27. Januar 2020

Alles nur Theater!

Warum manche Berufe aussterben werden – und warum Puppenspieler nicht dazu gehören werden

Lesezeit: 4 min.

Holographien, Hologramme, virtuelle Realität – alles Unsinn! Die Zukunft liegt in der Vergangenheit, das Puppenspiel kehrt zurück. Nicht nur der von mir sehr geschätzte Barde Rainald Grebe ist von Haus aus gelernter, ja diplomierter Puppenspieler – andere sind es auch, und sind glücklich damit (wie ich hoffe).

Meine Zuversicht in Sachen Puppenspiel ist durchaus biografisch grundiert. In meiner Kindheit besaß ich eine aufklappbare Kasperlebühne aus Holz und eine jüngere Schwester aus Schwester. Der spielte ich gerne Kasperlepuppenspiele vor, und sie war ein dankbares, wenn auch leicht ermüdbares Publikum. Die zur Aufführung gebrachten Kasperlestücke waren deswegen kurz und knapp. Oft improvisierte ich, gelegentlich setzte ich ein kleines Drama aus einer Broschüre um, die „Kasperlestücke für den Hausgebrauch“ oder so betitelt war. Die Stücke darin waren kurz und knapp und auch für unbeholfene Kinderhände gut spielbar.

Einige der Stücke waren erstaunlich weitsichtig und könnten noch morgen, geeignete Handpuppen und eine aufklappbare Kasperlebühne aus Holz vorausgesetzt, von Kinderhand gespielt werden. Das ist gut. Denn wie wir alle wissen, viele Berufe werden im Zuge der Digitalisierung vom Angesicht der Erde verschwinden: Chirurgen und Steuerberater, Piloten und Taxifahrer, Cowboys und Indianer. Was bleiben wird: der Puppenspieler! Wer sich also für die Zukunft wappnen will, übe schon jetzt und fleißig.

Es folgt kostenlos ein Stück, das ich allen, die um ihr berufliches Vorankommen Sorge tragen, wärmstens ans Herz legen möchte:

 

„Kasperle ist gar nicht da!“

Figuren: Der Professor, Seppel, der Polizist, Gretel

Auftritt: Der Professor.
Der Professor trägt eine Brille und ein mächtiges Kinn zur Schau. Er räuspert sich, als gelte es, gleich eine wuchtige Rede zu halten.

Der Professor: Guten Tag. Ich bin Professor Doktor Moithen, Koryphäe für Moitherei. Ist denn niemand da?

Publikum schreit und johlt Sachen wie: Doch! Wir sind alle da! Schau doch hin, du blinde Tüte!
(Der Professor ignoriert das johlende Publikum, dessen Geschrei offenbar unter seiner Würde ist.)

Auftritt Seppel: Hallo? Halli hallo?
Der Professor (ungehalten): Ja, was ist denn? Was ist denn schon wieder? Wieso hat man nie seine Ruhe, nicht wahr?
Seppel: Haben Sie mein Krokodil gesehen?
Der Professor: Was für ein Krokodil denn?
Seppel: So ein langes, grünes, mit großer Schnauze.
Der Professor: So ein langes, grünes, mit großer Schnauze?
Seppel: Genau!
Der Professor: Nein. Und selbst, wenn ich eines gesehen hättete, was ich wohlbemerkt als braver Deutscher nicht habe, hätte ich keines gesehen, weil ich mich als Patriot geweigert hättete, es zu sehen!
Seppel: Hättete?
Der Professor: Das ist Konjunktiv III. Das versteht er nicht, er simpler Seppel.
Seppel: Wo kann es denn sein? Hallo? Halli hallo? Krokodilchen? Krokodölchen?
Der Professor: Hier ist es jedenfalls nicht. Sonst würde man es ja sehen. Überhaupt: Ein Krokodil gehört nicht zu Deutschland, nämlich.
Seppel: Inwiefern nicht?
Der Professor (mit wichtiger Stimme): Insofern nicht!
Seppel: Ach so.
Der Professor: Denn das Krokodil an sich, nicht wahr, stammt aus Afrika!
Seppel: Dieses nicht. Es ist hier geboren.
Der Professor: Wieso? Wie das? Wie, hier geboren?
Seppel: Aus einem Ei. Im zoologischen Garten an der Wupper. Aus einem Krokodils-Ei ist es geschlüpft.
Der Professor: An der schönen deutschen Wupper?
Seppel: Ebenda!
Der Professor: Deswegen ist es noch lange kein Deutscher!
Seppel: Habe ich ja auch gar nicht behauptet.
Der Professor: Das möchte ich Ihnen auch nicht geraten haben. Dem stünden nämlich die Gene, nämlich, und der kulturelle Unterschied, der ein gewaltiger ist, entgegen, und das sage ich als Professor!
Seppel: Sie sind Professor?
Der Professor: Allerdings!
Seppel: Immer?
Der Professor: Natürlich immer.
Seppel: Auch jetzt?
Der Professor: Jetzt ganz besonders.
Seppel: Uiuiui!
Der Professor: Außerdem hat so ein Krokodil, nämlich, messer …
Seppel (erschrocken): Ein Messer?
Der Professor: … messerscharfe …
Seppel (erleichtert und bestätigend): Augen!
Der Professor: Zähne. Messerscharfe Zähne hat es, und das darf es nicht!
Seppel: Wieso nicht?
Der Professor: Weil es verboten ist!
Seppel: Mein Krokodil ist verboten?
Der Professor: Es ist verboten, messerscharfe Messer zu besitzen, nämlich, als Krokodil und überhaupt.
Seppel: Wo ist eigentlich der Kasper?
Der Professor: Der wer?
Seppel: Der Kasper!
Der Professor: Woher soll ich das denn wissen?
Seppel: Ich dachte, Sie sind Professor!
Der Professor: Bin ich ja auch. Aber Professor für Meuterei und Anverwandtes, nicht wahr, und nicht für die Lokalisierung und Ortung und Inhaftnahme von Kasperlepersonen.
Seppel: Nicht?
Der Professor: Nicht im Geringsten.
Seppel: Uiuiui!
Der Professor: Mein Herr, Sie vergeuden meine Zeit! Ich habe drei Kinder aus erster und zwei aus zweiter Ehe, wenn Ihnen das was sagt. Das macht zusammen fünf! Und meine dritte Frau brachte fünf Kinder fix und fertig mit in meine dritte Ehe, und dieselbe ist insgesamt zwanzig Jahre jünger als ich. Also: drei plus zwei plus fünf minus zwanzig, per Saldo.
Seppel: Und es ist kein Krokodil darunter?
Der Professor (stolz): Nicht eines!
Seppel: Und kein Kasperle?
Der Professor: Wer weiß das schon?

(Der Polizist tritt auf, hinter ihm die Gretel.)

Der Polizist: Sind Sie der Herr Professor Moithen? Moithen mit „oi“?
Gretel: Hihi.
Der Professor: Bitte?
Der Polizist: Ob Sie der Moithen mit „oi“ sind. Also, was ist? Sie haben mich schon verstanden!
Gretel: Hihi:
Der Professor: Mit „oi“? Das wäre mir neu!
Der Polizist: Ach ja? Wo waren Sie denn?
Der Professor: Wann?
Gretel: Hihi.

Vorhang.

Meine Schwester ist eh schon wieder eingeschlafen.

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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