6. Mai 2021 1 Likes

Auf zwei Planeten: „Strange Adventures“

Weltraumheld oder Kriegsverbrecher? Ein Comic von Tom King, Mitch Gerads & Evan Shaner

Lesezeit: 4 min.

Übers Jahr schreibe ich so einige Editorials für die deutschsprachigen Ausgaben der Comics von DC und Marvel bei Panini. Darunter sind natürlich auch immer ein paar persönliche Favoriten, die ich jedem empfehlen, jedem in die Hand drücken will. So etwa der dicke Panini-Sammelband zu „Mister Miracle: Darkseid ist“ vor ein paar Jahren. Schließlich war und ist diese von Lesern und Kritikern gefeierte, zurecht mit dem Eisner Award ausgezeichnete Maxiserie, die Autor Tom King und Zeichner Mitch Gerads zwischen 2017 und 2018 inszeniert haben, mit Abstand einer der besten Superhelden- und Science-Fiction-Comics dieser Ära. Nicht nur, aber nicht zuletzt eine wunderbare Hommage an die New Gods, die Marvel-Gott Jack Kirby in den 1970ern für DC Comics ersonnen hat. Umso größer war die Freude, als King und Gerads 2020 in Form von „Strange Adventures“ eine neue 12-teilige Maxiserie als geistigen Nachfolger zu ihrem Highlight „Mister Miracle“ starteten: Mit noch mehr, einerseits klassischerer, andererseits provokanterer Science-Fiction und obendrein unterstützt von Zeichner Evan Shaner. Bei Panini wurde jetzt der erste von zwei Sammelbänden des Stoffes veröffentlicht, der im Übrigen unter dem Black Label erscheint, das DC-Werke kennzeichnet, die man auch ohne große Vorkenntnisse lesen kann.

***

Im Mittelpunkt von „Strange Adventures“ mit dem schwarzen Etikett steht DCs altgedienter Weltraumheld Adam Strange, der 1958 vom legendären Redakteur Julie Schwartz und Zeichner Murphy Anderson für „Showcase“-Heft 17 ersonnen wurde, derweil Legenden wie Gil Kane, Carmine Infantino, Gardner Fox oder Mike Sekowsky früh Einfluss auf den galaktischen Haudegen des zweiten großen, so genannten Silbernen Zeitalters der US-Heroen nahmen. Es gibt schwarz-weiße, telefonbuchdicke Essential-Sammelbände und ein „Adam Strange-The Silver Age Omnibus“-Hardcover mit dem alten Material. Für den aktuellen, modernen „Strange Adventures“-Comic braucht man die freilich nicht.

Wie so viele SF-Abenteurer der alten Garde, ist auch Strange von Alex Raymonds Ikone Flash Gordon inspiriert, dessen Zeitungscomicstrips ab 1934 viele Künstler beeinflussten. Bei DC wurde der irdische Archäologe Adam Strange eines Tages von einem Zeta-Strahl auf den fernen Planeten Rann gebeamt. Dort verliebt er sich in Alanna, die Tochter von Ranns größtem Wissenschaftler Sardath. Alanna und Adam werden ein Liebespaar und Eltern, und Strange avanciert zu Ranns Beschützer mit Jetpack und Strahlenkanone – wunderbar klassisch, herrlich pulpig. Seine außerirdischen Abenteuer erschienen in Reihen wie „Mysteriy in Space“ und eben der originalen Inkarnation der SF-Comic-Anthologie „Strange Adventures“. Außerdem traf Adam über die Jahre alle möglichen Superhelden von Batman bis Green Lantern und hatte oft mit seinem galaktischen Nachbarn Hawkman zu tun.

In der neuen „Strange Adventures“-Serie von King, Gerads und Shaner geht um das Leben und Handeln von Adam Strange und um die Komplexität der Wahrheit in Zeiten des Krieges – darum, was Krieg mit Menschen, mit Helden, mit der Wahrheit, mit der Selbstwahrnehmung macht. Ein Thema, das Tom King aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen liegt, immerhin arbeitete er jahrelang bei der CIA und diente während des Kriegs gegen den Terror im Irak, bevor er 2014 zu einem Top-Autor der DC-Moderne wurde, dessen Portfolio bereits den von seinen Erlebnissen gespeisten Vertigo-Titel „Sheriff of Babylon“ umfasst. Des Weiteren textete King „Grayson“, „Batman“, „Batman/Catwoman“, „Superman: Jenseits der Erde“, „The Omega Men“ und „Vision“, das die „WandaVision“-Serie auf Disney+ durchaus ein Stück weit inspirierte. Zuletzt entführte er für das Sequel „Rorschach“ zurück in die Welt von Alan Moores „Watchmen“. Als nächstes wird er sich dem Mythos von Supergirl widmen, Tochter von Krypton wie der Erde.

In „Strange Adventures“ ist Titelheld Adam Strange ebenfalls ein Mann zweier Welten und Planeten, um mal Kurd Laßwitz zu bemühen: Auf der Erde geboren, wurde er auf dem Planeten Rann zum galaktischen Helden. Nun veröffentlicht Adam auf seiner Heimatwelt ein Buch über sein Leben voller interstellarer, unglaublicher Abenteuer. Bei einer Signierstunde beschuldigt ihn jedoch ein wütender Fremder, ein Mörder und Kriegsverbrecher zu sein, der sich im All schwerer Vergehen schuldig gemacht hat. Wenig später wird der Mann ermordet. Adam zählt wenig überraschend zu den Tatverdächtigen, die Medien stürzen sich auf das Ereignis, und Batman beauftragt das Superhelden-Genie Mr. Terrific mit den Ermittlungen auf der Erde und auf Rann, wo man sich leider nicht besonders kooperativ zeigt …

Erzählt wird diese Geschichte, die King-typisch ambitioniert und komplex daherkommt, auf zwei Zeitebenen. Deshalb auch zwei Künstler, die jedem Zeitstrang einen eigenen, zum Ton und Inhalt passenden Look geben. Vergangene Abenteuer im All und im Krieg, und die Konsequenzen heute. Mitch Gerads bebilderte zuvor „Punisher“ und „The Activity“, dazu „Batman“, „Mister Miracle“ und „Sheriff of Babylon“ mit King – die beiden sind mindestens auf dem Weg, eines dieser Dream-Teams zu werden. Evan „Doc“ Shaner illustrierte u. a. „Future Quest“ mit den Hanna-Barbera-Zeichentrickserienhelden, „The Terrifics“, ein Crossover zwischen Shazam und dem Gaslicht-Batman zum DC-Event „Convergence“ sowie diverse Superman-Comics. Shaners und Gerads Zeichnungen kontrastieren angenehm und ergänzen sich gleichzeitig prächtig, nicht selten in direkter Panel-Folge auf ein- und derselben Seite. Dieses Spiel, ganz klar und bewusst Teil der Story-Mechanik, ist von Anfang an ein reizvolles Vergnügen. King lässt, wie nicht anders zu erwarten, seinerseits die Muskeln spielen, garniert seine subtile Science-Fiction-Metapher mit anspruchsvollen Charakterisierungen und Dialogen, und sogar mit Zitaten von Carmine Infantino, Alex Tooth, Wally Wood, Marie Severin und anderen Pionieren des grafischen Erzählens. Die hätte eine so engagierte SF-Geschichte sicher gefreut.

Diese Empfehlung kann ich daher als begeisterter Comic-Fan genauso aussprechen wie als vermeintlich befangener Redakteur der deutschen Ausgabe: Wer „Mister Miracle“ gelesen und geliebt hat, muss „Strange Adventures“ unbedingt auf den Lesestapel legen. Und wer gute, gehaltvolle Science-Fiction-Bildergeschichten zwischen Pulp-Recken und Meta-Anspruch mag, darf sich diese Serie ebenfalls nicht entgehen lassen. Also, Jetpack anlegen, Helm (und Maske) aufsetzen und ab in den Comic-Shop …

Abb.: TM & © 2020, 2021 DC Comics. All Rights Reserved.

Tom King, Mitch Gerads, Evan Shaner: Strange Adventures Bd. 1 • Panini Comics, Stuttgart 2021 • 196 Seiten • Paperback: 21 Euro

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.