11. August 2017 2 Likes

Ein böhmischer Raumfahrer

Jaroslav Kalfařs „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“

Lesezeit: 3 min.

Der Astrowissenschaftler Jakub Procházka in Jaroslav Kalfařs Romandebüt „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ ist ein Experte für kosmischen Staub, in dem die Ursprünge allen Seins zu finden sein sollen. Außerdem ist Jakub, der im April 2018 mit dem Raumschiff JanHus 1 ins All geschossen wird, der erste tschechische Astronaut. Jakub, hinter dessen Weltraumabenteuer ein ehrgeiziger Prager Politiker steht, soll eine gewaltige Staubwolke in der Milchstraße untersuchen, die den Nachthimmel der Erde verändert hat. Nach dreizehn Wochen im All begegnet Jakub auf seinem Schiff ein Nutella-verrücktes Alien-Spinnentier, das die menschliche Natur ergründen möchte und deshalb munter in Jakubs Gedanken und Erinnerungen spazieren geht.

Da gibt es einiges zu entdecken: Schließlich stand Jakubs Familie nach der Samtenen Revolution 1989 auf der subjektiv falschen Seite – sein Vater hatte als Agent für das kommunistische System gespitzelt, verhört und gefoltert. Dieser Schatten liegt auf Jakubs gesamter Kindheit, derweil Demokratie und Kapitalismus in Tschechien erblühen, das heißt, wie überall auf der Welt seltsame Blüten trieben. Im Hier und Jetzt verdunkelt dagegen die schwierige, aus den Fugen geratene Fernbeziehung zu seiner Ehefrau Lenka das Dasein des böhmischen Raumfahrtpioniers. Während der konservierte Kadaver der russischen Kosmo-Hündin Laika an ihm vorbeitreibt und er sich der Venus, der mysteriösen Wolke kosmischer Partikel und der Wahrheit über sagenumwobene Phantomweltraummissionen nähert, denkt Jakub intensiv über seine Familie, das Leben, die Liebe und die Unwahrscheinlichkeit von allem nach …

Eigenen Aussagen zufolge mag der in Prag geborene und aufgewachsene, jedoch seit seinem fünfzehnten Lebensjahr in den USA lebende Jaroslav Kalfař keine Genre-Klassifizierungen. Wenn es nach dem inzwischen eingebürgerten Schüler von Jonathan Safran Foer geht, der heute in Brooklyn lebt, dann hat er schlicht und ergreifend einen Roman verfasst, wie ihn sein Leser vorher noch nie zu Gesicht bekommen haben dürfte, und damit Ende. Trotzdem ist „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ einerseits natürlich ganz klar ein Science-Fiction-Buch, andererseits ein starker, persönlicher historischer Roman, und hier und da gar ein zeitgemäßes Beziehungsdrama – und immer eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gestern und dem Heute. Schließlich nutzt Kalfař die Zukunftsliteratur und die historische Literatur zur Reflexion des Menschseins, und zur eingehenden Betrachtung der tschechischen Vergangenheit und Mentalität.

Sein erster, von Barbara Heller ins Deutsche übertragener Roman bei Klett-Cottas Tropen-Imprint braucht ein wenig, bis alle erzählerischen Triebwerke gezündet sind, und hat zweifellos einen gehobenen literarischen Anspruch und eine gehobene literarische Güte. Dass die Handlung im All in der Vergangenheitsform erzählt wird, wohingegen die Rückblenden, die das sympathische Alien erfährt, in der Gegenwartsform daherkommen, entpuppt sich indes als hübscher schriftstellerischer Kniff. Selbiges gilt für die Protokolle der Psychiater-Sitzungen im späteren Verlauf der Story. Alles zusammen ergibt einen interessanten und modernen tschechisch-amerikanischen Science-Fiction-Roman, der davon lebt, dass der philosophisch veranlagte Kalfař seine Wurzeln erforscht und sie zugleich bis in die menschliche Seele und ins wundersame All ranken lässt.

Jaroslav Kalfař: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt • Tropen, Stuttgart 2017 • 367 Seiten • Hardcover: 22,00 Euro

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.