23. Mai 2024

„Typhoon Club“ – Coming-of-Age-Drama mit Apokalypse-Flavour

Besser viel zu spät als nie: Ein Meisterregisseur erreicht Deutschland

Lesezeit: 4 min.

Manchmal ist es nicht verkehrt den Blick etwas zu weiten – nein, „Typhoon Club“ ist kein reiner Science-Fiction-Film, es handelt es sich um ein Coming-of-Age-Drama, aber eben um eins, in dem das Motiv Zukunft eine gewichtige Rolle spielt, um eins, das subtil Science-Fiction-Elemente einwebt und um eins, dass einen ein klein wenig vor Augen führt, wie baukastenartig Darstellungen der Apokalypse bzw. Postapokalypse in der Sci-Fi über die Jahre geworden sind.

Ein Unwetter rollt auf die Bewohner eines kleinen Vororts in Tokio zu. Schon seit ein paar Tagen warnen Radio wie Fernsehen. Doch die Schüler der Hochschulen werden von anderen Sorgen geplagt. Rie, Kyoichi, Michiko, Ken, Akira, Yumi und Midori sind Neuntklässler an der Oberschule befinden sich mitten im Gefühlwirrwarr, die diese Zeit im Leben eben so mit sich bringt. Auf den Kids lastet zudem der Druck der Abschlussprüfungen. Der etwas zu trinkfreudige Umeniya, seines Zeichens Mathe- und Sportlehrer, wird von persönlichen Problemen geplagt und ist da wenig hilfreich. Er will eine Kollegin nicht heiraten, mit der er eine Affäre hat, was in diesem konservativen Umfeld nicht gerade für Pluspunkte sorgt.

Und zum Gefühlstornado der Pubertät gesellt sich dann ein realer Taifun – genauso wie es immer stärker stürmt und sich dann der Himmel in die pechschwarze Nacht entlädt, sprudeln die Gefühle der Heranwachsenden, die der Anweisung zur Evakuierung nicht nachkommen, sondern in der Schule bleiben, allmählich nur so aus ihnen heraus. Das führt zu Momenten voller Nähe, aber auch zu einem Angriff mit Säure und einen Vergewaltigungsversuch. In einer weiteren Erzählebene irrt die von zu Hause ausgerissene Rie im prasselnden Regen durch menschenleere Straßen …

Der hierzulande unbekannte und erst in letzter Zeit im Westen so richtig entdeckte, bereits 2001 verstorbene Regisseur Shinji Sōmai gehört im japanischen Kino zu den Pionieren was die Darstellung von Jugendlichen angeht. Sōmai nimmt seine Protagonisten ernst, nähert sich ihnen auf Augenhöhe, erkundet mit ehrlichem Interesse ihre Gefühlswelten. Das spiegelt sich in „Typhoon Club“ auch in der Erzählweise wider, die drauf bedacht ist, die Figuren nicht narrativ einzuengen. Es gibt keine klassische Dramaturgie, keine Hauptfigur, die Teenager stehen – ganz im Sinne der Schuluniform – als Einheit gleichberechtigt nebeneinander, ebenso bleibt das Ende offen. Es wird hin- und her gesprungen zwischen einzelnen Abschnitten, die teils beobachtend, teils mit großer Unmittelbarkeit, aber immer in langen, ruhigen, bildgewaltigen, ungemein beeindruckenden Plansequenzen realisiert wurden, was aber wenig mit technischer Kraftmeierei zu tun, sondern vielmehr mit Vertrauen in die Darsteller, die den angebotenen Raum zur Entfaltung dankbar nutzen und mit teils improvisiert wirkenden, ungemein natürlichen Vorstellungen auftrumpfen.

Sōmai abstrahiert dabei in seiner Inszenierung mit zunehmender Laufzeit immer mehr vom Alltag: Die Schule gerät zu einem schummrigen Zufluchtsort vor einer durch und durch feindlichen Umwelt – was mit einer aggressiven Tonspur, auf der nahezu permanent der Wind weht, es prasselt oder gluckert, eindrücklich unterstrichen wird. Wenn die Gruppe vor den großen Fenstern der Schule, in denen nur sich im Wind wiegende Bäume vor dem Schwarz der Nacht zu sehen sind, anfängt zu Popmusik, in die sich die Geräusche des stetigen Regens mischen, zu tanzen, mutet das irreal an und bringt ein Gefühl auf den Punkt. Wirkten die Kids schon davor verloren – Erwachsene tauchen kaum auf und Lehrer Umeniya ist als Leitfigur ein Versager –, wird nun die Einsamkeit einer ganzen Generation spürbar. Da draußen ist niemand, es sind nur wir. Hier ist der Film von Weltuntergangs-Darstellungen in Science-Fiction-Filmen nicht mehr weit entfernt.

Schwingt dieser Gedanke bei den Szenen in oder an der Schule allerdings lediglich mit, wird bei Ries Flucht durch die Nacht noch etwas mehr zugespitzt. Wenn sie ihren Trip startet, verändert sich das Geräusch des Windes zu einem metallenen, drone-artigen Sound, der auch in einem Sci-Fi-Film beim Betreten eines fremden Planeten nicht verkehrt wäre – ein klares Signal, wie die junge Frau die Welt, die sich vor ihr auftut, wahrnimmt. Und so begegnet das Mädchen einem rätselhaften, zusammengebundenen Pärchen, das auf irgendetwas außerhalb des Bildausschnitts sitzt, hin und her fährt und weiß geschminkt Okarina spielt, und stolpert im Dauerfeuer des Regens vor eine Puppe, die aussieht wie ein Polizist – jemand, der Sicherheit und Orientierung verspricht.

Doch der Schrecken geht vorbei, der Taifun zieht weiter, die Protagonisten allerdings sehen sich einer durch die Naturkatastrophe veränderten Umwelt gegenüber. Wie sie mit dieser zurechtkommen, bleibt offen. Die Schule fällt auf jeden Fall erstmal aus.

Meisterwerk.

Abb. Rapid Eye Movies

Typhoon Club • Japan 1985 • Regie: Shinji Sōmai • Darsteller: Yuichi Mikami, Youki Kudoh, Tomokazu Miura, Yuka Onishi, Yuriko Fuchizaki, Yuka Onishi • ab 23. Mai im Kino

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