Saatgut-Dystopie: „Wildblumen“ von Sascha Gallion

In Sascha Gallions kleinem, aber feinem Comic „Wildblumen“ müssen die Menschen in der Öffentlichkeit und dem städtischen Alltag Gesichtsmasken tragen, gleichzeitig ist alles Grünzeug in der betonierten, vom Smog durchzogenen City verboten. Was an Bäumen noch da ist, wird für mehr Wohnraum oder Fahrbahn im Grau systematisch abgeholzt – und Blumen werden von Beamten in Schutzanzügen unnachgiebig ausgerupft oder flächendeckend mit Gift besprüht. Nur Gallions Protagonist widersetzt sich und pflanzt als gefährlich lebender Rebell, der von der Anti Flower Einheit als Blumenterrorist gejagt wird, Wildblumensamen. Eines Tages erkennt er durch blanken Zufall, dass er nicht alleine ist …

Maskenpflicht und stadtweite Desinfektion – ist „Wildblumen“, das der 1974 geborene Kletterzentrum-Leiter und Comic-Künstler Sascha Gallion bis auf einen fiktiven Zeitungsartikel ganz ohne Worte umgesetzt hat, am Ende etwa eines dieser berühmten Werke zum Thema der Stunde, das unser aller Leben derzeit beeinflusst? Wenn, dann mit langem Anlauf und viel Schützenhilfe von Zufall und Zeitgeist. Denn schon 2017, auf der Fahrt zum damaligen Comic-Salon in Erlangen (dessen 2020er-Auflage wegen der Pandemie abgesagt werden musste), hatte Gallion die Idee zu seiner dystopischen urbanen Bildergeschichte, die im Jahr mit und von Corona nun natürlich noch greifbarer wirkt.

Gallions hübsche Aquarellbilder, die Farbe als wirkungsvolles Stilmittel einsetzen, haben einen guten Fluss und schaffen es, die weitgehend wortlose Geschichte zu tragen – Details, Zusammenhänge und Handlung ergeben sich hauptsächlich aus den Bildern. So präsentiert sich dieser Indie-Heftcomic mit dem Duktus einer Kurzgeschichte als charmante, schön visualisierte Saatgut-Dystopie, die nicht als Corona-Comic gedacht war, aber gut in den Sommer 2020 passt. Auch, weil es trotz Maskenpflicht ein Happy End gibt. Das sollte Hoffnung in uns keimen lassen …

Abb.: Sascha Gallion/Zwerchfell

Sascha Gallion: Wildblumen • Zwerchfell, Stuttgart 2020 • 48 Seiten • Heft: 7 Euro