Gruselspaß zum Blättern
Lektüre für den Nachwuchs zu Halloween von Naomi Novik, Marisha Pessl, Olivier Bocquet und Brice Cossu
Süßes oder es gibt Saures? Nicht nur zu Halloween greifen Jüngere gern zu gruseligen Geschichten. Es folgen drei Tipps für den schaurigsten Tag des Jahres und nasskalte Herbstabende.
Kein Halloween ohne Hexen. Und so beginnt diese Empfehlungsliste mit dem neuesten Streich von Naomi Novik („Die Feuerreiter Seiner Majestät“-Reihe, Blanvalet; „Das dunkle Herz des Waldes“, cbj). Pünktlich zur Gruselsaison ist der zweite Band ihrer „Scholomance“-Trilogie auf Deutsch erschienen (im Shop). Obacht: Ganz spoilerfrei ist diese Besprechung nicht. Sind Sie bereit? Dann auf zum nächsten Abenteuer! Für El und ihre Freunde beginnt das letzte Schuljahr. Und zunächst sieht alles nach einem entspannten, wenn auch lernintensivem Jahr aus. Denn nach der großen Reparaturarbeit im magischen Maschinenraum der Schule scheint die Monsterschar zunächst dezimiert. Doch schon bald konzentrieren sich die noch übrigen Biester auf El und all diejenigen, mit denen sie sich in einem Raum befindet. Ist das die Art der „Scholomance“, sie auf den Pfad zur bösen Hexe zu führen, die sie angeblich werden soll? Oder steckt mehr dahinter? Für El beginnt ein neuer Spießrutenlauf, an dessen Ende sie vor Entscheidungen steht, die nicht nur ihr eigenes Leben sondern das aller Schüler betreffen. „Der letzte Absolvent“ braucht etwas, um die Sogwirkung des Auftaktbandes zu erreichen. Nach ein paar Kapiteln ist er aber wieder da, und man ist erneut mittendrin in der Schule für Hexen- und Zaubererkinder, die scheinbar alles unternimmt, um ihnen das Leben schwer zu machen. Dabei wächst El über sich hinaus, schmiedet neue Bündnisse und Freundschaften und bekommt einen Eindruck davon, wie ihr Leben nach der Schule aussehen könnte. Allerdings: Am Ende dieses packenden Gruseltrips präsentiert Novik einen der wohl fiesesten Cliffhanger des Genres. Wie heißt es so schön? Nach Halloween ist vor Halloween: Wenn alles gut läuft, wissen wir nächsten Oktober, wie es mit den Absolventen der „Scholomance“ weitergeht.
Naomi Novik: Scholomance 2. Der letzte Absolvent • Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood • cbj, München 2021 • 512 Seiten • € 20,00 • Empfohlen ab 14 Jahren • im Shop
Und täglich grüßt der Wächter
Der Herbst ist nicht nur für mörderisch gut gelaunte Hexen da. Auch der gute alte Mystery-Roman passt zu vernebelten Landschaften – erst recht, wenn sich eine Internatsclique plötzlich in einer Zeitschleife wiederfindet. Doch der Reihe nach: Beatrice – von allen nur „Bee“ genannt – trifft über ein Jahr nach dem Tod ihres Freundes Jim den Rest ihrer Clique wieder. Für Kip, Cannon, Whitley und Martha ist es ein Wiedersehen zwischen himmelhoch jauchzender Euphorie und zu Tode betrübter Distanz. Und dabei wissen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Bee vor allem von ihnen wissen möchte, wie Jim wirklich gestorben ist. Auf dem Rückweg von einer Party entgeht das Quintett nur knapp einem Unfall mit einem Abschleppwagen. Oder zumindest denken die Fünf das. Kurze Zeit später steht nämlich ein gut gekleideter Herr vor ihrer Tür, stellt sich als Wächter vor, und erklärt ihnen, dass sie alle tot seien – oder zumindest beinahe. Vier von ihnen werden sterben, einer wird leben, aber nur, wenn sich alle auf den Überlebenden einigen. Bis es soweit ist, lässt Marisha Pessl („Die alltägliche Physik des Unglücks“, S. Fischer, 2007) die fünf Freunde durch ihre ganz persönliche Zeitschleifenhölle voller Exzesse und Nihilismus gehen. Es dauert, bis sich die Gruppe aufraffen kann, um aus der sogenannten Niemalswelt auszubrechen. Doch dafür müssen sie eine entscheidende Frage klären: Wie ist Jim wirklich gestorben? Pessls erster Jugendroman ist eine erzählerische Wucht. Während Ich-Erzählerin Bee poetisch über das Hier und Jetzt spricht, bleibt sie eine junge Frau voller Geheimnisse und Widersprüche, bei deren Worten man auf der Hut sein muss. Und so folgt man ihr durch die knapp 400 Seiten bis zum großen Finale, an dessen Ende die Frage bleibt: Was war Sein, was war Schein? Eine unglaublich aufwühlende Geschichte, die die Grenzen des Bewusstseins auslotet – und dem alten Murmeltier-Zeitschleife-Thema erfrischend neue Seiten spendiert. Einfach lesenswert!
Marisha Pessl: Niemalswelt • Aus dem Englischen von Claudia Feldmann • Carlsen, Hamburg 2021 • 384 Seiten • 8,99 € • Empfohlen ab 14 Jahren
10.000 Jahre vor unserer Zeit
Apropos Zeit: Die ist ja immer ein dankbares Thema für die Science Fiction. Von der Zeitschleife ist es da auch nur ein kleiner Sprung zur Zeitreise. Die unternimmt der 13-jährige Franck eher ungewollt – und das auch noch in die Steinzeit! Wie es dazu kam? Der Waisenjunge sollte eigentlich seine neuen Pflegeeltern kennenlernen, erfährt dann aber etwas Unglaubliches: Er wurde als Säugling im Wald gefunden, seine Eltern könnten also noch leben. Franck macht sich auf zu dem Ort, an dem er damals ausgesetzt wurde und kommt vom Weg ab. Der führt ihn jedoch nicht einfach tiefer in den Wald, sondern an den Rand eines Urzeit-Erlebnisparks in die Vergangenheit: 10.000 Jahre vor unserer Zeit. Ob Franck da wieder rauskommt? Szenarist Olivier Bocquet („Snowpiercer Terminus“, Egmont Comic Collection, 2022) und Zeichner Brice Cossu („Die Legende der Drachenritter“, „Carthago Adventures“, beide Splitter Verlag) haben mit „FRNCK“ einen unterhaltsamen Steinzeitcomic geschaffen. Und das Zeitalter hat es in sich, denn Menschen stehen bei einigen Bewohnern sehr weit oben auf der Speisekarte. Doch so groß der Schrecken hier und da auch sein mag, für den Teenager ist das Gruseligste etwas anderes: Dass die Menschen von damals noch keine Vokale kannten. Und drei Mal dürfen Sie raten, welches Schimpfwort das wohl erste in der Menschheitsgeschichte mit Vokalen sein könnte. Davon abgesehen versprechen die kommenden Alben der Zeitreiseserie jede Menge Spaß – inklusive gefiederter Dinosaurier. Da schlägt das Phantastenherz doch gleich ein bisschen höher.
Olivier Bocquet, Brice Cossu: FRNCK 1. Der Anfang vom Anfang. • Aus dem Französischen von Jano Rohleder • Splitter Verlag, Bielefeld 2021 • 56 Seiten • 13,95 € • Empfohlen ab 9 Jahren
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