22. März 2017 1 Likes

Futuristischer Puppenspieler

Al Robertsons Cyberpunk-Romandebüt „Dunkler Orbit“

Lesezeit: 3 min.

Der Cyberpunk von Heute ist anders als der Cyberpunk, den William Gibson (im Shop), Bruce Sterling (im Shop) und Co. in den 80ern mit ihren grundlegenden Werken über die Beziehung von Mensch und Maschine definiert und in viele Bereiche der Popkultur eingespeist haben. Die Themen und Gedanken sind noch immer dieselben – allerdings bedingt die irrsinnige Geschwindigkeit, mit der die Symbiose der menschlichen und der digitalen Welt in unserer Gegenwart vonstatten geht, mehr denn je den Rahmen und die Grenzen dieser SF-Spielart. Trotz aller neuen Subgenres, die sich als Antwort auf den rasanten, beständigen Fortschritt entwickeln, ist es gar nicht so leicht, dem guten alten Cyberpunk frische Konzepte oder gar eine visionäre Geschichte abzuringen. Dem Briten Al Robertson, der auch als Musiker und Dichter unterwegs ist, hauptberuflich eine ganze Reihe spannender Projekte in der Wirtschaft betreut und seit über zehn Jahren fantastische Kurzgeschichten und Novellen veröffentlicht, ist genau dies in seinem Romandebüt „Dunkler Orbit“ (im Shop) gelungen.

Sein hartes Far-Future-Cyberpunk-Szenario will sich einem nicht auf den ersten paar Seiten erschließen – eine Parallele, die Robertson mit dem bereits erwähnten Cyberpunk-Godfather William Gibson verbindet, dessen jüngster Roman „Peripherie“ einen noch weit schwierigeren und sperrigeren Einstieg hat. Auch Robertson wirft seinen Leser in „Dunkler Orbit“ – im Original „Crashing Heaven“, also in den Himmel stürzend bzw. platzend oder den Himmel zerbrechend – kurzentschlossen in eine ferne, fremde Zukunft nach der Singularität, die sich nur Stück für Stück erschließt, ja die man sich Teil für Teil erarbeiten und mithilfe des Geschilderten selbstständig zusammenpuzzlen muss. Dafür ist diese Cyberpunk-Zukunft außergewöhnlich und ausgesprochen innovativ: Die Menschheit lebt nach der Zerstörung der Erde auf Station, einem riesigen, heftig industrialisierten Patchwork-Asteroiden. Dorthin kehrt Protagonist Jack Forster nach dem Ende seiner Haftstrafe zurück, die ihm sein unehrenhaftes Verhalten im Krieg der abtrünnigen, aggressiven künstlichen Intelligenzen mit einem Pantheon gottgleicher KI-Entitäten des post-irdischen Kapitalismus eingebrockt hat. Ein nicht gerade leiser Teil von Jack ist die mit seinem Bewusstsein verwobene Kampf-KI Hugo Fist, die sich in der virtuellen Realität genauso wie in der handfesten Wirklichkeit von Station als lebendige Killer-Puppe manifestieren kann. In Kürze wird der verrückt-gefährliche Hugo den Geist und den Körper seines menschlichen Wirts ganz übernehmen. Vorher geht der als Verräter gebrandmarkte Jack aber noch dem vermeintlichen Selbstmord seiner großen Liebe Andrea nach. Das bringt ihn und Hugo näher an eine Verschwörung im Orbit der gewaltigen, finsteren artefaktischen Mächte Stations, als gut für sie ist…

Al Robertson hat mit „Dunkler Orbit“ kein einfaches Buch vorgelegt, in dem er die Puppen leichtfüßig tanzen lässt, sondern viel mehr einen anspruchsvollen Cyberpunk-Roman für fortgeschrittene, erfahrene und geduldige Science-Fiction-Leser. Das Risiko hat sich für den Autor aus Birmingham ausgezahlt und ihm und seinem Romanerstling jede Menge begeisterter Kritiken eingebracht. Anfang des Jahres ist auf Englisch der zweite „Station“-Roman „Walking Hell“ herausgekommen.

Al Robertson: Dunkler Orbit • Aus dem Englischen von Peter Robert • Heyne, München 2017 • 511 Seiten • E-Book: 9,49 Euro (im Shop)

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