Indiana Jones zwischen den Sternen
Alastair Reynolds’ „Okular“ ist mehr als nur eine atemberaubende Schnitzeljagd durch unser Sonnensystem
„Okular“ beginnt für einen Science-Fiction-Roman relativ bodenständig. Er erzählt die Geschichte der Familie Akynia, die es in den letzten Jahrzehnten innerhalb der neuen Supermacht Afrika, zu Geld und Macht gebracht hat. Der Roman setzt ein, als Eunice, legendäre Astronautin und Weltraumforscherin und Patriarchin des gesamten Akinya-Clans, im Alter von hunderteinunddreißig Jahren stirbt. Zum Zwecke der Trauerfeier versammelt man sich nun – in Persona oder mittels eines Avatars – auf dem Stammsitz der Familie in Kenia.
Was beginnt wie eine klassische Familiensaga, wird unter der Feder von Alastair Reynolds jedoch schon bald zu einem Science-Fiction-Epos von gewaltigen Ausmaßen, denn auf der Erde verweilen wir nicht allzu lange. Eunice’ Enkel Geoffrey - der Außenseiter der Familie, der lieber Elefanten im Amboseli-Becken beobachtet als sich mit Leib und Seele dem Familienimperium zu verschreiben – lässt sich von seinen beiden Cousins beschwatzen, zum Mond zu reisen und das Schließfach auszuräumen, das Großmutter Eunice dort einst angemietet hatte. Den Inhalt möge er bitte schleunigst zur Erde zurückbringen. In diesem Schließfach findet Geoffrey jedoch nur den Handschuh eines alten Raumanzuges sowie einige Plastiksteine. Seine Neugierde ist geweckt, er will unbedingt herausfinden, was es mit Eunice‘ Hinterlassenschaft auf sich hat und beginnt Nachforschungen anzustellen. Bei seiner Suche kommt er schließlich nicht nur den illegalen Machenschaften seiner Großmutter auf die Spur, sondern auch einem geheimen Projekt auf dem Merkur – ein gewaltiges Teleskop, mit dem man Welten jenseits unseres Sonnensystems beobachten kann und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Doch Alastair Reynolds wäre nicht Alastair Reynolds, wenn er es dabei belassen würde. „Okular“ ist mehr als eine die bloße Queste unseres Helden, die ihn auf der Jagd nach dem großen Geheimnis von einem Planeten zum nächsten führt. Reynolds’ Vision ist, so scheint es zumindest, eine bessere Welt. In seinem Afrika gibt es keine Krankheiten, keine Kriminalität und keine Hungersnöte mehr. Jeder hat Zugang zu einem schier unbegrenzten Datenfluss und wer nicht mehr auf der Erde leben möchte, sucht sich eben ein gemütliches Plätzchen auf dem Mond oder einem anderen Planeten. Klingt fast paradiesisch, oder? Ist es aber nicht. Denn was der Menschheit im Allgemeinen und den Akinyas im Besonderen zum Verhängnis werden wird, ist der Mensch selbst.
„Okular“, der Auftakt der Poseidon-Trilogie, ist angereichert mit vielen wissenschaftlichen Details und faszinierenden Technikvisionen, und man darf gespannt sein, was sich Alastair Reynolds in der Fortsetzung „Duplikat“ (im Shop), die im Marz 2017 erscheint, noch alles einfallen lässt.
Alastair Reynolds: „Okular“ ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen von Irene Holicki ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 ∙ 816 Seiten ∙ E-Book: € 8,99 (im Shop)
Kommentare