € 9,99 (im Shop)
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