9. November 2018

Der steinige Weg eines Helden

Eine Leseprobe aus Christopher Ruocchios großem Space-Epos „Das Imperium der Stille“

Lesezeit: 15 min.

Mit seinem Debütroman „Das Imperium der Stille“ (im Shop) hat der junge amerikanische Autor Christopher Ruocchio ein gewaltiges Werk vorgelegt, in dem wir seinen Helden Hadrian Marlowe durch ein atemberaubendes Abenteuer in einem riesigen Sternenreich begleiten. Hadrian Marlowe wird die schwindelerregenden Höhen des Ruhmes ebenso kennenlernen wie die dunkelsten Abgründe. Wie die folgende Leseprobe zeigt müssen sich jedoch auch die größten Helden der Galaxis, bevor sie zu ebendiesen werden können, erst einmal mit ihren Eltern auseinandersetzen.

 

 

DER TEUFEL UND DIE LADY

 

»NICHT DEINE ELEGANTESTE Performance, Hadrian.«

Die Stimme meiner Mutter trug weit genug über die dunklen Holzpaneele, die den Fußboden meines Schlafzimmers bildeten. Eine dunkle Altstimme, geprägt vom Akzent des delianischen Adels und poliert durch die zahlreichen Reden und Auftritte der vergangenen Jahrzehnte. Sie war nicht nur First Lady, sondern zudem Librettistin und Filmemacherin.

»Crispin wollte ja nicht beiseiterücken.« Mehr brachte ich nicht heraus, während ich mit den Silberknöpfen meines besten Hemds spielte.

»Crispin ist fünfzehn und leider ausgesprochen reizbar und launisch.«

»Ich weiß, Mutter.« Ich warf mir die Hosenträger über die Schultern und machte sie fest. »Ich verstehe nicht, wieso mich Vater nicht … nicht zu dieser Besprechung hinzugebeten hat.«

An ihrer gedämpften Stimme hörte ich, dass Mutter sich von der Tür des Wandschranks wegbewegt hatte und zu dem hohen Fenster herübergegangen war, von dem aus man aufs Meer sehen konnte. Das tat sie oft. Lady Liliana Kephalos-Marlowe neigte dazu, sich Fenstern zuzuwenden. Das hatten wir gemeinsam, dieses Bedürfnis, woanders zu sein. Egal, wo. »Musst du das wirklich fragen?«

Musste ich nicht. Statt zu antworten, warf ich mir meine samtseidene Weste über und glättete den Kragen. Nun, ordentlich gekleidet, öffnete ich die Tür und trat aus meinem Schlafzimmer. Mutter stand tatsächlich am Fenster. Meine Gemächer lagen hoch oben im Bergfried an der nordöstlichen Ecke des quadratischen Turms. Von dort hatte ich einen bestechenden Blick über die Mole und den Ozean, der dahinterlag, und konnte meilenweit bis zu den Windinseln sehen, die dunkel vor dem Horizont lagen, allerdings kaum erkennbar, weil sie sich nicht über den Meeresspiegel erhoben. Mutter wandte sich zu mir um. Sie trug niemals Schwarz, hatte nie die Farben und das Wappen der Marlowes für sich angenommen. Sie war eine Nachfahrin des Hauses Kephalos, ihre Mutter, die Vizekönigin, beherrschte in ihrer Eigenschaft als Herzogin zudem den ganzen Planeten, und das trug sie stolz vor sich her. Für die abendliche Gesellschaft – das Begrüßungsbankett für Direktorin Adaeze Feng und ihre ganze Gruppe – hatte meine Mutter ein so enges Kleid aus weißer Seide gewählt, dass es aus synthetischen Fasern geschneidert sein musste. Es wurde über einer Schulter mit einer Goldbrosche zusammengehalten, die die Form des Kephalos- Adlers hatte. Mutters honigbronzenes Haar war am Hinterkopf zusammengefasst und hochgebunden, und es fiel in Ringellöckchen vor ihren Ohren herab. Sie war schön auf jene Art, die allen Paladinfrauen eigen ist. Das Abbild der verschwundenen Sappho in lebenden Marmor gemeißelt, allerdings auch genauso kalt.

»Dein Haar ist fürchterlich.«

»Danke, Mutter«, sagte ich in gemessenem Ton und schob mir die lockigen Ponyfransen hinters Ohr.

Lady Lilianas rotbemalter Mund öffnete sich. Sie suchte nach Worten. »Das war kein Kompliment.«

»Nein«, räumte ich ein, während ich in den Gehrock schlüpfte, dessen linke Brust eine Stickerei des Teufels meines Hauses zierte.

»Du solltest es wirklich schneiden lassen.« Jetzt wandte sie sich vom Fenster ab und streckte die Hände aus, um meinen Kragen glatt zu ziehen.

»Vater verwechselt mich auch so schon mit Crispin.« Wortlos ließ ich zu, dass sie mir den Rock glättete, und strafte sie lediglich mit meinem vernichtendsten Blick. Ihre eigenen Augen waren bernsteinfarben, weitaus wärmer als Vaters. Dennoch war es eine Wärme, die mich nicht erreichte. Ich wusste, wenn sie ihrem eigenen Willen hätte folgen können, wäre sie schon wieder in Artemia bei ihrer Familie und ihren Frauen gewesen und hätte nicht mit uns Marlowes an diesem düsteren, aschgrauen Ort gesessen. Mit uns Marlowes mit unseren kalten Augen und unserer noch kälteren Art – und dem allerkältesten Ehemann.

»Das tut er nicht.« An der unterdrückten Hast ihrer Worte erkannte ich, dass sie nicht begriffen hatte, was ich damit eigentlich hatte sagen wollen.

»Dann will er also, dass Crispin meinen Platz einnimmt?« Noch immer starrte ich sie böse an, während sie die Schultern meiner Jacke glatt zog.

»Ist es nicht das, was du willst?«

Jetzt blinzelte ich verblüfft. Darauf fand ich keine Antwort, jedenfalls nicht, ohne das empfindliche Gleichgewicht meiner Welt ins Wanken zu bringen. Was hätte ich sagen können? Nein? Aber ich wünschte mir den Posten meines Vaters ebenso wenig, wie ich Erster Strategos der Orion-Legionen sein wollte. Ja? Aber dann würde eines Tages Crispin herrschen, und Crispin … Crispin wäre eine Katastrophe. Das war es: Zwar wollte ich den Thron meines Vaters nicht, aber noch weniger wollte ich, dass Crispin eines Tages ihn erhielt.

Mutter trat von mir weg und kehrte ans Fenster zurück. Ihre Absätze klapperten über den Fliesenboden. »Ich kann mich nicht rühmen, Einblick in die Pläne deines Vaters zu haben …«

»Wie auch?« Ich richtete mich zu meiner ganzen, wenig beeindruckenden Höhe auf. »Du bist ja niemals hier.«

Mutter reagierte nicht im Geringsten zornig, sah mich nicht einmal an. »Glaubst du, irgendjemand würde aus freien Stücken hierbleiben?«

»Sir Felix hat sich dazu entschlossen«, gab ich zurück und zog mir die Jacke fester um die schmalen Schultern. »Und Roban und die anderen auch.«

»Sie erhoffen sich davon Aufstiegsmöglichkeiten für sich. Ländereien, eigene Titel. Eine kleine Burg.«

»Sie bleiben nicht aus Treue zu meinem Vater?«

»Keiner von ihnen kennt deinen Vater, außer vielleicht Felix. Nicht einmal ich kann das behaupten, und ich habe ihn geheiratet.«

Das wusste ich zwar schon, aber es erschütterte mich jedes Mal aufs Neue, wenn sich mir offenbarte, wie fremd sich meine Eltern waren. Ganz leise nickte ich und erkannte erst dann, dass meine Mutter das nicht wahrnahm, weil sie mir den Rücken zuwandte. »Er ist niemand, der Vertrautheit inspiriert«, sagte ich endlich und verzog unwillkürlich das Gesicht.

»Und das solltest auch du nicht tun, falls du eines Tages an seiner statt regieren wirst.« Lady Liliana wandte sich nun halb zu mir um und betrachtete mich durch ihre bronzefarbenen Locken. Die Bernsteinaugen blickten hart und müde. Ich glaube, in diesem Augenblick wurde mir zum ersten Mal ihr Alter bewusst. Ich sah nicht die junge Erwachsene, als die sie sich stets gab, sondern die beinahe zwei Jahrhunderte, die sie in Wirklichkeit zählte. Doch der Augenblick verging sofort, als sie fortfuhr: »Du musst vorangehen und nicht am Rand stehen.«

»Falls ich regiere?«, wiederholte ich.

»Das steht ja nicht zwangsläufig fest«, erklärte sie. »Möglich, dass er sich für Crispin entscheidet oder dass er sich ein drittes Kind aus den Tanks bestellt.« Da sie meine Antwort vorausahnte, fügte sie hinzu: »Nur weil das Haus Marlowe bisher stets das älteste Kind zum Erben bestimmt hat, heißt das nicht, dass es so bleiben muss. Das Gesetz lässt deinem Vater freie Hand bei der Wahl seines Nachfolgers. Nimm nichts vorweg.«

Ein wenig verletzt sagte ich: »Alles in Ordnung. Es spielt keine Rolle, das ist …«

Sie unterbrach mich: »… ganz richtig, es spielt keine Rolle. Komm jetzt, wir sind schon fast zu spät.«

 

Bis man das Dessert servierte, entstanden und verglühten Sterne. Während der Toasts schwieg ich tapfer, ebenso während des Salats und länger noch, als Scharen von Dienstboten neue Gerichte brachten und zwischendurch den Tisch abräumten. Und ich hörte zu, wobei ich mir der Wut nur allzu bewusst war, die um meinen Vater herum Zeit und Raum veränderte wie die Schwerkraft. Insgeheim war ich dankbar, dass die Direktorin und ihre Entourage mich von meinem gewohnten Platz zu seiner Rechten verdrängt hatten. Ein Tag war seit meinem verspäteten Auftritt im Thronsaal vergangen, und bisher hatte mein Vater noch nicht wieder mit mir gesprochen. Das war an sich nicht weiter ungewöhnlich, aber dass ich nach dem, was ich getan hatte, noch nicht zurechtgewiesen worden war, machte mich unruhig.

Also aß ich, hörte zu und studierte die seltsamen, beinahe außerirdischen Gesichter der Würdenträger des Konsortiums. Die Plutokraten verbrachten ihr ganzes Leben im Weltraum, und die zentripetale Schwerkraftimitation, die ihre riesenhaften Kreiselschiffe umgab, konnte nicht verhindern, dass sie das körperlich veränderte. Hätte es keine Gentherapien gegeben, die den Körper ähnlich grundlegend veränderten wie die Maßnahmen, denen ich meine Geburt verdankte, wäre es ihnen gar nicht möglich gewesen, überhaupt auf Delos zu stehen. Die Schwerkraft unseres Planeten lag verglichen mit dem Standardwert bei eins und ein Zehntel; sie hätte diese Wesen zermalmt und sie wie Fische auf dem Trockenen nach Luft schnappen lassen.

»Indem sie nun einen Angriff jenseits des Schleiers gewagt haben, sind die Cielcin zu weit gegangen«, sagte gerade Xun Gong Sun, einer der Juniorminister des Konsortiums. »Das sollte der Imperator nicht hinnehmen.«

»Der Imperator nimmt es auch nicht hin, Xun«, erklärte Direktorin Feng milde. »Deswegen herrscht schließlich Krieg.« Ich betrachtete die Direktorin. Wie die anderen Mitglieder der Konsortiumsdelegation war auch sie völlig haarlos, und die Wangenknochen und der Stirnbereich, an dem sich sonst die Brauen befunden hätten, war besonders hervorgehoben worden, um die schrägen, schmalen Augen zu betonen. Ihre Haut war dunkler als die der anderen und hatte beinahe die Farbe von Milchkaffee. Sie wandte sich nun an meine Mutter und meinen Vater. »Der Fürst von Jadd hat zwölftausend Schiffe für den Krieg bereitgestellt, unter dem Kommando von Darkmoon, einem seiner Enkel. Selbst die Tavrosi-Clansleute sind ausgelaufen.«

Mein Vater stellte sein Glas Kandarenerwein auf den Tisch und machte eine sorgsam einstudierte Pause, bevor er antwortete. »Das wissen wir, Madame Direktorin.«

»Nun, tatsächlich.« Lächelnd hob sie ihr Glas. Ihre Finger sahen aus wie dünne Grashüpfer, die einander zuwinkten. »Ich meine nur, all diese Schiffe werden Treibstoff brauchen, Mylord.«

Der Lord von Devil’s Rest starrte die Direktorin an, ließ die Schneidezähne kurz über seine Unterlippe gleiten, dann faltete er die Hände auf dem Tisch. »Sie brauchen uns nicht zu überzeugen. Die Zeit dafür wird schon schnell genug kommen.«

Seine Bemerkung sorgte für leises Gelächter von den Ministern am Fuße des Tisches, und Crispin, der mir gegenübersaß, grinste. Ich sah zu Gibson hinüber und hob die Augenbrauen.

»Günstige Gelegenheiten gibt es überall, und die aktuelle Situation verschafft uns einen momentanen Vorteil, trotz der jüngsten Tragödie auf Cai Shen.«

Oft schon hatte ich meinen Vater in diesem Modus erlebt, belehrend und gebieterisch. Seine Augen – meine Augen – ruhten nie an einer Stelle oder auf einem Gesicht, sondern huschten ständig über seine gesamte Umgebung. Sein tiefer Bass trug weit und berührte mehr das Brustbein als das Ohr. Er hatte eine gewisse Ausstrahlung, eine kalte Anziehungskraft, die alle, die ihm zuhörten, seinem Willen unterwarf. In einem anderen Zeitalter, in einem anderen Universum hätte er vielleicht sogar Cäsar sein können. Aber in unserem Imperium gibt es schon mehr als genug Cäsaren. Wir züchten sie hier geradezu, daher war er dazu verdammt, Größere als ihn zu erdulden.

»Ist es wahr, dass die Bleichlinge Menschen fressen?«

Crispin. Der unverblümte, taktlose Crispin. Ich fühlte, wie alle Anwesenden am Tisch erstarrten. Seufzend schloss ich die Augen und nahm einen Schluck von meinem Wein, einem Blauen Carcassoni, während ich darauf wartete, dass der Sturm losbrach.

»Crispin!« Mutters Stimme trug in gut einstudiertem Bühnenflüstern weit durch den Raum, und als ich die Augen wieder öffnete, starrte sie meinen Bruder an und warf auch der Konsortiumsdirektorin einen Blick zu. »Nicht bei Tisch!«

Aber Adaeze Feng schenkte meiner Mutter lediglich ein Lächeln. »Das ist schon in Ordnung, Lady Liliana. Wir waren alle einmal Kinder.«

Ohne das geringste Bewusstsein für seinen Fauxpas sagte mein Bruder: »Ich habe das einmal von einem Raumfahrer gehört, dass sie Menschen als Nahrungsquelle nutzen. Stimmt das?« Gespannt beugte er sich vor, und ich hätte um alles Gold auf Forum gewettet, dass ich ihn noch nie so interessiert hatte dreinblicken sehen.

Ein anderes Konsortiumsmitglied sagte mit einer Stimme, die tiefer war als die Gräben der See: »Das ist durchaus möglich, junger Herr.«

Ich sah den Sprecher an, der zwischen Gibson und Tor Alcuin ungefähr in der Mitte der Längsseite des großen Esstisches saß, neben einer dampfenden Schüssel mit Fischsuppe und verschiedenen Weinen in roten, wie Figuren geformten Krügen. Er hatte die dunkelste Hautfarbe, die mir je begegnet war, dunkler noch als die Direktorin, sogar noch dunkler als mein Haar, und als er lächelte, erschienen seine Zähne im Vergleich weiß wie die Sterne. »Aber nicht immer. Meistens werden die Ureinwohner eroberter Kolonien eher verschleppt und als Sklaven ausgebeutet.«

»Oh.« Crispin klang enttäuscht. »Dann sind sie nicht alle Kannibalen?« Sein Gesicht verdüsterte sich, als hätte er sich brennend gewünscht, dass alle Außerirdischen monströse, menschenfressende und mörderische Geschöpfe seien.

»Kannibalen sind sie alle nicht.« Jetzt sahen mich alle an, und erst da begriff ich, dass ich es war, der gesprochen hatte. Ich holte langsam Luft und sammelte mich. Das hier war immerhin mein Fachgebiet. »Sie essen uns, nicht ihresgleichen.« Wie viele Stunden hatte ich damit verbracht, an Gibsons Seite die Cielcin zu studieren? Wie viele Tage hatte ich ihre Sprache zu durchdringen versucht und sie nach den wenigen Texten und Gesprächen, die während der dreihundert Jahre Krieg abgefangen worden waren, erlernt. Die Cielcin hatten mich fasziniert, seit ich lesen konnte – vielleicht sogar noch früher –, und mein Tutor hatte es mir nie abgeschlagen, wenn ich ihn um Extrastunden zu dem Thema bat.

Der dunkelhäutige Scholastiker nickte. »Der junge Herr hat völlig recht.« Wie ich später herausfand, stimmte das nicht. Die Cielcin fraßen auch einander ohne Bedenken, das wusste damals nur noch niemand.

»Terence …« Juniorminister Gong Sung legte seinem dunkelhäutigen Kollegen die Hand auf den Arm.

Der Genannte schüttelte den Kopf. »Es ist beim Essen kein schönes Thema, ich weiß. Vergeben Sie mir, Sir Alistair und Lady Liliana, aber die jungen Herren sollten begreifen, was hier auf dem Spiel steht. Wir sind jetzt schon seit drei Jahrhunderten im Krieg. Zu lang, meinen manche.«

Ich räusperte mich. »Die Cielcin sind Nomaden, und fast alle sind sie Fleischfresser. Es ist nicht leicht, im Weltraum Vieh zu halten, auch wenn man Schwerkraft simuliert, da bedient man sich besser bei dem, was man auf den Planeten vorfindet. Ein durchschnittliches Migrationscluster der Cielcin umfasst ungefähr zehn Millionen Aliens, von daher glaube ich nicht, dass ihnen alle Menschen auf Cai Shen zum Opfer gefallen sind.«

»Es war ein sehr großes Cluster, wie es in den Berichten heißt.« Terence hob seine nicht existierenden Augenbrauen. »Sie wissen über die Cielcin gut Bescheid.«

Gibson ließ seine dünne Stimme vom anderen Ende des Tisches erklingen. »Der junge Master Hadrian interessiert sich schon seit vielen Jahren für die Cielcin, mein Herr. Ich habe ihm auch die Sprache der Außerirdischen beigebracht. Er beherrscht sie recht gut.«

Ich sah auf den Teller, um das Lächeln zu verbergen, das meine Lippen kräuselte, und hoffte darauf, dass Lord Alistair es nicht gesehen hatte.

Direktorin Feng wandte sich auf ihrem Platz zu mir um, und ich nahm ein gesteigertes Interesse bei ihr wahr, als ob sie mich zum ersten Mal sah. »Sie interessieren sich tatsächlich für die Bleichlinge?«

Ich nickte, erhob die Stimme aber erst, als ich mich an all die üblichen Höflichkeitsfloskeln erinnert hatte. Immerhin war es die Direktorin des Wong-Hopper-Konsortiums, die das Wort an mich richtete. »Ja, Madame Direktorin.«

Die Direktorin lächelte, und zum ersten Mal bemerkte ich, dass ihre Zähne aus Metall waren und das Kerzenlicht sich auf ihnen spiegelte. »Höchst empfehlenswert. Das ist ein seltenes Interessengebiet für einen Paladin, erst recht für einen aus dem Hochadel des Imperators. Sie sollten über eine Karriere in der Kantorei nachdenken.«

Unter dem Tisch wurden die Knöchel meiner linken Hand neben meinem Knie weiß, und ich zwang mich zu einem Lächeln. Nichts hätte mir ferner gelegen. Ich wollte Scholastiker werden. Zu einem Expeditionskorps gehören. Auf Raumschiffen reisen, dorthin gehen, wo noch niemand zuvor gewesen war, die imperiale Flagge in entfernten Teilen der Galaxie aufpflanzen und wunderbare, seltsame Dinge sehen. Vor allem wollte ich nicht an einen Schreibtisch gekettet sein, schon gar nicht an einen, der in der Kantorei stand. Meine Augen huschten zu Gibson, der ein schwaches Lächeln zurücksandte. »Danke Madame.« Ein kurzer Blick auf meinen Vater zeigte mir, dass ich es besser dabei beließ.

»Oder vielleicht bei uns, wenn Ihr Vater auf Sie verzichten kann. Irgendjemand wird ja später einmal mit diesen Ungeheuern ins Geschäft kommen müssen, wenn der Krieg vorüber ist.«

Vater war während dieses Wortwechsels bemerkenswert still geblieben, und ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass ein Zornesausbruch direkt bevorstand. Er saß neben meiner Mutter und hatte den Kopf leicht vorgebeugt, als er einem Bediensteten lauschte, der ihm offenbar eine Nachricht überbrachte. Vater raunte eine Anweisung und war von daher abgelenkt, als Crispin sagte: »Sie könnten ihnen Nahrung verkaufen!« Sein Gesicht verzog sich zu einem makabren Grinsen, und die Direktorin zeigte ein skalpelldünnes Lächeln.

»Ich gehe davon aus, dass wir genau das tun werden, junger Herr. Wir verkaufen jedem alles. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Wein«, sagte sie und deutete auf die Flasche, aus der ich getrunken hatte, einen St. Deniau Azuré Carcassoni. »Ein hervorragender Jahrgang, Archon, habe ich das schon gesagt?«

»Vielen Dank, Madame Direktorin«, sagte Vater. Auch ohne aufzusehen, merkte ich, dass seine Augen auf mir ruhten. »Ich finde es eigentümlich, dass Sie so offen über Beziehungen mit den Cielcin nachdenken, vor allem, wenn man sich die jüngste Tragödie vor Augen hält.«

Die Direktorin wischte seine Bemerkung beiseite und legte Messer und Gabel hin. »Oh, der Imperator wird siegen, die Erde segne seinen Namen. Und der Kelch der Barmherzigkeit fließet über, wie die Prioren sagen.«

Eine der Juniorministerinnen, die sich goldene Strähnen auf den bleichen Skalp tätowiert hatte, beugte sich neben der Direktorin vor und sagte: »Wenn dieser Krieg vorbei ist, dann müssen doch die Bleichlinge Untertanen des Solarthrons werden.«

»Müssen sie das?«, fragte meine Mutter mit elegant erhobenen Brauen. »Mir wäre es lieber, sie wären dann gar nicht mehr da.«

»Dazu wird es nie kommen«, sagte ich in scharfem Ton und wusste gleich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. »Sie haben uns gegenüber einen Vorteil.« Die Gesichter meiner Eltern waren beide hart wie Stein, und an den angespannten Kiefermuskeln meines Vaters erkannte ich, dass er etwas sagen wollte.

Aber dann ergriff der Juniorminister des Konsortiums das Wort und fragte mit freundlichem Lächeln: »Wie meinen Sie denn das, Sirrah?«

»Wir leben auf Planeten. Die Cielcin sind wie die Extrasolarianer.« Damit bezog ich mich auf die Barbaren in den entlegenen Bereichen des Weltraums, die im Dunkel zwischen den Sternen umherstreiften, immer in Bewegung und auf der Suche nach Handelsschiffen, die es zu überfallen lohnte. »Sie haben keine Heimat, nur ihre Migrationscluster …«

»Ihre scianda.« Gibson nannte das Cielcin-Wort.

»Genau!« Ich spießte ein Stück rosa Fisch auf meine Gabel und aß es, um eine effektvolle Pause zu machen. »Wir können nie sicher sein, die Cielcin komplett ausgerottet zu haben. Selbst wenn wir ein ganzes Cluster vernichteten – eine ganze scianda –, würde es genügen, dass eines ihrer Schiffe entkommt, um ihr Überleben zu sichern. Dagegen kann man mit militärischer Gewalt nicht vorgehen, Mutter. Meine Damen, meine Herren: Das kann man nicht. Die völlige Auslöschung ist unmöglich.« Wieder nahm ich einen Bissen. »Nun trifft auf uns dasselbe zu, aber unsere Bevölkerung lebt zum größten Teil auf Planeten. Wir werden von Angriffen ungleich härter getroffen, oder nicht?« Ich sah die Direktorin an und zählte darauf, dass sie mir aufgrund ihrer lebenslangen Erfahrung als Raumfahrerin in den Weiten des Imperiums recht geben würde.

Fast sah es so aus, als wollte sie genau das gerade tun, als mein Vater sagte: »Hadrian, das reicht.«

Adaeze Feng lächelte. »Alles in Ordnung, Archon.«

»Überlassen Sie es mir, das zu entscheiden, Madame Direktorin«, sagte Lord Alistair sanft und setzte seinen Kristallkelch ab. Eine Dienerin eilte sofort herbei und wollte das Glas aus einem Keramikkrug, der mit Waldnymphen verziert war, neu füllen. Vater machte eine ablehnende Geste. »Vor allem, wenn er derartig mit Verrat flirtet.«

Verrat. Es gelang mir gerade eben, mir die Überraschung nicht anmerken zu lassen, und ich biss die Zähne noch fester zusammen. Mir gegenüber verzog Crispin das Gesicht und bewegte die Lippen, als würde er »Verräter« flüstern. Ich fühlte, wie die Röte meinen Hals hinaufstieg und das Gefühl von Beschämung an mir hinabglitt wie nasser Ton.

»Ich habe nicht gedacht …«

»Nein«, sagte Vater. »Das hast du nicht. Entschuldige dich bei der Direktorin.«

Ich sah auf meinen Teller und starrte die übrig gebliebenen Stückchen gebackenen Lachs und die gerösteten Pilze an – um die eher exotischen Speisen, die für unsere außerweltlichen Gäste bereitet worden waren, hatte ich einen Bogen gemacht. Mit störrischem Blick schwieg ich. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass mich mein Vater nie beim Namen nannte und, wenn überhaupt, lediglich im Befehlston mit mir sprach. Ich war ein Fortsatz seines Ichs, sei fleischgewordenes Vermächtnis. Kein Mensch.

»Es gibt nichts zu entschuldigen, Sir«, sagte die Direktorin, die kurz zu ihren Juniorministern hinübersah. »Aber lassen wir das. Es war ein wunderbares Essen. Sir Alistair, Lady Marlowe …« Sie neigte den Kopf tief. »Denken wir nicht mehr an diese Unterhaltung. Die Jungen haben es nicht böse gemeint, sie beide nicht. Vielleicht könnten wir jetzt zum Geschäftlichen zurückkehren?«

 

Christopher Ruocchio: „Das Imperium der Stille“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Kirsten Borchardt ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 ∙ 992 Seiten ∙ Preis des E-Books € 13,99 (im Shop)

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