Wird fortgesetzt – oder?
Was der multimediale Erfolg von Comic-Autoren für ihre Leser bedeutet
Die Welt der heutigen Film-Blockbuster und TV-Serien würde ohne die Comic-Steinbrüche von Marvel und DC komplett anders aussehen. Doch auch andere Verlage, andere geschriebene und gezeichnete Bildergeschichten und Comic-Figuren, wecken inzwischen das Interesse von Film und Fernsehen – und das ist, trotz aller Aufmerksamkeit für die Kreativen und Werke aus der Neunten Kunst des grafischen Erzählens, nicht immer gut für das Ursprungmedium. Man gönnt es den Autoren natürlich, wenn sie nach vielen Jahren voll starker Panel-Storys schließlich Gold und Anerkennung außerhalb der Comic-Szene finden, aber als Leser muss man manchmal auch für den Erfolg und den medialen Paradigmenwechsel der Lieblingsschreiber büßen, wie ein paar aktuelle, prominente Beispiele deutlich machen.
US-Autor Brian K. Vaughans erfrischende Hochglanz-Space-Opera „Saga“ verabschiedete sich dieses Jahr mit US-Heft 54 – bzw. Sammelband 9 – und einem brutalen Cliffhanger auf unbestimmte Zeit in eine längere Pause. Gleichzeitig wissen Fans seit Kurzem, dass Vaughans parallel laufendes Zeitreise-Highlight „Paper Girls“ im Juli 2019 mit US-Ausgabe 30 zu Ende gehen soll, womit niemand so früh rechnete. Nun hat das exzellente „Saga“ bereits einige kürzere Auszeiten hinter sich, die Vaughan und Zeichnerin Fiona Staples damit erklärten, dass ihnen Güte über alles geht, und das Ergebnis ihrer internen Qualitätskontrolle gab ihnen bisher stets Recht. Allerdings wurde Anfang Dezember obendrein verkündet, dass BKV mit Legendary einen Deal über seine Creator-Owned-Comics abgeschlossen hat; und da es sich bei Vaughan um einen TV-Veteran („Lost“, „Under the Dome“) handelt, darf man davon ausgehen, dass er in den Entwicklungsprozess und womöglich sogar die Drehbücher der Legendary-Vorstöße in sein Werk involviert sein wird. Nicht zu vergessen, dass er als Producer längst an der überfälligen Fernsehinterpretation seiner postapokalyptishen Vertigo-Comic-Serie „Y: The Last Man“ beteiligt ist. Ein Schelm also, wer Böses dabei denkt. Wir vermissen unsere liebste Alien-Familie aus „Saga“, das im druckfrischen deutschen Band 9 noch mal alle Tugenden der bestechenden SF-Serie beschwört, jedenfalls jetzt schon, und warten kribbelig auf die nächsten Comic-Kapitel. Zudem würde man sich als Leser mal wieder über eine Brian K. Vaughan/Marcos Martin-Eigenproduktion auf PanelSyndicate.com freuen.
Die Fans von Warren Ellis sind indes Kummer gewohnt – als Fanboy hat man die unfertigen Ellis-Serien „Doctor Sleepless“ und „Fell“, die einem Festplatten-Crash zum Opfer fielen, nie ganz überwunden. Der oberste Futurologe der Comic-Welt tanzt seit Jahren schwer beschäftigt an der Grenze zum Burnout entlang. Bücher, Comics, TV-Serien, Filme – der Brite hat mehr Projekte in der Pipeline und mehr Bälle in der Luft, als er uns trotz seines legendären E-Mail-Newsletters wissen lässt. Sicherlich hat die lange Wartezeit auf neue Kapitel von „Injection“ auch mit dem Zeitplan von Zeichner Declan Shalvey und mit Ellis’ überzeugendem „WildStorm“-Relaunch bei DC zu tun, doch pausierte ja selbst das von Zach Howard bebilderte „Trees“, weshalb Howard und Ellis kurzerhand die actionlastige SF-Miniserie „Cemetery Beach“ als weniger komplexen Füller aus der Taufe hoben. Dennoch, irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass zwischen den nächsten Heften von „Trees“, das übrigens ebenfalls für eine Umsetzung als TV-Serie vorgesehen ist, vor allem immer Netflix’ Animationsserie „Castlevania“ steht, dessen Staffeln Ellis schreibt. Immerhin: Sowohl „Injection“ als auch „Trees“ sollen 2019 weitergehen. Bleibt zu hoffen, dass Ellis, der vor wenigen Jahren einen gesundheitlichen Warnschuss verpasst bekam, sich nicht mal ganz übernimmt und bei aller Kreativität und allem Können besser auf sich aufpasst.
Auch Ed Brubaker schreibt deutlich weniger Comics als früher. Für Marvel und DC inszenierte der Amerikaner vor über zehn Jahren denkwürdige, wichtige Runs in „Captain America“ (Brubaker erschuf den Winter Soldier), „Daredevil“, „Gotham Central“, „Batman“, „Sleeper“ und „Catwoman“, dazu kamen allerhand eigenständige Krimi-Stoffe, allen voran die Serie „Criminal“. In den letzten Jahren reichte es nur noch für das wenigstens ziemlich gute „Kill or Be Killed“ mit Langzeit-Kreativpartner und Zeichner Sean Phillips, das von „John Wick“-Regisseur Chad Stahelski verfilmt werden soll. Der Grund für den Rückgang von Brubakers Comic-Veröffentlichungen? Bru verdingte sich als Autor für die TV-Neufassung von „Westworld“ und brachte Amazons Krimi-Serie „Too Old To Die Young“ auf den Weg, auf die wir uns für 2019 selbstverständlich ungeachtet der Comic-Rezession im Brubaker-Land mächtig freuen. Dennoch ist es beruhigend, dass der Amerikaner und sein britischer Partner-in-Crime Phillips nach der in vielerlei Hinsicht etwas dünnen Graphic Novel „My Heroes Have Always Been Junkies“ sowie dem Finale von „Kill or Be Killed“ im Januar 2019 eine neue Serien-Inkarnation ihres Comic-Meisterwerks „Criminal“ lancieren.
Greg Rucka, der mit Brubaker die zurecht preisgekrönte Panel-Serie „Gotham Central“ über die Cops in Batmans düsterer Heimatstadt verfasste und wie sein Kollege früher fleißig für die Superhelden-Verlage Output generierte, scheint sich auch etwas verzockt zu haben, was das Zeitmanagement angeht. Seine starken, viel gelobten unabhängigen Genre-Serien „Lazarus“ und „Black Magick“ litten zunächst unter Ruckas jüngstem „Wonder Woman“-Run zu Beginn der Ära DC Rebirth, und dann … tja, gute Frage eigentlich. Vielleicht unter Drehbuchfassungen für die seit Längerem angedachte „Lazarus“-Verquickung via Amazon? Jedenfalls ist es nun so weit, dass die zwischenzeitlich durch eine gute, jedoch etwas unbefriedigende Anthologie-Miniserie ergänzten „Lazarus“-Comics in den USA 2019 mit verändertem Format und Erscheinungsrhythmus neu durchstarten müssen. Ob und wie es mit der sympathischen Krimi-Serie „Stumptown“ weiter geht, steht dagegen ganz in den Sternen.
Betrachtet man sich diese Wechselwirkung zwischen Comic-Autoren und ihren Multimedia-Ambitionen, bleibt „Kick-Ass“-Schöpfer Mark Millar wieder einmal eine Ausnahmeerscheinung. Seit dem Deal mit Netflix, das sich 2017 Millarworld bis auf das Kick-Ass-Franchise einverleibte, bringt der Schotte seine Ideen exklusiv beim Streaming-Giganten ein. Sieben Filme oder Serien entwickelt der Bestsellerautor mit der beispiellosen Comic/Multimedia-Karriere jährlich für Netflix – rund die Hälfte davon, gezeichnet von den Top-Künstlern der Szene, werden vorab wie gewohnt in Comic-Form veröffentlicht. „The Magic Order“, der erste Millar-Comic unter Netflix-Flagge, hat die Messlatte für dieses Konzept gleich ganz schön hoch gelegt. In Sachen Frequenz und Konsequenz, was seine Comics angeht, wird Millar wohl eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Vermutlich muss man hier aber in Relation stellen, dass Millar bei aller Unterhaltsamkeit eben hauptsächlich für Popcorn-Comics zuständig ist, und nur bedingt für vielschichtige Settings und Szenarien.
Comic-Autoren, die ihr Talent in anderen Medien ausleben, sind in jedem Fall ein Grund zur Freude, und in 2019 sowie den folgenden Jahren bescheren sie uns sicher einige gute Filme und Fernsehserien. Selbst wenn ihr Comic-Schaffen darunter leidet und man als treuer Fanboy ihrer Bildergeschichten die Zähne zusammenbeißen muss. Hoffen wir trotzdem, dass sich niemand ganz aus dem Comic-Metier verabschiedet und es mit „Saga“, „Lazarus“, „Trees“ und Co. bald in einem halbwegs vernünftigen Rhythmus weitergeht.
Große Abb. ganz oben: „Saga“ (Image)
Kommentare