4. Februar 2020 1 Likes

Eine atemlose Jagd durch die Galaxis

Eine erste Leseprobe aus Drew Williams‘ Science-Fiction-Debüt „Sternenpuls“

Lesezeit: 4 min.

Als langjähriger Buchhändler weiß Drew Williams ganz genau, was einen guten Unterhaltungsroman ausmacht. Nun hat er mit „Sternenpuls“ (im Shop) selbst genauso ein Buch geschrieben. Er erzählt die Geschichte der toughen Space-Agentin Jane Kamali, deren Job es ist, von Planet zu Planet zu reisen und nach Kindern mit besonderer Begabung Ausschau zu halten, um diese dann auf ihren Heimatplaneten zu bringen. Kinder, deren Kräfte im bevorstehenden Krieg über Sieg oder Niederlage entscheiden könnten. Doch das ist einfacher gesagt als getan, denn die gesamte Galaxis wurde von einer mysteriösen Energiewelle, dem sogenannten Puls, lahmgelegt …

 

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Scheherazade hatte mich auf dem höchsten Punkt einer verrosteten, halb verfallenen Raffinerie abgesetzt. Um mich herum erstreckte sich der scheinbar endlose Himmel dieser neuen Welt, ein helles, sienafarbenes Tuch, das die Sterne verbarg. Ich beobachtete, wie Schaz in den Orbit zurückflog – nun, »beobachten« ist ein starkes Wort in Anbetracht dessen, dass all ihre Stealth-Systeme auf Hochtouren liefen, aber ich bemerkte immerhin das verräterische Aufblitzen der Triebwerke –, dann schulterte ich das Gewehr und kletterte nach unten. Am stark verrosteten Metall fand ich Halt.

Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich einem diese Dinge werden: das Klettern, Springen und Balancieren, meine ich. Auf einer Welt, die nicht vom Puls betroffen war, wäre nichts davon nötig gewesen – ich wäre mit Antigravstiefeln oder einem Jetpack ausgerüstet oder einfach auf den Feldern ausgestiegen. Um von einem hundert Meter hohen Gebäude zum Boden hinunterzugelangen, hätte ich lediglich einen Knopf drücken und mich fallen lassen müssen, bis ich sanft gelandet wäre.

Ohne all diese nützlichen Errungenschaften war es körperlich deutlich anstrengender – das Klettern, Springen und Balancieren –, doch das machte mir nichts aus. Es war wie Fitnesstraining und erinnerte mich daran, dass dieser ganze Unsinn auf der Welt, zu der ich hinabkletterte, nichts bedeutete. Meine Reflexe und körperlichen Fähigkeiten würden für mein Überleben ebenso wichtig sein wie meine wenigen technischen Geräte, die der Nachpulsstrahlung widerstanden.

Als ich vom Turm hinuntergeklettert war, schwitzte ich ordentlich und hatte mich auf die harte Tour mit den physikalischen Gegebenheiten dieses Planeten vertraut gemacht. Ich wusste nun über Dinge wie die Launen der Schwerkraft und die Atmosphäre Bescheid. Die Werte der meisten Terraformwelten lagen innerhalb eines bestimmten Bereichs – doch es ist erstaunlich, wie stark sich selbst kleine Unterschiede summieren können, wenn man körperlich gefordert ist. Ein Hauch mehr Sauerstoff in der Luft als gewohnt, eine um ein Prozent höhere oder niedrigere Schwerkraft, und plötzlich werden alle Normen über den Haufen geworfen. Man muss sich neu anpassen.

Um wieder zu Atem zu kommen, setzte ich mich im Schatten des Raffinerieturms auf den Boden und überprüfte meine Ausrüstung. Nichts war beschädigt, und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass die Strahlung schneller anstieg als angenommen. Ja, ich hatte hier einen Auftrag auszuführen, wollte aber unbedingt vermeiden, dass in einem ungünstigen Moment irgendein Gerät ausfiel und ich getötet wurde. Das hätte niemandem genützt.

Während der große Metallturm über mir im Wind ächzte, redete ich mir ein, dass ich ganze Arbeit leistete. An manchen Tagen gelang mir das besser als an anderen.

Sobald ich mich von der kleinen Kletterpartie erholt hatte, schulterte ich wieder mein Gewehr – eine solide Waffe mit Schwarzpulverpatronen, wie sie auf allen Nachpulswelten verwendet wurde, stark genug, um mit technisch fortschrittlicheren Waffen auf Welten mit noch weitgehend intakter Technik mitzuhalten, und primitiv genug, um auf rückschrittlicheren Welten wie dieser nicht unnötig aufzufallen –, dann setzte ich mich auf der mit mutiertem Gras bestandenen Ebene in Bewegung.

Diese Welt war sehr hübsch; das musste man denen, die sie entworfen hatten, lassen. Der Himmel hatte eine angenehme orange-pinkfarbene Tönung, die gegen Abend zu Indigoblau überging. Eine perfekte Ergänzung der importierten Pflanzenarten, hauptsächlich lange grüne oder violette Gräser und ein paar große Bäume, die überwiegend von Tyll stammten und dicke braune und graue Stämme hatten, auf denen azurblaue Wedel schwankten. Dort, wo kein Gras wuchs, erstreckten sich zumeist große Weizenfelder – auch der Weizen stammte von den Tyll –, was den Nachforschungen entsprach, die ich durchgeführt hatte, bevor Scheherazade mich absetzte.

Im Zuge der Recherche hatte ich zudem erfahren, dass diese Welt vor ein paar Hundert Jahren einem Terraforming unterzogen worden war, um sie landwirtschaftlich zu nutzen; von den Sektenkriegen war sie kaum in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb es mich ein wenig überraschte, dass der Puls den Planeten in technischer Hinsicht fast auf null zurückgeworfen hatte – auf ein Niveau vor der Entwicklung der elektrischen Beleuchtung.

Begreifen zu wollen, warum der Puls gerade diese Auswirkungen gehabt hatte, war jedoch vergeblich: Ich hatte schon Systeme besucht, in denen ein Planet verschont geblieben war, während ein anderer auf ein Level vor der Entwicklung des Weltraumflugs zurückgefallen war, wohingegen man auf dem Mond derselben Welt wieder beim Verbrennungsmotor gelandet war. Es gab keine plausible Erklärung, nicht einmal innerhalb eines einzelnen Systems – die Wirkung des Pulses war völlig zufällig, und nach einer verborgenen Absicht darin zu suchen war in etwa so, als wollte man in Wettermustern das Antlitz Gottes entdecken.

Das wusste ich, weil ich einer der Idioten war, die den Puls überhaupt erst von der Kette gelassen hatten. Deshalb war ich hier: Ich wollte versuchen, meine Fehler wiedergutzumachen. Natürlich nur im allerkleinsten Rahmen. Ich war nur eine Frau, und das Universum war sehr, sehr groß. Außerdem hatte ich viele Fehler begangen.

 

Drew Williams: „Sternenpuls“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Norbert Stöbe ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2020 ∙ 608 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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