„Lawrence Lek: NOX“ – Schöne neue Welt
Eine atmosphärisch Rauminstallation im alten Berliner Westen
Streift man in diesen Tagen durch den alten Berliner Westen, durch die Gegend zwischen KaDeWe, Breitenbachplatz, KuDamm und Zoo, die einst das Zentrum der Stadt darstellte, kommt man an Baustellen und Leerstand vorbei. Der alte Glanz soll wiederauferstehen, vielleicht auch durch Kunst? Zumindest vorübergehend wird nun bis Mitte Januar ein mehrstöckiges Gebäude am legendären Kranzler Eck umfunktioniert, spaziert man vorbei, mutet die Fassade wie die Werbung für ein Autohaus an, das edle Limousinen in bester Lage präsentiert.
Was nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig ist, denn im Inneren des Gebäudes, wo bis vor ein paar Jahren noch Karstadt Sport Turnschuhe und Jogginghosen verkaufte, hat der malaysisch-chinesische Künstler Lawrence Lek sich ausgetobt. Im Auftrag der LAS ART Foundation, einer privaten Initiative, die seit einigen Jahren ungewöhnliche Orte – gerne verfallende Fabriken und ähnliches – mit aufwändigen, offensichtlich hochbudgetierten, technologisch avancierten Ausstellungen bespielt, hat Lek eine immersive Welt geschaffen, die auf drei Etagen in die Gefühlswelt eines selbstfahrenden Autos namens Enigma-76 führt.
Im Erdgeschoss deuten leicht demolierte Limousinen an, das es einen Unfall gegeben hat, in der ersten Etage weisen Reifenstapel und ein in seine Einzelteile demontiertes Chassis auf eine Reparaturwerkstatt hin, ganz oben, unter der architektonisch eindrucksvollen Kuppel des 50er Jahre Gebäudes, stehen Monitore, auf denen spielerisch Körper und Seele von Enigma-76 zur Genesung geführt wird.
Hauptteil der Ausstellung sind jedoch zwei längere Videos, in denen eine futuristisch dystopische Welt angedeutet wird, in der das Schicksal des Autos nacherzählt wird: Ein Pferd hatte plötzlich den Weg gekreuzt, ein Moment der Irritation, der zum Unfall führte. Vor allem aber zu einer selbstreflexiven Analyse der Künstlichen Intelligenz, die auf einmal eine seltsame Nähe zu dem lebendigen Wesen verspürte und ihm ans Ende der Welt folgte. Wie die Nummer 76 andeutet, ist dies nicht die erste Version von Enigma, sondern nur eine Version in einer endlosen Reihe an Modifikationen und Updates. Ein wenig mag man sich hier an die vielen Version von Neo in der Matrix erinnern, so wie der Weg zur Selbsterkenntnis eines Künstlichen Wesens zwangsläufig an die seit Jahrzehnten variierten Muster der Science-Fiction erinnert: Träumen selbstfahrende Autos von einem Wettrennen mit Pferden, sozusagen.
Insofern überzeugt Lawrence Leks Vision weniger durch inhaltliche Originalität, als durch ihre Verwendung vielfältiger Elemente, vom Videospiel, über computeranimerte Bilder, bis hin zu einer Rauminstallation, die mit atmosphärisch schummrigen Licht und Ambient-Klängen, ein altes Kaufhaus in einen futuristischen Ort verwandelt. Oder doch einen dystopischen? So genau lässt sich das angesichts der einnehmenden, von warmen Licht und sphärischen Klängen geprägten Bilderwelten von Leks Videos nicht sagen. Menschen gibt es in dieser Welt zwar keine, besonders einladend sehen die Landschaften auch nicht aus, doch wenn die schnittige Limousine geräuschlos über die leeren Straßen saust, im Hintergrund die Sonne untergeht, wähnt man sich fast in einer teuren Werbung für eine Luxuslimousine. In der Zukunft werden die Grenzen zwischen Technologiekritik und Technologieverehrung wohl noch schwerer auszumachen sein als sie es heute schon sind.
Lawrence Lek: NOX, Kranzler Eck, Berlin, bis 14. Januar
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