12. Februar 2020 2 Likes

„Wir riskieren oft, das zu ruinieren, was wir haben.“

Im Gespräch mit SF-Autor Drew Williams („Sternenpuls“)

Lesezeit: 9 min.

Der Amerikaner Drew Williams (im Shop) war Buchhändler, ehe er selbst als Science-Fiction-Romanautor durchstartete. Das tat er mit seinem Roman „Sternenpuls“, der soeben als Paperback und E-Book bei Heyne auf Deutsch erschienen ist: Einem sympathischen, krachenden Mix aus Space Opera und Military SF. „Sternenpuls“ ist in einem futuristischen Universum angesiedelt, in dem ein mächtiger Energiepuls wie eine Welle durch den Kosmos fegte und viele Welten und Zivilisationen auf das technologische Level aus der Zeit vor der Raumfahrt und dem Hyperantrieb zurückwarf. Die Strahlung, die auf den getroffenen Welten zurückblieb, lässt Technik und Waffen von außerhalb zudem schnell versagen. Trotzdem muss Williams’ taffe Ich-Erzählerin Jane viele solcher Low-Tech-Planeten aufsuchen, da sie hier telekinetisch begabte Kinder aufspürt, die für die Zukunft des Universums von großer Bedeutung sind. Unterstützt wird die meisterhafte Pilotin und furchtlose Kämpferin dabei von ihrer loyalen Raumschiff-KI Scheherazade alias Schaz und einigen anderen Mitstreitern, darunter eine Roboterpriesterin, ein junges Mädchen und ein Pirat. Ihr größter Gegner ist indes das Imperium der grausamen Pax, die Janes paranormale Schützlinge zu Waffen in ihrem galaktischen Eroberungskreuzzug machen wollen. Im Interview spricht Drew Williams über seine Zeit als Buchhändler, sein Verhältnis zu Amazon, die Inspiration für den Puls und den Einfluss von Star Wars.

 


Drew Williams. Foto: Daniel Barnacastle

Hallo Drew. Du hast lange als Buchhändler gearbeitet. Gibt es eine Geschichte aus der Zeit, die du besonders gern erzählst?

Meine liebste Erfahrung aus meiner Zeit, als ich in einem Buchladen gearbeitet habe, war vermutlich mein erstes Weihnachten dort – und behaltet im Hinterkopf, dass ich damals erst ein siebzehn Jahre alter Junge war! –, als ein Paar frisch gebackener Eltern reinkam und sagte: „Unser kleines Mädchen wurde gerade geboren, wir wollen eine Bibliothek für sie. Das ist der Betrag, den wir auszugeben haben – was sollen wir nehmen?“. Allein die Tatsache, dass sie mich fragten, ließ mich erkennen, wie sehr sie mir vertrauten und wie viel Einfluss sie mir auf die Geschichten gaben, denen ihr Kind ausgesetzt sein würde; wie diese Geschichten ihre Sicht der Welt um sie herum und der Menschen darin formen würden. Es war eine Erfahrung, die mich äußerst demütig werden ließ. Sie machte mir die Verantwortung bewusst, die alle Buchhändler tragen, da sie Menschen neuen Ideen und Konzepten überantworten; Kunst und Geschichten, die einen großen Einfluss darauf haben können, wer sie einmal werden. Und keine Sorge – ich stellte sicher, dass in meiner Auswahl eine Ladung Science-Fiction enthalten war, sowohl neuer als auch klassischer Stoff! Ich denke oft zurück und frage mich, durch wie viele Bücher das kleine Mädchen es überhaupt geschafft hat; ob unter den Titeln, die ich empfahl, der eine war: der eine, der sie dazu brachte, Literatur und das Lesen zu lieben; der sie die Macht begreifen ließ, die Geschichtenerzählen darüber haben kann, wer wir sind.

Wie wurdest du selbst ein Geschichtenerzähler? Hatte deine Arbeit im Buchladen einen Einfluss auf deine Entwicklung als Autor?

Ich denke, es war mehr andersherum – ich fing an, in einem Buchladen zu arbeiten, weil ich Bücher und das Schreiben liebte! Ich war schon immer ein „Autor“, von frühester Kindheit an, aber ich sollte sicherlich sagen, dass die Arbeit in einem Buchladen und die Nähe zu so vielen verschiedenen Autoren und Schreibstilen, die mir sonst nie untergekommen wären, sicher einen großen Impact auf meine eigene Stimme hatte: Die Bücher, die wir lesen, beeinflussen unsere Weltsicht, die Art unseres Umgangs mit anderen Menschen und sogar wie wir denken. Und das beeinflusst natürlich genauso die Geschichten, die wir erzählen.

Als Buchhändler, der nun Autor ist: Wie sieht dein Verhältnis zu Amazon aus?

Ehrlich gesagt ist es eine komplizierte Beziehung. Sowohl als Konsument wie auch als Autor ist es schwer, nicht die Leichtigkeit zu schätzen, mit der Bücher (alle Dinge, wirklich) erworben werden können, die komplett reibungslose Erfahrung zwischen „Wollen“ und „Kaufen“. Als Autor – und ehemaliger Buchhändler – verspüre ich allerdings auch einen Grad an Unbehagen angesichts dessen, wie diese reibungslose Erfahrung den Status quo beschützt: Es ist sehr leicht, sich eine Welt vorzustellen, in der Amazon die Hauptbezugsquelle von, nun ja, allem ist, und das gibt ihnen die Macht dazu, du diktieren, welche Bücher, welche Filme, welche Musik die Konsumenten „entdecken“. Meiner Meinung nach birgt es ein großes Risiko, das einem quasi-orakelhaften „Algorithmus“ zu überlassen, der sichere, behagliche Geschichten vorziehen wird, die von den meisten Leuten eher gemocht als geliebt werden. Im Gegensatz dazu auf den Rat der Buchhändler vor Ort zu hören – die ihre Kunden kennen und wissen, was sie mögen und dass sie vielleicht willens sind, ein bisschen aus ihrer Komfortzone rausgeschubst zu werden – bedeutet, dass Leser viel mehr Dinge erfahren können. Für einen Computer ist es unmöglich, die Leidenschaft von Buchhändlern zu imitieren, die diese für ein Buch verspüren, das sie lieben und teilen wollen.

Warst du schon immer ein Science-Fiction-Fan? Nach der Lektüre von „Sternenpuls“ hätte ich gesagt, Star Wars gehört sicher zu deinen Favoriten …

Oh, auf jeden Fall: Star Wars ist ein gewaltiger Einfluss. Die originale Trilogie gehört zu den Filmwerken, bei denen ich mich nicht daran erinnern kann, wie es war, sie nicht gesehen zu haben, da sie mir in so jungen Jahren erstmals begegnete. Die Vorstellung von großen Abenteuern auf fernen Welten, von endlosen Möglichkeiten, die das Konzept der Raumfahrt mit sich bringt … das hat fast etwas Romantisches, denke ich; der Gedanke, dass da draußen zwischen den Sternen eine ganze Galaxis voller Geschichten sein könnte. Für „Sternenpuls“ zog ich aber mehr Inspiration aus erdgebundener Science-Fiction, hauptsächlich Romanen und Filmen aus dem postapokalyptischen Genre.

Was brachte dich auf die Idee eines Universums, in dem eine gigantische Pulswelle viele hochentwickelte Planeten auf einmal wieder zu Low-Tech-Welten machte?

Da gab es ein paar Dinge: Zunächst war da noch vor dem ersten Wort, das ich zu Papier brachte, die grundsätzliche Idee einer postapokalyptischen Geschichte, die nicht in unserer Welt angesiedelt ist, sondern in einer Gesellschaft, die sich viel weiter entwickelt hat als unsere – eine, die die Sterne eroberte und Technologien und Fortschritte erreichte, die wir uns kaum vorstellen können, und die dennoch ins Chaos kollabierte. Als ich dann darüber nachdachte, wie das passiert sein könnte, reizte mich vor allem eine Antwort, die eine simple war: Gute Vorsätze. In dem Versuch, eine „bessere Welt“ zu erschaffen, riskieren wir oft, das zu ruinieren, was wir bereits haben.


Die Originalausgabe

Weniger Waffen, mehr Frieden – das ist eine Idee hinter dem Puls. Bezieht sich das als Botschaft auf die stockende atomare Abrüstung in unserer Welt?

Es ist interessant, dass du es darauf beziehst, denn als ich den Roman schrieb, wurzelte der Puls-als-Metapher nicht unbedingt in modernen geopolitischen Dilemmas, sondern in älteren, ganz speziell der Erschaffung der Atombombe. Da gab es diese eine Geschichte, die ich gehört habe – vermutlich apokryph –, dass die Wissenschaftler, die jene verheerende Waffe entwickelt hatten, ernsthaft besorgt waren, dass die erste Explosion eine Kettenreaktion anstoßen könnte, die immer weiter laufen und die gesamte Atmosphäre mit nuklearem Feuer entzünden mochte. Im Grunde waren sie bereit, das Risiko zu tragen, das gesamte Leben auf der Erde auszulöschen, um die perfekte Waffen zu erschaffen, die dazu gedacht war, „Frieden“ zu erreichen. Die inhärenten Gefahren in dieser Art von Denken – in gesicherter gegenseitiger Zerstörung und dem Glauben, dass „Frieden“ nur dadurch erreicht werden kann, eine größere Waffe, ein zerstörerisches Werkzeug zu haben als der Feind, selbst wenn du dieses Werkzeug selbst nicht ganz verstehst – hatte ich eher im Sinn als heutige Gefahren.

Die schmissigen Dialoge zwischen deinen Figuren, die liebenswerte Raumschiff-KI, die großen Military-SF-Schlachten – was hat dir beim Schreiben von „Sternenpuls“ am meisten Spaß gemacht?

Oh, definitiv die Dialoge. Ich liebe das Worldbuilding, und auch die Schlachten sind großer Spaß, wenn man sie entwirft (sie dann wirklich zu schreiben, ist eine Menge Arbeit!), doch es sind die Dialoge, die mir beim Schreiben den meisten, pursten „Spaß“ bringen: Alles andere fällt letztlich auf die Figuren zurück, denke ich, und Dialog zu schreiben ist der reinste Ausdruck dessen, was diese Charaktere geworden sind. Wenn ich die Dinge „richtig“ mache, fühlt es sich sogar kaum wie Schreiben an: die Charaktere reden einfach, und ich schreibe bloß auf, was sie sagen, mehr wie ein Protokollführer als ein Autor!


Drew Williams freut sich auf Twitter über die deutsche Ausgabe

Klingen deine Figuren wie du selbst? Ich-Erzählerin Jane nutzt z. B. oft Einschübe – wie diesen – beim Erzählen. Oder sind die Einschübe als stilistisches Markenzeichen gedacht?

Das gibt ehrlich nur wider, wie ich spreche – und denke! – und ist keine bewusste Entscheidung. Ich mochte Autoren, die extra schlagkräftig, knapp oder erklärend schreiben, nie besonders; ich werde keinen Namen nennen, aber es gibt ein paar Autoren der klassischen englischsprachigen Literatur, die für diese Sache berühmt sind, und das hat mich nie besonders gepackt. In meinen Augen fließen unsere Gedanke, einer in den nächsten, und in einem Satz verschiedene Satzteile zu verwenden reflektiert wesentlich besser die Art, wie wir denken, als simple „Dies. Dann das. Dann dies“-Aussagesätze.

Wusstest du von Anfang an, dass du als männlicher Autor eine weibliche Hauptfigur und Ich-Erzählerin haben würdest?

Das werde ich oft gefragt, und ich habe das Gefühl, die Leute ein bisschen hängen zu lassen, denn ich habe keine gute Antwort darauf! Die Wahrheit ist, dass ich niemals in Betracht gezogen habe, diese Geschichte mit einer männlichen Hauptfigur zu schreiben: Ich fing den Roman an, und Jane war einfach da und wartete auf mich. Und ich denke, sie wäre nicht allzu happy gewesen, hätte ich versucht, sie zu jemand anderem zu machen! Ich habe also nichts bewusst „entschieden“ – „Sternenpuls“ ist der erste Roman, den ich veröffentlicht habe, aber nicht der erste, den ich schrieb, und ich liege ungefähr bei Fifty-Fifty hinsichtlich männlicher und weiblicher Protagonisten; das ist normalerweise etwas, das die Geschichte entscheidet, und nichts, wozu ich bewusst eine Entscheidung treffe.

Netflix und andere spielen eine große Rolle dabei, Science-Fiction in die Heime der Menschen zu bringen. Eigentlich wollte ich nun fragen, wie es an der Front einer Adaption für Jane, Esa und die anderen aussieht, aber dann las ich auf Twitter, dass du deinen Netflix-Account gekündigt hast …

Um fair zu sein: Ich habe meinen Netflix-Account nur vorübergehend gekündigt, weil es dermaßen viele Streaming-Dienste gibt! So gern ich eine Adaption in Film oder TV sehen würde, ist die Wahrheit meiner Meinung wohl die: es wäre einfach zu teuer! Ich meine, um es richtig zu machen, reden wir über eine Art Star Wars, ein „Das muss weltweit eine Milliarde Dollar einspielen, nur um die Kosten reinzuholen“-Budget, und das ist eine Menge Geld für ein Studio, um es einem neuen Franchise hinterherzuwerfen, das nicht seit Generationen Teil der allgemeinen Imagination ist, wie Star Wars, Batman oder etwas in der Art.

Willst du uns zum Schluss noch verraten, was uns im nächsten Roman aus dem Universum des Pulses erwartet?

Liebend gern! Ich stehe darauf, Sequels zu schreiben, in erster Linie weil das „Gerüst“ bereits aufgebaut ist: Die Welt ist schon an ihrem Platz, und der Leser (und auch ich selbst) wissen in etwa, wie alles läuft, deshalb kann ich mich mehr auf die Handlung als darauf konzentrieren, wie alles zustande gekommen ist. Mit diesem Gefühl der Freiheit im Geist versuche ich im zweiten Roman nicht, etwas „noch größeres“ zu machen – nicht die typische Sequel-Route „Größere Raumschiffe! Größere Schlachten! Alles ist diesmal einfach größer!“ zu gehen –, sondern mich stattdessen auf die zentrale Beziehung der Serie zu konzentrieren und diese in einer dichten Story tiefgreifend zu erforschen, anstelle des „mehr, mehr, mehr!“. Auch möchte ich sagen, dass der zweite Band mit einem Perspektivenwechsel der Erzählperson daherkommt, was eine Idee ist, die für alle Leser von „Sternenpuls“ viel Sinn ergeben sollte, wenn ich meinen Job im ersten Buch gut gemacht habe!

Wir sind gespannt. Danke für das Gespräch!

Drew Williams: Sternenpuls • Aus dem Englischen von Norbert Stöbe • Heyne, München 2020 • 606 Seiten • E-Book: 11,99 Euro (im Shop) • (Leseprobe)

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