Im Gespräch mit Blake Crouch („Upgrade“)
Der US-Bestsellerautor („Wayward Pines“, „Dark Matter“) über Gentechnik, Recherche, Genres und die Klimakatastrophe
Den US-amerikanischen Bestsellerautor Blake Crouch (im Shop) kennt man für allerhand Roman-Thriller aus den Gefilden von Science-Fiction und Mystery, die sich auch in multimedialer Adaption großer Beliebtheit erfreuen – allen voran natürlich die „Wayward Pines“-Trilogie (im Shop), die von u. a. Chad Hodge und M. Night Shyamalan fürs Serienfernsehen interpretiert wurde. „Dark Matter – Der Zeitenläufer“ (im Shop) wird indes demnächst als Serie im Streaming-Angebot von Apple+ aufschlagen. Nachdem es in Blake Crouchs Roman „Gestohlene Erinnerungen“ (im Shop) zuletzt um das künstliche Gedächtnis ging, wendet sich der 1978 in Statesville, North Carolina geborene Prosa- und Drehbuchautor in seinem frisch auf Deutsch erschienenen Werk „Upgrade“ (im Shop) nun der Gentechnik und dem Bio-Hacking zu. Denn in einer nahen Zukunft werden menschliche Körper verändert und verbessert, und das geht mit düsteren Geheimissen und Problemen einher, wie Special Agent Logan Ramsay am eigenen Leib erfährt, nachdem er mit einer verdächtigen Substanz in Berührung gekommen ist, seine Sinne schärfer, sein Erinnerungsvermögen besser werden. Im Interview spricht Blake Crouch über wissenschaftliche Recherche, Gentechnik und Corona als Faktor im Schreibprozess von „Upgrade“, seine Selbstwahrnehmung in Sachen Genre und nicht zuletzt die Chancen der Menschheit im Angesicht von KI und Klimakatastrophe.
Hallo Mr. Crouch. Können Sie uns für den Anfang sagen, welche Genre-Stoffe Sie in Ihrer Jugend oder vielleicht sogar bis heute am meisten geprägt haben?
Als ich aufwuchs, liebte ich C. S. Lewis, Tolkien, Star Wars und Star Trek (TNG), die mich alle stark beeinflussten. Meine Eltern haben streng darauf geachtet, was ich mir ansah oder las, aber es gab da eine Bibliothekarin, die mich ohne das Wissen meiner Eltern Bücher ausleihen ließ. Dank ihr habe ich Thomas Harris („Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“) und Cormac McCarthy („Die Abendröte im Westen“) gelesen. Beide Autoren sind immer noch zwei meiner größten Einflüsse. Ich bin außerdem ein lebenslanger Fan von David Lynch, insbesondere von seiner Fernsehserie „Twin Peaks“, auf die ich in meiner Arbeit regelmäßig Bezug nehme.
Sie sind ein Bestsellerautor von fast 20 Romanen und haben selbst schon drei TV-Serien am Start. Wie können wir uns einen typischen oder nicht so typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?
Derzeit befinde ich mich am Set meiner neuen Fernsehserie „Dark Matter - Der Zeitenläufer“, die gerade gedreht wird. Normalerweise wache ich zwei Stunden vor Drehbeginn auf, schreibe eine Stunde lang an meinem nächsten Buch, gehe ans Set, sitze in den Proben und schaue mir ein paar Takes an. Dann arbeite ich entweder an den textlichen Änderungen, die die Serie benötigt, oder ich schneide zwischen den Takes die Episoden, die wir bereits gedreht haben.
Wenn ich nicht drehe, fange ich normalerweise in der Küche mit dem Schreiben an. So kann ich meine Familie sehen, bevor sie ihren Tag beginnt. Sobald die anderen aus dem Haus sind, gehe ich normalerweise in mein Büro und schreibe, recherchiere und antworte Fans in den Sozialen Medien. Im Laufe des Tages spreche ich oft mit meinen Agenten, Produzenten und Lektoren. Da ich für gewöhnlich mit zwei Projekten gleichzeitig jongliere, werde ich an manchen Tagen von Meetings und Anrufen überrollt; wenn nicht, schreibe ich den ganzen Tag. Meine Frau ist auch meine Lektorin und Produzentin, und obendrein selbst Drehbuchautorin, sodass wir ständig miteinander reden und zusammenarbeiten. Oft müssen wir uns einen Wecker stellen, der uns daran erinnert, mit der Arbeit aufzuhören, sonst machen wir einfach weiter, bis die Kinder uns darauf hinweisen, dass wir noch nicht zu Abend gegessen haben.
In Ihrem neuen Roman wird der menschliche Körper via Gen-Hacking und Bio-Engineering verbessert. Wie kam ihnen die Idee für diese Biopunk-Geschichte, und hatte das etwas mit Corona zu tun?
Vor fast sieben Jahren entdeckte ich Jennifer Doudnas und Samuel H. Sternbergs „Eingriff in die Evolution: Die Macht der CRISPR-Technologie“. Die Ideen in diesem Buch waren aufregend, und sie erfüllten mich zugleich mit Schrecken. Ich wusste, dass ich über diesen Durchbruch schreiben wollte, aber ich verlor mich im Aufwand an notweniger Recherche. Also legte ich die Idee beiseite und schrieb stattdessen „Gestohlene Erinnerung“. Drei Jahre später fühlte ich mich bereit, die Themen Gentechnik und CRISPR in Angriff zu nehmen, und so begann ich 2019 erneut mit der Recherche.
Ursprünglich wollte ich „Upgrade“ in Suriname spielen lassen, dem Ort mit der größten genetischen Vielfalt auf unserem Planeten. Zwei Wochen bevor ich mit dem Rucksack durch den Amazonas-Regenwald reisen sollte, um für den Roman zu recherchieren, machten die USA wegen COVID die Grenzen dicht. Kurzzeitig dachte ich, ich würde das Buch wieder zur Seite legen, aber plötzlich sprachen alle nur noch über Viren und DNA –
Themen, die für „Upgrade“ von zentraler Bedeutung sind. Ich hatte das Gefühl, dass ich dieses Buch schreiben musste, und so fing ich von vorn an und verortete die Geschichte hauptsächlich in den Vereinigten Staaten.
Wie haben Sie dann recherchiert? Hatten Sie Zugang zu super-coolen Laboren, oder haben Sie mit Highend-Gentechnikern gesprochen?
Es beginnt immer mit tonnenweise Lektüre. Ich versuche, mich so gut wie möglich mit dem jeweiligen Thema vertraut zu machen. Im Fall von „Upgrade“ habe ich einen fantastischen Experten namens Michael Wiles engagiert, der Genetiker ist. Dr. Wiles hat einen Entwurf nach dem anderen von „Upgrade“ gelesen und mir geholfen, den Plot das treffen zu lassen, was im Bereich der Gentechnik möglich ist (ein paar technologische Durchbrüche vorausgesetzt). Der gesamte Prozess dieses Buches war pures Lernen. Und weil es so viel mit Biologie und Chemie zu tun hatte (Gebiete, auf denen ich furchtbar bin), stellte es das schwierigste Recherche-Unterfangen dar, das ich jemals in Angriff genommen habe.
Gibt es einen Unterschied, ein menschlicheres Element oder etwas in der Art, wenn sie Biopunk anstelle von Cyberpunk schreiben?
Ich werde als Sci-Fi/Thriller-Autor bezeichnet, aber ehrlich gesagt sehe ich mich selbst als Horror-Autor. Ich will, dass meine Bücher spannend und unheimlich sind, und gewaltige Konsequenzen haben. Ich will, dass die Leute nachts wach bleiben und lesen. Ich will, dass die Lesenden die Figuren lieben und sich selbst in diese Situation hineinversetzen können.
Ich mag es zu recherchieren und etwas über Wissenschaft und Technik zu lernen. Diese Dinge in mein Schreiben zu integrieren, ist meine persönliche Leidenschaft, nicht meine Inanspruchnahme oder mein Genre. Letztendlich entstehen die Cyberpunk-, Biopunk- oder sonstigen Science-Fiction-Elemente in meinen Büchern dadurch, dass ich meine Recherche und Interessen in mein Schreiben einfließen lasse.
Würden Sie ihrem Körper durch Gen-Hacking ein Upgrade geben, um schneller schreiben zu können – oder für etwas völlig anderes?
Als ich mit dem Schreiben von „Upgrade“ begann, gab es viele genetische Veränderungen, von denen ich dachte, dass sie cool seien. Doch als ich recherchierte und mich bemühte, aus der Perspektive von jemandem zu schreiben, der verändert wurde, sah ich die Nachteile. Ein perfektes Gedächtnis klingt beispielsweise nett, aber können Sie sich vorstellen, dass Sie sich an jedes Gespräch mit einer Person perfekt zu erinnern vermögen? Stellen Sie sich nun vor, mit einer Person zusammenzuleben, die sich an jedes einzelne Wort erinnert, das Sie gesagt haben, als Sie wütend oder schlecht gelaunt waren. Für mich hört sich das nicht besonders lustig an. Solche Veränderungen wiedersprechen auf so eine Weise der Evolution, dass ihre sozialen und persönlichen Auswirkungen sie für mich unsympathisch machen.
Letzten Endes würde ich wohl etwas „Langweiliges“ anstreben, z. B. dass ich keine Brille mehr brauche.
Sie haben auch schon über künstliche Erinnerungen und andere Tech-Themen geschrieben. KI ist gerade überall, auch in der Kunst, wo Bilder und Texte generiert werden. Was bedeutet das für Sie als Autor, und für die Topics ihrer nächsten Romane?
Als Menschen in der Frühzeit Sprachkenntnisse entwickelten, war eines der ersten Dinge, die wir taten, Geschichten zu erzählen. Ursprünglich dienten sie dazu, Lektionen zu erteilen oder Wissen darüber zu verbreiten, wie man Dinge tut. Als wir dann in Gemeinschaften zogen, die sicherer waren und mehr Stabilität in Sachen Ernährung boten, hatten die Menschen Schwierigkeiten, mit den Veränderungen in ihrer Lebensweise zurechtzukommen, denn wir hatten unser Bedürfnis nach „Kampf oder Flucht“ noch nicht überwunden. Die Erfindung der „Gruselgeschichte“ war eine evolutionäre und soziologische Notwendigkeit. Sie gab uns Menschen die Möglichkeit, den Nervenkitzel der Angst zu erleben, ohne uns in echte Gefahr begeben zu müssen. Dies ist nur eines von Millionen von Beispielen dafür, wie Geschichten unsere Gesellschaft auf einer tieferen Ebene des Überlebens geformt haben.
Heute ist jede Kunst im Wesentlichen eine Geschichte. Wenn man KI die Macht gibt, Kunst zu machen, gibt man ihr auch die Möglichkeit, unsere Geschichten zu formen. Sobald KI diese Macht hat, kann sie uns auf die gleiche Weise manipulieren, wie wir eine Geschichte dazu nutzen, um uns gegenseitig zu manipulieren. Nur ist es noch viel schlimmer, denn die Intelligenz und die Rechenleistung der KI können uns leicht überwältigen. Ihre Fähigkeit, uns alle zu beherrschen, wird schneller und effizienter sein. Ich persönlich denke, wir sollten vorsichtig damit sein, KI in der Kunst teilnehmen zu lassen.
Ich habe in meiner Novelle „Summer Frost“ über KI geschrieben, und das Recherchieren und Schreiben hat mir viel Spaß gemacht. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder über KI schreiben werde, es sei denn als Element in einer größeren Geschichte.
Wie Welt in „Upgrade“ ist sehr düster, aber auch ein Ausblick auf das, was kommen mag. Haben Sie noch Hoffnung für Amerika, die Menschheit, den Planeten? Und was muss getan werden, um die große Katastrophe zu verhindern?
Ich denke, dass die Menschheit nicht nur um der Menschheit willen fortbestehen sollte. Wenn wir entschlossen sind, unseren Planeten zu zerstören und uns gegenseitig zu hassen, dann gibt es einen Teil von mir, der denkt: „So soll es sein, lasst die Menschheit aussterben.“ Aber ob Sie es glauben oder nicht, ich bin ein Optimist. Die heutigen Probleme sind die gleichen wie die, die wir schon seit Tausenden von Jahren haben. Wir Menschen lassen zu, dass Angst, Gier und Selbstsucht uns beherrschen, sodass wir nicht mehr miteinander kooperieren, uns bedroht fühlen und einander angreifen. Uns fehlt die Fähigkeit, eine Perspektive jenseits unserer eigenen Bedürfnisse und Egos einzunehmen. Dies sind evolutionäre Grundsätze, die uns in den letzten Millionen Jahren zum Überleben verholfen haben. Als Spezies müssen wir immer wieder lernen, uns nicht von unseren Ängsten beherrschen zu lassen, damit sie eines Tages nicht mehr Teil der Verdrahtung unseres Gehirns sind.
Wenn man die Welt retten will, muss man rausgehen und mit jemandem sprechen, der anders ist als man selbst, etwas über seine Sichtweise lernen, ohne ihn zu verurteilen. Stellen Sie sich vor, Sie würden mit dieser Person ein Problem angehen. Was würden Sie sagen, damit die andere Person Sie versteht? Und dann denken Sie an diese Person, wenn Sie sich das nächste Mal in den Sozialen Medien über jemanden aufregen, der eine andere Meinung hat als Sie. Denken Sie an diese Person, wenn Sie über Politik sprechen, oder die Umwelt. Wenn wir das alle tun würden, könnten wir besser zusammenarbeiten. Und wären wir besser im Kooperieren, könnten wir vielleicht das Problem der globalen Erwärmung lösen.
Autorenfotos via Blake Crouch.
Blake Crouch: Upgrade • Roman • Aus dem Amerikanischen von Urban Hofstetter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2023 • 384 Seiten • Erhältlich als Paperback, eBook und Hörbuch Download • Preis des Paperbacks: € 17,00 • im Shop
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