9. April 2017 1 Likes

Die Hexe, der Nerd und das Ende der Welt

Charlie Jane Anders’ außergewöhnlicher Roman „Alle Vögel unter dem Himmel“

Lesezeit: 3 min.

Geben Near-Future-Science-Fiction, zauberische Hexen-Urban-Fantasy, Geek-Referenzen und klimabedingte Endzeit-Stimmung eine funktionstaugliche Kombination für einen guten Roman ab? Die Amerikanerin Charlie Jane Anders, die für ihre vielen fantastischen Erzählungen zuvor bereits diverse Preise erhalten hat, tritt mit dem Roman „Alle Vögel unter dem Himmel“ – im Original „All the Birds in the Sky“ und gerade frisch für den Hugo nominiert – den Beweis an, dass selbst der wildeste Genre-Mix funktionieren kann, wenn er genügend Herz und Seele hat.

Ihr ungewöhnliches Buch beginnt mit Patricia, die als kleines Mädchen im Wald einen verletzten Vogel findet und sich plötzlich mit ihm unterhalten kann. Dadurch erfährt Patricia, dass sie allem Anschein nach eine Hexe ist. Ihr Mitschüler Laurence ist dagegen ein Nerd und Technikwunderkind, der noch auf der High School eine Mini-Zeitmaschine baut, die es ihm ermöglicht, zwei Sekunden in der Zeit nach vorn zu springen, und der in seinem Kinderzimmer eine beachtliche künstliche Intelligenz entwickelt. Laurence und Patricia verbindet ihr Außenseiterstatus. In der Schule werden sie gemobbt und terrorisiert, außerdem hat es ein mystischer Auftragskiller auf sie abgesehen. Jahre später treffen die Hexe und der Geek, deren junge Freundschaft am Ende schwere Zeiten durchmachte, sich im hippen San Francisco wieder. Die nahe Zukunft ist ein cooler Ort mit einem cleveren neuen Smart-Gadget und einem allgegenwärtigen sozialen Netzwerk, aber zugleich die letzte Haltestellte für die Menschheit: Superstürme und andere Katastrophen sind die Vorboten des drohenden Weltuntergangs. Laurence und Patricia, die als Erwachsene ihr volles individuelles Potential abgerufen haben, leben als erfinderische rechte Hand eines Hightech-Genies und als Mitglied einer mächtigen Hexenschule in grundverschiedenen Welten. Deshalb agieren sie im Kampf um die Zukunft der Menschheit, die nicht zwingend den Planeten mit einschließt, auf unterschiedlichen, verfeindeten Seiten …

Wie sich „Alle Vögel unter dem Himmel“ von einem zeitgenössischen Coming-of-Age-Drama mit Hexenmagie in eine sowohl optimistische als auch pessimistische Erkundung der nahen Zukunft verwandelt und schließlich in endzeitliche, apokalyptische Fahrwasser gleitet, ist wirklich beachtlich. Zumal Charlie Jane Anders für ihren unaufgeregten Roman, der in einer schönen, klaren Sprache abgefasst ist und seine Zeitsprünge innerhalb der Handlung genau an der richtigen Stelle setzt, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Magie und Technik findet. Obendrein schöpft sie aus diesem Subgenre-Widerspruch sowohl Spannung als auch Symmetrie. Die Verbindung von Magie und Technik – von Urban Fantasy und Science-Fiction also – ist z. B. in Superhelden-Comics und ihren erfolgreichen Verfilmungen eine Alltäglichkeit und für gewöhnlich gar kein Problem. In vielen Romanen funktioniert diese spezielle Mischung eigenartigerweise nicht ganz so problemlos und geht gerne mal daneben. Nicht so bei Anders, die aus ihrem literarischen Hexenkessel eine ausgewogene, mit beiden Beinen fest in zwei Genres stehende Geschichte hervorzaubert. Ihre gut ausgearbeiteten Protagonisten gehören ebenfalls verschiedenen Sphären und Weltanschauungen an. Und am Ende treten sie trotz aller Unterschiede und allem, was zwischen ihnen vorgefallen ist, dem Untergang ihrer Welt entgegen …

Ob das Finale mit dem Rest des starken, sympathischen Romans mithalten kann, sei mal dahingestellt – „Alle Vögel unter dem Himmel“ gehört als beeindruckende, erfrischende Genre-Überbrückung in diesem fantastischen Frühjahr jedoch klar zum Geek-Pflichtprogramm.

Charlie Jane Anders: Alle Vögel unter dem Himmel • Fischer Tor, Frankfurt 2017 • Aus dem Englischen von Sophie Zeitz • 414 Seiten • Paperback: 14,99 Euro

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