15. Juni 2015 3 Likes 1

„Der Druck, ja keinen Fehler zu machen, war enorm“

Ein Interview mit „Ordinary Spaceman“ Clayton C. Anderson, Astronaut im Ruhestand

Lesezeit: 8 min.

Er hat das erlebt, wovon wir nur träumen: Ins All fliegen und die Schwerelosigkeit erleben. Doch bis es so weit war, musste Clayton C. Anderson, der erste und bislang einzige Astronaut Nebraskas, durch das Auswahlverfahren der NASA und dann durch ein rigoroses Training, ehe sich sein Traum erfüllte und er fünf Monate auf der ISS verbrachte. Über die Höhen und Tiefen dieser Zeit schreibt er in seiner Autobiografie „The Ordinary Spaceman“ mit sehr viel Verve und Witz, und wer in seinem Leben nur eine einzige Astronauten-Biografie liest, sollte zu dieser greifen.
Die Gelegenheit, einen waschechten Astronauten zu interviewen, bekommt man nicht alle Tage – umso glücklicher bin ich, dass Clayton Anderson sich die Zeit genommen hat, mir ein paar Fragen zu beantworten:

 

In Ihrer Autobiografie „The Ordinary Spaceman” nennen Sie die Apollo-8-Mission, deren Mondumrundung live im Fernsehen zu sehen war, als einen Beweggrund für den Wunsch, Astronaut zu werden. Hatte die Science-Fiction auch etwas damit zu tun?
Als ich älter wurde, spielte die Science-Fiction dabei durchaus eine Rolle. Als Teenager wurde ich ein großer Star-Trek-Fan (ja, man kann mich zu den „Trekkies“ zählen … aber ich ziehe mir keine Kostüme an!). Als ich in der Highschool war, wurde ich ein Fan des SF-Autors James P. Hogan. Ich las (und liebte) „The Minervan Experiment“ und „Unternehmen Proteus“ („The Proteus Operation“). Vor allem letzteres fand ich faszinierend (na, Spock-Anspielung verstanden?). Die Kombination aus Zeitreise und Zweiter Weltkrieg zog mich in ihren Bann! Die „Minerva“-Trilogie weckte mein Interesse an der interstellaren Raumfahrt zu fremden Planeten und an Aliens.

Was war die größte Herausforderung am Astronauten-Training für Sie, und wie wurden Sie damit fertig?
Die Trennung von meiner Familie stellte sich als große Hürde für mich als Astronaut heraus. Zuvor allerdings war es der ständige Druck, dem man ausgesetzt war. Man musste sich einen Namen machen und sich einen Ruf verschaffen, ohne die anderen Astronauten, Neulinge wie Veteranen, vor den Kopf zu stoßen. Als AsCans (Kurzform für „Astronaut Candidates“, also Astronautenanwärter) mussten wir Prüfungen machen und bestehen. Dabei wurden wir sehr streng beaufsichtigt, damit wir ja nicht in den Prüfungen schummeln würden (ja, echt jetzt!). Der Wettbewerb, der erste zu sein, der an einer Mission teilnehmen durfte, war sehr stark. Ich nahm viel von diesem Stress mit nach Hause (fragen Sie meine Frau!), weil ich diesen Aspekt in meiner Karriere als Astronaut überhaupt nicht erwartet hatte.
Der Druck, ja keinen Fehler zu machen, war enorm, darauf gehe ich auch in meinem Buch ein. Versage ja nicht in den Simulationen oder im T-38 Jet, wenn du ins All fliegen willst!

Sie verbrachten fünf Monate auf der Internationalen Raumstation ISS. Neben den „üblichen“ Dingen wie Ihre Familie und vielleicht auch Privatsphäre, was haben Sie am meisten vermisst? Ich spreche von den kleinen Dingen, von denen Sie nie gedacht hätten, dass Sie sie mal vermissen würden.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal den Geruch von frisch gemähtem Gras vermissen würde … Oder das Aroma der salzigen Meeresluft, die vom Golf von Mexiko hereinweht! Und natürlich vermisste ich wirklich gutes Essen, wie ein T-Bone Steak, medium, von einer Kuh, die mit Mais aus Nebraska gefüttert worden war, mit Ofenkartoffeln und einem schönen Glas Silver Oak Cellars Cabernet Sauvignon!

Was war das absolut Beste am Leben im Weltraum?
SCHWERELOSIGKEIT! Ich sage es immer wieder: Ich war Superman, jeden Tag! Ich flog zum Frühstück. Ich flog zur Arbeit. Ich flog zur Toilette. Ich flog sogar, während ich die Toilette benutzte! An zweiter Stelle kommt der Blick durchs Fenster auf die Erde und ins All hinaus, aber das liefert sich ein enges Rennen mit Weltraumspaziergängen (oder EVAs für Extravehicular Activities).

Sie waren mit zwei russischen Kosmonauten auf der ISS. Gab es kulturelle Unterschiede, die Ihren Aufenthalt zu einer Herausforderung machten (von der Sprachbarriere mal abgesehen)? Wie haben Sie diese Unterschiede überwunden?
Ich weiß nicht, ob wir „echte“ kulturelle Unterschiede hatten, die unsere Beziehung beeinflussten oder sich als Herausforderung herausgestellt hätten. Fyodor und Oleg weigerten sich strikt, mit mir über ihre Gefühle zu Präsident Putin zu sprechen, während ich nur zu gerne mit ihnen über Präsident George W. Bush sprach. Ich fand es sehr interessant, wie „verschlossen“ sie waren, wenn es um ihre politischen Ansichten ging.
Interessant waren auch ihre Interaktionen mit der russischen Bodenkontrolle. Sie waren eher schweigsam und sagten nichts Strittiges oder Negatives. Ich schreibe das dem Umstand zu, dass sie nach Leistung bezahlt wurden. Wie gut sie ihre Aufgaben und Pflichten erfüllten, wirkte sich direkt auf ihr Gehalt und die Möglichkeit zu weiteren Flügen ins All aus. Wie man in „The Ordinary Spaceman“ nachlesen kann, war das bei mir umgekehrt: Ich war mehr als bereit, der US Mission Control zu widersprechen, wenn etwas meiner Meinung nach schief ging oder besser hätte gemacht werden können (sehr zum Nachteil für meine Karriere).

Ich habe mich immer gefragt, wie es um das Gesetz im Weltraum steht. Gibt es eine Analogie zum Seerecht für die Crews auf der ISS? Was passiert, wenn ein Astronaut durchdreht und zum Teppichmesser greift? Kann der Kommandeur dann zu legalen Mitteln greifen und ihn irgendwie disziplinieren, wie ein Kapitän auf einem Schiff?
Solche Fälle werden meines Wissens nach weder trainiert noch angesprochen. Wenn so etwas passieren würde, würde die Crew sich, denke ich, zusammentun (jetzt, wo sechs Astronauten auf der ISS sind, ist es sicherlich leichter, eine Koalition einzugehen) und versuchen, den durchgedrehten Kollegen zu beruhigen oder ihn irgendwie zu bändigen. Duct Tape wäre das Mittel der Wahl zur Fixierung, und wir haben Medikamente an Bord, mit denen man jemanden ruhig stellen kann, was man in einem solchen Fall sicherlich machen würde. Der Kommandeur der Crew trägt in allen Situationen die Verantwortung, aber mich würde wirklich interessieren, wie die Reaktionen des amerikanischen und russischen Kommandeurs ausfallen würden, wenn das im Weltraum wirklich einmal passieren würde. (Auch wenn nur eine Person der offiziell designierte Kommandeur ist, hat jede Abteilung, die Russen wie die Amerikaner, einen eigenen Kommandeur.) Wie – wenn überhaupt – würden die Bodenteams zusammenarbeiten, damit die Situation in den Griff gebracht werden kann? Eine wirklich interessante Frage!
Und, nebenbei bemerkt, wenn dieser „verrückte“ XXXX-onaut wieder zurück zur Erde gebracht wird, müsste seine/ihre Crew (drei Leute in einer Sojus-Kapsel) auch mitkommen.

Wir waren alle begeistert von Andy Weirs Roman „Der Marsianer“ (im Shop) und freuen uns auf den Film von Ridley Scott. Glauben Sie, dass solche Bücher und Filme einen positiven Einfluss auf das Weltraumprogramm haben könnten, sowohl in Bezug auf den technischen Fortschritt als auch, was die öffentliche Meinung über die NASA und eine zukünftige Mission zum Mars betrifft?
Ich bin auch begeistert davon! Es sieht so aus, als würde der Film wirklich gut werden. Ich denke, wenn die NASA sich klug anstellt (und es sieht alles danach aus, als würde sie das langsam lernen!), springt sie auf den Zug auf und versucht, einen Vorteil aus dem ganzen Rummel um den Film zu ziehen. Wie es zum Beispiel auch bei „Gravity“ gemacht wurde, können solche Filme dazu benutzt werden, Begeisterung in Bezug auf den Weltraum auszulösen und Jugendliche dazu bringen, sich für Wissenschaft, Technologie, Ingenieurswesen, Kunst und Mathematik zu interessieren. Ich habe in Manchester, UK, an einem TEDx-Talk mit dem Titel „The Force of Gravity“ teilgenommen, wo es auch darum ging, wie der Film dazu benutzt werden kann, die STEAM-Fächer1 populärer zu machen.
Man muss dabei aber auch vorsichtig sein. Andy Weir hat sehr gut recherchiert, um die Technik, die er uns in seinem Roman präsentiert, real wirken zu lassen. Aber in Wirklichkeit haben wir nicht einmal ein Zehntel (wenn nicht sogar noch weniger!) dieser Technologie bereits zu unserer Verfügung. Weir hat großartige Ideen und präsentiert Dinge, die man sich vornehmen könnte, aber so etwas braucht viel Geld und Zeit zur Entwicklung, sodass eine Geschichte wie „Der Marsianer“ heute nur ein ferner Traum ist.
Wäre ich Astronaut Mark Watney, ich würde auf dem Mars sterben. Es gibt viele Astronauten, manche davon VIEL schlauer als ich, und wir wären alle tot, wenn wir in Watneys marsianischem Schutzanzug stecken würden!

Wenn sich Ihnen die Chance böte, würden Sie zum Mars fliegen?
Nur, wenn Hin- und Rückflug, Landung und die Mission nicht viel länger als ein halbes Jahr dauern. Nur dann würde meine Frau mich fliegen lassen! Ich muss allerdings zugeben, dass ich davon geträumt habe, der erste Mensch auf dem Roten Planeten zu sein. Wenn ich aus dem Lander steige, würde ich, als der erste und bislang einzige Astronaut aus Nebraska, so etwas wie „ … Go Big Red Planet!“2 sagen.

In „The Ordinary Spaceman“ erzählen Sie von ihrem Aufenthalt in der Unterwasser-Forschungsstation NEEMO, bei dem Ihre Kollegen „herausgefunden“ haben, dass Sie schwanger sind (mit Zwillingen). Wie beeinflusste diese Schwangerschaft Ihre weitere Karriere, und wie reagierte Ihre Frau auf die „gute Nachricht“?
Unsere Kommandeurin Peggy Whitson, eine Astronauten-Veteranin, konnte es nicht fassen, dass Dr. Garrett Reisman in einem Interview gesagt hatte, dass ich schwanger sei, und sie flippte schier aus, als ich „Mit Zwillingen!“ ergänzte. Sie stellte schnell fest, dass Garrett und ich nur Flausen im Kopf hatten und wir 20 Meter unter der Wasseroberfläche ein wenig Spaß haben wollten.
Meine Frau lachte nur darüber. Sie weiß ganz genau, dass ich nicht einmal ansatzweise die Kraft hätte, Zwillinge zur Welt zu bringen!

Wie geht es weiter mit Astronaut (im Ruhestand) Anderson? Schreiben Sie an einem zweiten Buch?
Ich habe einige Ideen für weitere Bücher, aber zurzeit sind das nur Ideen. Ich halte weiterhin Motviationsreden und unterrichte Grundlagen der Luft- und Raumfahrttechnik in Teilzeit an der Iowa State University in Ames, Iowa. Ich habe noch ein paar andere Projekte in Arbeit, mal sehen, wie die sich entwickeln. Meine Kinder, Sutton und Cole, sind derzeit sehr beschäftigt. Sutton treibt aktiv Sport und spielt Theater, Cole spielt Football im College. Deswegen ist derzeit stolzer Vater und hilfreicher Ehemann sein ganz oben auf meiner Liste!

Herzlichen Dank für das Interview!
Sehr gern geschehen! Vielen Dank, dass Sie diesem „Ordinary Spaceman“ die Gelegenheit dazu gegeben haben!

Mehr Informationen zu Clayton C. Anderson sowie Termine zu Lesungen aus „The Ordinary Spaceman“ finden Sie unter astroclay.com sowie unter uniphigood.com.  
Clayton C. Anderson: The Ordinary Spaceman. From Boyhood Dreams To Astronaut University of Nebraska Press, 2015 400 Seiten € 21,39 (Amazon)

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1 STEAM = Science, Technology, Engineering, Arts und Math; eine Erweiterung der klassischen STEM-Fächer, die die Künste nicht beinhalten.
2„Big Red“ ist der inoffizielle Spitzname der Nebraska Cornhuskers, der mehrere Teams an verschiedenen Universitäten angehören, unter anderem Football, Basketball, Volleyball und Baseball.

 

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Mr. Anderson kommt richtig sympathisch rüber in diesem Interview. Vielleicht ist es nicht die einzige Astronauten-Biographie, die ich lese, aber es wird die erste sein.
Thanks for sharing

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