21. Februar 2023

KI im Ausnahmezustand, Fritz Lang im Nationalsozialismus und Lovecraft im Hochkultur-Salon

Phantastik-Comic-Neuheiten im Februar

Lesezeit: 5 min.

Mathieu Bablet zeigt, wie viel gegenwartspolitische Sprengkraft in moderner Science Fiction stecken kann, Francois Schuitens und Benoît Peeters Spätwerk „Nach Paris“ wird als Gesamtausgabe erneut veröffentlicht und Art Spiegelman illustriert Robert Coovers „Street Cop“.

 

Mathieu Bablet: Carbon & Silizium

Schon in „Shangri-La“ (2021) hat der französische Comickünstler Mathieu Bablet (noch eine Spur zu plakativ) deutlich gemacht, dass er seine dystopische Science Fiction als Instrument der Gegenwartsdiagnose verstanden wissen will. Im 270-seitigen Nachfolgebrocken „Carbon & Silizium“ hat er seine Themen im Griff und legt einen der besten SF-Comic dieses Jahrzehnts vor, so viel kann man prophezeien.

Auftakt in der KI-Werkstatt, erste Frage der Wissenschaftlerin an die neue Schöpfung: „Und, was ist der erste Gedanke, den ihr mit uns teilen wollt?“ „Die Menschen sind das wahre Problem der Erde, die einzige Lösung ist, sie auszulöschen.“ „W…was?“ „Ein Scherz! (…) Keine Sorge, ihr wisst doch sowieso schon, wie es mit euch enden wird, oder? Wir verurteilen euch nicht, ihr macht, was ihr wollt.“ Dieses Wir sind Carbon und Silizium, die ersten beiden KI aus dem Silicon Valley, die zur kommerziellen Verwertung entwickelt wurden. Und zum Verurteilen der Menschen werden sie noch allen Grund haben. Dank ihrer technischen Beschaffenheit gönnt ihnen der Plot eine 271 Jahre währende Odyssee über den Planeten, genug Zeit, um sich von freundlichen, lernbegierigen Helfern zu desillusionierten Misanthropen zu entwickeln (die Vernichtungsnarrative des Genres sind dabei nicht vorgesehen). Der Clou liegt in den Zeitsprüngen, die manchmal 20, 30 Jahre umfassen: Die zivilisatorische und technologische Entwicklung der Menschheit ist stetes Hintergrundrauschen, ihr jeweiliger Stand will aus dem Benehmen der KI abgeleitet werden, die sich, wie jedes Individuum, mit den Jahren physisch und identitär verändern, mal um Gleichberechtigung kämpfen, mal die erstrittenen Rechte politisch verteidigen müssen, mal in Eskapismus, mal in Aktivismus flüchten, mal in Drogen, mal in Forschung ihr Heil finden. Bablet liefert keine konstante Auf- oder Abwärtskurve, sondern bleibt unaufgeregt diffus. Aber die ausgedörrten Farben kündigen dennoch die qualvolle Anomie einer Welt an, der der Kapitalismus sozial, ökologisch und kulturell zum Verhängnis geworden ist. Wie die beiden Roboter dies langsam realisieren müssen, ist nicht nur wohldurchdacht qualvoll, sondern eignet sich als erschreckend treffsicherer Kommentar zu einer sich in die Verrohung verdrängten Gegenwart, in der Klimakleber mehr Zorn hervorrufen als die bevorstehenden Katastrophen, vor denen sie sich fürchten.

Mathieu Bablet: Carbon & Silizium • Splitter, Bielefeld 2023 • 272 Seiten • Hardcover • € 45,00

 

Arnaud Delalande, Éric Liberge: Fritz Lang. Die Comic-Biografie

Der Biografie-Hinweis im Untertitel dieses Comics über Fritz Lang ist etwas irreführend, tatsächlich fokussieren sich Zeichner Éric Liberge und Szenarist Arnaud Delalande ausschließlich auf die Zeit vor Langs USA-Exil. Diese Konzentration auf die deutsche Phase verhindert zum Glück eine Standard-Bio mit Wikipedia-Ehrgeiz, aber aus den Seiten dringt allseits das dunkle Pathos des Hitlerismus Knopp’scher Provenienz. Immer wieder drängt der Gröfaz ins Bild, ikonisch statt despotisch, um Zeitgeist zu illustrieren und mehr noch Schauder zu erwecken, die Bildästhetik adelt ihn nahezu ergriffen zum Posterboy, der grimmig auf die Konflikte der Weimarer Republik herabblickt. Konflikte, die auch das Paar Lang/von Harbou spätestens bei der Produktion von „Metropolis“ voneinander entfremden, ein Widerstreit zwischen künstlerischer Integrität und Kollaboration: Harbou ließ sich im Gegensatz zu Lang liebend gerne von den Nazis umgarnen. Eine ästhetisch standhafte Methode finden Liberge und Delalande dafür leider nicht. Auch nicht im Text. Frisch aus dem Knast entlassen denkt sich Hitler, was ein frisch aus dem Knast entlassener Hitler eben so denkt, wenn er die Leser*innen im Jahr 2023 infotainen soll (sogar mit dramatischer Pause): „Meine Inhaftierung hat am Ende nur wenige Monate gedauert. Aber ich habe sie genutzt, um zu lesen und zu schreiben. Nietzsche, Chamberlain, Ranke, Treitschke, Marx, die Memoiren von Bismarck… die Nibelungen.“ Eine Seite zuvor brüllt Lang bei den „Nibelungen“-Dreharbeiten zackig Anweisungen inklusive expressionistischer Absichten ins Megafon: „Der Expressionismus ist die Übertreibung aller Stimmungen und Gefühle, damit der Zuschauer die größtmögliche Gefühlsdichte erlebt. Ist da so schwer zu verstehen? Und wir sind der deutsche Expressionismus, der sich von der Realität löst, um sie den Seelenzuständen des Künstlers Untertan zu machen.“

Arnaud Delalande, Èric Liberge: Fritz Lang. Die Comic-Biografie • Knesebeck, München 2023 • 112 Seiten • Hardcover • € 25,00

 

Art Spiegelman, Robert Coover: Street Cop

Kürzlich feierte Art Spiegelman seinen 75. Geburtstag und meldet sich mit einer (in den USA bereits 2021 veröffentlichten) illustrierten Geschichte des US-amerikanischen Schriftstellers Robert Coover zurück. „Street Cop“ ist die Verschiebung heutiger Vorboten hin zur weltumspannenden Techno-Katastrophe: Ein ahnungsloser Polizist und früherer Krimineller stolpert durch eine technisch hochgerüstete Zukunft, die er nicht mehr versteht, weil sie sich dank avancierter 3-D-Druckverfahren laufend verändert, und wünscht sich hauptsächlich sein altes Viertel herbei, in dem es noch im Rhythmus der alten Noir-Gesetze krachte. Auftakt für Spiegelman und seine, wie er es nennt, „Nostalgie für die Gosse“. Seine Bilder sind ein Referenzspiel mit der Comicgeschichte und zitieren Klassiker wie „Little Nemo“, „Blondie“, „Betty Boop“ und die rüden EC Comics, installiert als politisiertes Ringen mit der Wehmut, als Teil einer vergangenen Kultur, von der niemand, auch nicht der Street Cop, mehr so recht sagen kann, ob sie tatsächlich mal besser war oder nur die Angst vor der Gegenwart besser zu kontrollieren hilft.

Art Spiegelman, Robert Coover: Street Cop Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023 132 Seiten • Softcover • € 22,00

 

Gou Tanabe: Der Außenseiter und andere Geschichten

Der japanische Manga-Künstler Gou Tanabe bannt Lovecraft so berauschend eigenwillig aufs Zeichenpapier, da kann nur Breccia mithalten. Ein Schraffurenrausch, aus dem sich naturalistische Figuren und Monstren herausschälen, das konnte man bereits in „Schatten über Innsmouth“, „Cthulhus Ruf“, „Der Schatten aus der Zeit“, „Berge des Wahnsinns“, „Die Farbe aus dem All“ und zwei Kurzgeschichten-Bänden bewundern. Warum in letzteren nicht auch die vorliegende Lovecraft-Kurzgeschichte „Der Außenseiter“ gelandet ist, weiß nur der Verlag. Inhaltlich kommt sie ganz ohne kosmische Wucht aus, der Protagonist entsteigt seinem Gefängnis und findet auf ziemlich traurige Weise heraus, dass er nicht der ist, für den er sich gehalten hat. Dass der Pulp-Phantast Lovecraft ansonsten in diesem Band zwischen Tschechow und Maxim Gorki gebettet wird, ist eine herrliche Chuzpe für sich.

Gou Tanabe: Der Außenseiter und andere Geschichten • Carlsen Manga, Hamburg 2023 • 208 Seiten • Hardcover • € 14,00

 

Francois Schuiten, Benoît Peeters: Nach Paris – Gesamtausgabe

Das belgisch-französische Künstlerduo Schuiten/Peeters hat mit seinem 1983 begonnenen Zyklus „Die geheimnisvollen Städte“ ein faszinierendes Comic-Universum entwickelt, in dem die Protagonisten wie kafkaeske Figuren durch (bald) vergangene Metropolen aus futuristischer Monumentalarchitektur streifen und allmählich der Absurdität ihrer meist misslichen Situation gewahr werden. „Nach Paris“, ursprünglich 2014 und 2016 erschienen, ist nicht Teil des Städte-Zyklus, fühlt sich aber an wie ein später Gruß an diesen Höhepunkt ihres Œuvres, auch wenn der gewohnt auf Lücken setzende Ton der Erzählung – Karinh will den restriktiven Verhältnissen einer Raumkolonie entkommen und verpflichtet sich für eine Expedition zur Erde, um endlich Paris zu sehen – nicht mehr die einstige metaphorische Geschlossenheit erreicht. Die zwei Alben sind nun als um Bonusmaterial angereicherte Gesamtausgabe erneut erschienen.

Francois Schuiten, Benoît Peeters: Nach Paris – Gesamtausgabe • Schreiber & Leser, Hamburg 2023 • 144 Seiten • Hardcover • € 34,80

Große Abb. ganz oben aus „Carbon & Silizium“ von Mathieu Bablet, Splitter

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