17. Juli 2017 3 Likes

„Das ist kein Roman, in dem ein einzelner Held die Welt rettet“

Im Gespräch mit J. Patrick Black über „Die neunte Stadt“

Lesezeit: 7 min.

Der Amerikaner J. Patrick Black (im Shop) hatte Jobs als Barmann, Rettungsschwimmer, Anwalt und Freizeitpark-Maskottchen. Sein Romandebüt „Ninth City Burning“ ist diesen Sommer als „Die neunte Stadt“ in der Übersetzung von Markus Mäurer bei Heyne erschienen. Das seitenstarke Buch setzt in einer fernen Zukunft ein, wo mehrere Jahrhunderte nach einer Alien-Invasion definitiv postapokalyptische und absolut dystopische Verhältnisse herrschen, manche Menschen aber auch über geradezu magische Fähigkeiten verfügen, die im andauernden Krieg gegen die Aliens helfen könnten. Das bringt einiges an Fantasy-Flair in den interessanten Science-Fiction-Weltentwurf von Black. Im Interview spricht der Autor, der heute in Boston lebt und aktuell am nächsten Teil seiner Trilogie arbeitet, über seine Einflüsse, seine Vorgehensweise beim Schreiben, außerirdisches Leben sowie den Boom postapokalyptischer Stoffe im Angesicht einer chaotischen Welt.


Foto © Beowulf Sheehan

Hallo Patrick. Leser deines Romandebüts fühlen sich an „Enders Spiel“, an „Die Tribute von Panem“ und sogar an „Star Wars“ erinnert. Lass es uns ein für allemal klären: Was sind deine größten Einflüsse?

Für mich zählen die Science-Fiction-Einflüsse, denen ich als junger Leser ausgesetzt war, zu meinen profundesten. „Enders Spiel“ (im Shop) gehört da sicherlich dazu – es war meine erste überwältigende Erfahrung mit Literatur im Allgemeinen und mit Sci-Fi im Besonderen. Dasselbe kann ich über Ursula K. Le Guins (im Shop) „Der Magier von Erdsee“ sagen, das felsenfest am Fantasy-Ende des Spektrums sitzt, aber auch den Weg für ihre anderen Arbeiten ebnete, die sich mehr in Richtung Science-Fiction orientieren. Ich muss meinen ersten Schullehrern für die Einführung in die Genre-Klassiker danken: Heinleins (im Shop) „Starship Troopers“ wurde natürlich nicht vergessen, doch ich würde sagen, dass ich mehr Zeit mit meiner Obsession für Isaac Asimovs „Foundation“-Serie (im Shop) verbrachte. Generell tendiere ich zur weicheren Seite der Science-Fiction; Werken, die sich mehr mit sozialen und philosophischen Aspekten des Spekulativen befassen – ein Bereich, der sich häufig mit Fantasy überlappt. „Hyperion“ von Dan Simmons (im Shop) ist einer meiner Favoriten, und obwohl ich mir nicht sicher bin, dass es „Die neunte Stadt“ beeinflusst hat, hatte es doch einen entscheidenden Einflus auf mich als Autor.

Wann wusstest du, dass du selbst einen SF-Roman schreiben wolltest?

Ich habe Science-Fiction immer genossen, sowohl in der Literatur als auch in den visuellen Medien, allerdings habe ich nie ernsthaft darüber nachgedacht, in diesem Genre zu schreiben, bis ich den Einfall für „Die neunte Stadt“ hatte. Wirklich, ich begann mit den Figuren und den Herausforderungen, denen sie begegnen, und da erkannte ich, dass diese Geschichte sich am besten für ein Sci-Fi-Setting (mit ein bisschen zugemischter Fantasy) eignen würde. Ohne die Handlung zu weit zu kennen, erfasste ich früh, dass ich die Idee erkunden wollte, dass Menschen mit etwas konfrontiert werden, das weit über das hinausgeht, was sie jemals für möglich gehalten hätten oder das auch nur Sinn ergibt. Als ich darüber nachdachte, wie sich das abspielen würde, hatte das, was sich zusammenfügte, ein unmissverständliches Science-Fiction-Gefühl, dem ich folgte.

Wenn es nicht gerade „Star Wars“ ist, lehnen viele SF-Leser Magie ab. Du hast eine eigene Art von Magie für den Roman geschaffen. Kam dir das wie ein Risiko vor?

Mir war klar, dass „Die neunte Stadt“ Aspekte beinhalten würde, die Leser als eher fantastisch ansehen und womöglich als Magie bezeichnen mögen. Doch ich hatte die Idee, dass moderne Menschen, wenn sie mit etwas konfrontiert werden würden, das wie Magie aussieht, versuchen würden, irgendwie einen wissenschaftlichen Zugang zu finden, selbst wenn die Kräfte, mit denen sie manchmal arbeiten, der Wissenschaft trotzen. Es gibt da diesen abgedroschenen Spruch von Arthur C. Clarke (im Shop), dass jede hinreichend fortschrittliche Technologie nicht von Magie zu unterscheiden ist; ich wollte mit einer Art Technologie aufkommen, die zumindest in einem gewissem Sinne wirklich Magie ist, und dann zusehen, wie meine wissenschaftlich-orientierten Figuren versuchen, damit klar zu kommen. Ich habe mir nicht zu viele Sorgen darüber gemacht, ob das Einbinden von Magie in meine Science-Fiction ein Risiko sein könnte; ich glaubte daran, dass es immer ein Publikum für etwas unterhaltsames, herausforderndes und andersartiges gibt, daher konzentrierte ich mich einfach darauf, die beste Geschichte zu schreiben, die mir möglich war.

Warum sind dystopische und postapokalyptische Storys im Moment so beliebt?

Jemand könnte ein Buch über all die Gründe schreiben (und hat es vermutlich auch getan), wieso das heutige Publikum so scharf auf postapokalyptische Fiction ist, doch der für mich zuletzt offensichtlichste Grund scheint der zu sein, dass die Welt unwiederbringlich chaotisch und kompliziert geworden ist. Die Vorstellung, alles ausgelöscht und auf grundlegende Bedürfnisse des Überlebens reduziert zu sehen, ist faszinierend – zumindest als Übung in Spekulation und Storytelling. Sich einen wirklich interessanten Weg auszudenken, die moderne Gesellschaft untergehen zu lassen, oder sich vorzustellen, wie die Welt als Ergebnis aussehen mag, birgt außerdem ein besonderes Element an Kreativität und Ideenreichtum. Ich glaube auch, dass sich die Welt – erfreulicherweise – trotz aller Komplexität meistens sehr sicher und stabil anfühlt, und daher werden Leser zu Geschichten hingezogen, in denen man mit anderen, extremeren Erfahrungen konfrontiert wird.

Jedes Kapitel von „Die neunte Stadt“ ist aus der Perspektive einer anderen Hauptfigur geschrieben, und jede hat ihre eigene Stimme. Wie hast du den Rhythmus der Perspektiven geplant, und war dir die Abfolge von Anfang an klar?

Ich hatte immer eine Ahnung, wie die Gesamtstruktur aussehen sollte, doch die Details haben sich erst ergeben, als die Geschichte tatsächlich gedieh. In meinen Augen ergab es Sinn, die Welt stückweise vorzustellen, nicht nur, um ein Komponente des Geheimnisvollen hinzuzufügen, sondern weil „Die neunte Stadt“ seinen eigenen Satz Konzepte hat, die erklärt werden müssen. Also startete ich mit Charakteren, die – wie der Leser – neu in dieser Welt sind. Als der Plot sowohl geografisch als auch in Hinsicht auf die Action voranschritt, führte ich andere Charaktere ein, die neue Perspektiven zu dem hinzufügen, was passiert. Zum Ende hin, wenn die Handlung ihr höchstes Tempo erreicht, konnte ich alle Cast-Mitglieder berücksichtigen und entscheiden, wer dem Leser den besten Blick auf die Action bietet.

Wie schwer war es, jedes Kapitel aus einer anderen Sicht zu verfassen, oder hat dich genau das beim Schreiben eines so dicken Buches frisch gehalten?

Es war sicherlich eine Herausforderung, aber auch ein großer Spaß – und ja, ein großer Vorteil war, dass es mich (und die Geschichte) im Verlauf eines so umfangreichen Buches frisch gehalten hat. Ich habe zuerst eine vollständige Rohfassung geschrieben, bevor ich dann richtig losgelegt habe. In der zweiten Fassung habe ich die Kapitel grob in der endgültigen Reihenfolge geschrieben (bis das Buch fertig war, musste natürlich noch viel überarbeitet werden). Wann immer ich die Perspektive wechselte, dauerte es etwas, um in den Kopf des jeweiligen Charakters zu kommen, aber sobald ich drin war, ging das Schreiben so geschmeidig von statten wie immer. Ich war stets überrascht, wie anders sich die Geschichte anfühlt, wenn ich sie durch die Augen einer anderen Figur betrachtete. Mir fielen Dinge am Plot und an der Welt des Buches auf, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Für jede Figur eine eigene Stimme zu erschaffen, war eine der wunderbarsten Erfahrungen des Schreibens von „Die neunte Stadt“, zumal es einen wichtigen Teil davon verkörpert, was für ein Buch es meiner Vorstellung nach werden sollte. Das ist kein Roman, in dem ein einzelner Held die Welt rettet. Die Charaktere sind alle gleich wichtig; jeder hat seine Rolle zu spielen, und jeder hat seine eigene Geschichte.

Wann wusstest du, dass du eine Trilogie schreibst?

Ich würde sagen, dass ich mir nach Abschluss der Erstfassung von „Die neunte Stadt“ darüber im klaren war, genug Story für mehr als ein Buch zu haben. Es gab viel Handlung und Potential für mehr, das meines Erachtens gut in einen Storybogen über drei Bücher passen würde. Zeitgleich hatte ich den Vorsatz gefasst, eine Welt zu erschaffen, die eine fortlaufende Storyline beherbergen könnte. Was wir in „Die neunte Stadt“ als komplette, eigenständige Geschichte sehen, ist gleichzeitig der Beginn von etwas wesentlich größerem.

Die Prämisse deines Buches ist eine Alien-Invasion. Glaubst du an intelligentes Leben im All, und denkst du, der Kontakt mit der Erde könnte nur aggressiv ausfallen?

Ja, ich glaube daran, dass es irgendwo da draußen außerirdisches Leben gibt. Diese Wahrscheinlichkeit scheint mir angesichts der Größe des Universums einfach zu groß, um sie zu ignorieren. Aber ich glaube nicht, dass der Kontakt mit der Erde zwangsläufig aggressiv sein würde. Für meine Arbeit an „Die neunte Stadt“ habe ich viel Inspiration aus der menschlichen Geschichte gezogen, und die ist größtenteils ein Beispiel dafür, neuen und fremden Zivilisationen mit Aggression zu begegnen, speziell wenn wir auf diese Zivilisationen als „anders“ und fundamental verschieden herabblicken – oder wenn es dadurch etwas zu gewinnen gibt. Eine Alien-Gesellschaft muss selbstverständlich nicht auf dieselbe Weise reagieren. Ihre Motivationen und Moral könnten sich gravierend von unseren unterscheiden. Würde sich herausstellen, dass die Erde etwas hat, das sie wollen, wäre ich allerdings ziemlich nervös wegen ihrer Pläne, wie sie es zu bekommen gedenken.

Gibt es noch etwas, das du deinen deutschen Lesern sagen möchtest?

Ich danke euch und hoffe, dass euch „Die neunte Stadt“ gefällt!

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