28. März 2018 2 Likes

Der Klang der Monster-Stille

Robert Kirkmans neue Comic-Serie „Oblivion Song“

Lesezeit: 3 min.

Seit fünfzehn Jahren beherrscht der amerikanische Comic-Schreiber Robert Kirkman (im Shop) mit seiner packenden Zombie-Seifenoper „The Walking Dead“ das postapokalyptische Genre, das er regelrecht revitalisierte. Jetzt startet „Oblivion Song“, die brandneue Science-Fiction-Panelserie des Erfolgsautors, und deutschsprachige Leser dürfen sich sogar besonders freuen: Während in den Staaten gerade mal ein Heft erschienen ist und das Tradepaperback erst im September aufschlägt, gibt’s im ersten deutschen Band bei Cross Cult gleich sechs Kapitel auf einen Schlag. 


Die deutsche Ausgabe

„Oblivion Song“ setzt zehn Jahre nach einem Ereignis ein, das als Transferenz bekannt wurde. Bei dieser Katastrophe tauschte ein ganzes Stadtgebiet von Philadelphia samt der Menschen darin den Platz mit der Materie – vor allem den Monstern – aus einer fremden Dimension. Die US-Regierung hat die Leute, die es nach Oblivion verschlug, nach all der Zeit abgeschrieben und will keine Mittel mehr für weitere Such- und Rettungsmissionen bereitstellen. Nur der getriebene Wissenschaftler Nathan Cole springt mithilfe eines Geräts an seinem Gürtel noch in die andere Welt, um mit Tarnumhang und Gewehr auf eigene Faust nach den gezeichneten Überlebenden zu suchen; und um sie unter Verwendung eines Mittels, das die Schwingung ihrer Moleküle korrigiert, wieder auf die Erde zurückzubringen. Seine Aufgabe ist Nathan nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil er und sein Bruder Ed im Streit auseinander gingen und Ed zu jenen gehört, die in die gefährliche Dimension der Monster gerissen wurden. Allerdings muss Nathan im ersten Band erkennen, dass nicht alle, die unfreiwillig nach Oblivion kamen, in ihre Heimat und ihr altes Leben zurückwollen … 


US-Heft #1

In den letzten Jahren wurde einiges über den Sehnsuchtsort Postapokalypse geschrieben – über den adrenalingetränkten Abenteuerspielplatz nach dem Ende der Zivilisation und die Chance, sich neu zu erfinden. In Robert Kirkmans multimedial erfolgreichem Genre-Hit „The Walking Dead“ ist das jedoch nur bedingt ein Thema. In „Oblivion Song“ hingegen scheint es, soweit man das nach diesem Auftaktband sagen kann, eine wichtige Triebkraft zu sein, obwohl bei Oblivion trotz der rauen, lebensfeindlichen Umgebung technisch gesehen nicht von einer Apokalypse oder Postapokalypse gesprochen werden kann. Dennoch gehören die ein, zwei ruhigen Momente, in denen man den titelgebenden Oblivion Song vermittelt bekommt – den Klang einer urgewaltigen Welt ohne zivilisatorischen Lärm, die bei allem Schrecken eine eigene Schönheit und Stille besitzt –, sicherlich zu den hervorstechendsten Szenen im ersten Band. Ansonsten gelingt es Kirkman wieder einmal, Figuren mit glaubwürdigen Emotionen und Motivationen zu erschaffen, selbst wenn diese zunächst aus dem Charakterbaukasten stammen. Kirkman macht trotzdem was draus. Noch leidet man nicht auf dieselbe Weise mit Duncan und Co. wie mit Rick aus „The Walking Dead“ oder Mark aus „Invincible“, doch Kirkman hat ja gerade erst angefangen. Und obendrein Langzeitpläne: die ersten 12 US-Hefte sind im Kasten, wie der erfahrene Comic-Macher im Nachwort verrät, und spätestens bis Kapitel 30 will er die schon jetzt mehrgleisige Handlung überraschend verändert und erweitert haben.  


The Walking Dead #171. Cover: Lorenzo De Felici

Eine Überraschung war bereits jetzt der Zeichner des neuen Kirkman-Titels: Lorenzo De Felici ist kein etablierter Künstler; er ist nicht mal einer jener europäischen Zeichner, die in der amerikanischen Szene herumgekommen sind und sich ihre Sporen bei Superhelden aus der zweiten Reihe oder etwas ähnlichem verdient haben. Robert Kirkmans „Invincible“-Kumpel, der zukünftige „Amazing Spider-Man“-Zeichner Cory Walker, stolperte im Netz über den eher unbekannten Italiener, der den US-Lesern dann erst einmal dadurch vorgestellt werden musste, dass einen Monat lange alle Heftpublikationen von Kirkmans Skybound-Imprint beim Image Verlag mit Variant-Covern von De Felici herauskamen. Sein dynamisches Artwork lässt sich weder mit Charlie Adlards selten schönem, aber immer höchst effizientem Strich für „The Walking Dead“ oder mit Paul Azacetas atmosphärischen Bildern für „Outcast“ vergleichen. Doch auch De Felicis Artwork funktioniert: Nicht zu glatt, eine abwechslungsreiche Seitenaufteilung, gutes Storytelling, und seine Monster können mit denen von Guy Davis aus „B.U.A.P.“ mithalten. Die gut ausgewählten und eingesetzten Farbschemata von Koloristin Annalisa Leoni runden „Oblivion Song“ visuell gut ab. 

Ob aus dem Oblivion Song ein Ohrwurm wie „The Walking Dead“ wird, müssen die nächsten Bände und Jahre zeigen. Die Melodie und der Sound des neuen Kirkman gehen jedenfalls schon mal auf Anhieb gut rein.

Robert Kirkman, Lorenzo De Felici, Annalisa Leoni: Oblivion Song Bd. 1 • Cross Cult, Ludwigsburg 2018 • 144 Seiten • Hardcover: 22,00 Euro

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