10. September 2019 1 Likes

Lovecraft als multimediale Bildershow

Die Farbe aus dem All: Im Gespräch mit Künstler Andreas Hartung

Lesezeit: 7 min.

Der Berliner Comic-Zeichner und Illustrator Andreas Hartung und das The Dunwich Orchestra adaptieren H. P. Lovecrafts klassische Weird-Fiction-Erzählung „Die Farbe aus dem All“ als düster-episodische Multimedia-Bildershow mit atmosphärischem Live-Soundtrack und passender Bühnen-Show. Sound und Bilder entwickeln dabei einen hypnotischen Sog und ziehen Zuschauer und Zuhörer ohne Worte oder Texte in den Bann. 1927 veröffentlichte H. P. Lovecraft seine Geschichte „The Colour out of Space“ im Pulp Magazine „Amazing Stories“. Die Erzählung über eine ungewöhnliche Invasion und regelrechte Vergiftung aus dem Weltraum ist nur eine von vielen, in denen Lovecraft stimmungsvoll Science-Fiction und Horror verband. Hartung und das The Dunwich Orchestra (Daniel Siegmund, Johannes Hehemann, David Frikell, Paul Bertin, Bennet Gamradt) lassen in ihrer Adaption als multimediale Diashow Bilder und Musik zusammentreffen – inzwischen nicht nur als Videos im Internet, sondern auch live auf der Bühne. 2015 kam das erste Video heraus, 2017 folgte die dramatische Steigerung im zweiten Kapitel, das aus 129 Illustrationen und fast einer Viertelstunde Minuten Post-Metal-Musik bestand. Schließlich wurden aus dem Webvideos eine Liveshow auf der Bühne samt Austellung und Merchandise.

Am 12. September feiert der dritte Teil des Projekts in Berliner Theater im Delphi (20 Uhr, Eintritt: 6 Euro) seine Premiere. Im Interview spricht der 1976 geborene Andreas Hartung über diese spannende Adaption von „Die Farbe aus dem All“, Lovecrafts kosmisches Grauen und mehr.


Andreas Hartung. Foto: Marlies Pěčkec

Hallo Andreas. Wie ist die Idee zu eurem Multimedia-Projekt entstanden?

Ursprünglich wollte ich die Geschichte als Bilderbuch umsetzen. Das erste Kapitel hatte ich bereits fertig gezeichnet, als sich die Frage stellte: Was genau mache ich jetzt eigentlich damit? Wenn man zu einem Verlag geht und sagt: „Schaut her, ich habe hier ein hundertseitiges düsteres wortloses Bilderbuch für Erwachsene!“, klatschen die in die Hände und rufen zurück: „Toll, gefällt uns wirklich sehr gut. Aber gehen Sie jetzt bitte wieder weg.“ Das macht ja keiner. Das kann keiner bezahlen. Ab dem Moment begann ich auch in andere Richtungen zu denken. Eine Freundin hat mich auf ein journalistisches Medienformat aufmerksam gemacht, wo Fotos, Videos und Sounds miteinander kombiniert werden. Als Reportagen-Format war das schrecklich, aber für meine Sache schien es mir genau richtig. Auf einmal gab es die Möglichkeit, mit Musik und Sounds zu arbeiten. Und mit anderen Menschen. Und später richtigen Live-Vorführungen. Diese Vorstellung erzeugte so ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Bald darauf habe ich Daniel getroffen, der zu der Zeit an einem instrumentalen Solo-Album gearbeitet hat. Ich habe ihm das Projekt vorgestellt und gefragt, ob er die Musik dazu machen will. Dann haben wir begonnen und das hat eine Art kleinen Wirbelsturm erzeugt, der nach und nach andere Leute angezogen hat. Ging dann irgendwann wie von selbst.


„Die Farbe aus dem All“, aus Kapitel 1

Wieso ausgerechnet diese Lovecraft-Story?

Ich habe meine erste Lovecraft-Geschichte, „Berge des Wahnsinns“, mit 18 oder 19 gelesen. Diese Atmosphäre des allumfassenden Entsetzens kannte ich von anderen Autoren nicht. Sie hat mich extrem beeindruckt und beängstigt. Und dann lange nicht mehr losgelassen. „The Colour out of Space“ war schon immer eine meiner Lieblingsgeschichten. Vermutlich weil er dort die Natur mit Grauen auflädt. Eine Heide oder ein Wald ist ja eigentlich etwas Schönes. Und dann beschreibt er das Unwohlsein beim Betreten der verfluchten Heide und steigert das immer weiter mit anfangs banalen Mitteln. Das ist extrem stimmungsvoll und beeindruckend. Als Zeichner macht es natürlich total Laune langsamen Zerfall genüsslich zu zelebrieren. Als eine Art Entschleunigungshorror.

Lovecraft, das ist auch immer das Nichtdarstellbare. Stößt man als Zeichner da auf Grenzen?

Das ist ja der Reiz der Arbeit, zu versuchen, eine ähnliche Atmosphäre herzustellen, ohne das man auf das Stilmittel des ständig erschrockenen Erzählers zurückgreifen muss. Trotzdem muss man versuchen, eine Verstörung aufzubauen. Dabei spielen die Kombination aus Timing, Bildausschnitte und die Musik die Hauptrolle. Das macht totalen Spaß. Zeigt man etwas Banales wie einen Apfelgriebsch lange in Großaufnahme, bekommt der eine Bedeutung. Irgendwas ist mit dem. Sonst würde er ja nicht so lange gezeigt werden. Und wenn im nächsten Bild ein Gesicht entsetzt auf den Apfel starrt, wird das noch mal gesteigert. Der Zuschauer weiß aber nicht genau, was los ist. Dazu ein paar beiläufig dramatische Gitarrentöne. Es ist dann eine Gratwanderung, wie weit man die Dinge im Schatten zeigt. Die Illustration bietet einem die Möglichkeit, das genauso zu gestalten, wie man es will. Da kann man variieren im Abstraktionsgrad. Dinge weglassen. Sich ganz kurz alles aufs Wesentliche reduzieren und wieder zurück. Ohne das man das erklären muss oder es zu gekünstelt wirkt. Das geht dann direkt in die Gefühlsebene. Auf Grenzen sind wir – bisher – noch nicht gestoßen.


„Die Farbe aus dem All“, aus Kapitel 1

Wie muss man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?

Die Musiker bekommen von mir ein animiertes Storyboard. Die Bilder sind noch sehr skizzenhaft, aber es ist schon alles da. Dann beginnen sie mit der Arbeit an der Musik und ich zeichne die Reinbilder. Dann folgt etwas Pingpong. Umso mehr Informationen ein Bild hat, umso länger braucht man, um es zu betrachten. Manchmal stimmt das Timing nicht mehr, wenn die Bilder fertig sind, weil es einfach zu viel zu sehen gibt und wenn vorher 5 Sekunden für ein Bild richtig waren, fühlt es sich dann auf einmal erst mit 7 Sekunden richtig an. Da passen wir dann schon noch das eine oder andere an. Und über die Musik reden wir natürlich auch.

Ihr plant fünf Teile. Wie haltet ihr euch für so ein Langzeitprojekt frisch zwischen den Brotjobs?

Da muss nichts frisch gehalten werden. Es gibt eine Dynamik und Begeisterung, die das Ding am Laufen hält. Das rollt. Das hängt auch damit zusammen, dass neue Leute dazu kommen und das Projekt sich immer weiter ausweitet. Mit Live-Auftritten und Ausstellungen. Wir haben uns da einen Spielzeugkasten aus Illustration, Musik und Dunkelheit geschaffen und jetzt … können wir damit spielen. Ich tue das, weil ich eine Idee habe und dann eine Ahnung, ein Kribbeln, dass das großartig werden kann. Brotjobs macht man, weil irgendwie ständig jemand dabei stört und fragt, was denn nun mit der Miete ist.


„Die Farbe aus dem All“, aus Kapitel 2

Gibt es eigentlich eine halbwegs kommerzielle Perspektive für das Projekt?

Nein, ich denke nicht. Also nicht im kostendeckendem Sinn. Es gibt Siebdrucke und T-Shirts, die man kaufen kann. Und auch Originalzeichnungen. Aber das steht momentan in keinem Verhältnis. Natürlich denkt man auch darüber nach, ob es eine Förderungsmöglichkeit gibt. Aber für so Zwischenprojekten, nicht Film, nicht Comic, ist das vermutlich noch mal etwas komplizierter. Meistens fahre ich dann lieber ins Atelier zeichnen.

Wie schon gesagt, macht ihr nun seit einiger Zeit sogar Live-Shows vor Publikum. Wie ist das für dich als Comic-Künstler?

Aufregend, weil ich natürlich nicht gewohnt bin, dass sich so viele Menschen gleichzeitig meine Arbeit anschauen. Und es gibt mir die Möglichkeit, die eigene Arbeit zu inszenieren. Das gefällt mir sehr gut, dieser spielerische Moment. Gleichzeitig zur Arbeit am dritten Kapitel haben wir unsere Live-Umsetzung erarbeitet, die wir dann 2018 auf dem Comicsalon Erlangen das erste Mal aufgeführt haben. Also, dass die Band live zu den projizierten Bildern spielt. Dafür mussten die bisherigen Kapitel noch mal leicht umgearbeitet werden, da es notwendig ist, dass bei einem Stimmungswechsel, der mit einem Wechsel der Musik einhergeht, der Schnitt exakt auf einem bestimmten Takt liegt, damit der Schlagzeuger das Signal für die anderen Musiker geben kann.


Live auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen – Foto: Georg Pöhlein, 2018

Wie hast du das letzte Jahr seit Veröffentlichung des zweiten Teils und mit den ersten Live-Auftritten erlebt?

Das Konzert im E-Werk und der viertägigen Ausstellung auf dem Comicsalon war einer der definitiven Höhepunkte des letzten Jahres. Dafür hatte ich bereits ein Drittel der Bilder für Kapitel Drei erstellt. Anschließend kam es zu einer längeren Pause. Bei meiner Rückkehr nach Berlin stellte ich fest, dass das Haus, in dem ich lebe, an einen ambitionierten Investor verkauft wurde, was mich mittelfristig mit Sicherheit meine Wohnung gekostet hätte. In Berlin sind gerade alle am durchdrehen, was den Wohnungsmarkt betrifft. Wir haben uns im Haus dann sehr stark engagiert, dass der Verkauf an einen anderen Käufer vollzogen worden ist, der auch an den Bewohnern interessiert ist. Das Thema habe ich in einer Comicgeschichte für einen Sammelband zum Thema: „Lovecraft und Berlin“ verarbeitet, das Buch ist bisher aber noch nicht erschienen. Das letzte halbe Jahr haben wir dann intensiv an der Fertigstellung des dritten Kapitels gearbeitet. Für mich war die Herausforderung, dass ich stellenweise andere Techniken für die Bilder genutzt habe, um die Verwandlung der Personen fühlbar zu machen. Da dauerten die einfachsten Bilder manchmal am längsten. Den Premierentermin haben wir außerdem noch einmal verschoben, da es in der Band zu familiären Nachwuchs kam und der Geburtstermin genau auf dem Premierentermin lag. Und damit war der werdende Vater irgendwie nicht einverstanden.

Was sieht der Zeitplan für das nächste Kapitel vor?

Kapitel Vier wird eine kurzes Übergangskapitel und ist für Ende des nächsten Jahres angekündigt. Wie es dann wirklich kommt, weiß man natürlich nicht. Häuser werden verkauft, Kinder geboren, Siebdrucke wollen gesiebdruckt werden und irgendwie ist ständig Weihnachten.

Artwork: © Andreas Hartung

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