4. Juni 2018

Eine Mail aus dunkler Vergangenheit

Warum ich der Zukunft stets eine Chance gebe

Lesezeit: 3 min.

Liebe Leserin, lieber Leser dieser Zeilen,

meine literarische Flaschenpost erreicht dich aus den finstersten Tagen des finsteren Februar anno Domini 2018; wir schreiben (oder schrieben) den 23. des Monats; es ist dies der Tag der Heiligen Romina, welche, Tochter eines viel vermögenden Staatsbeamten, aus dem Elternhaus geflohen war, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren und der Ehe mit einem ihr aufgezwungenen Gatten zu entgehen. Statt sich zwangsverheiraten zu lassen, verbrachte sie viele Jahre in einer Felsenhöhle bei Todi im Umbrien.

Unruhige Zeiten waren das, wie man sich heute, da ihr, liebenswürdige Leserin und forscher Leser, diese Post euch buchstabiert, erinnern mag: Ohne politische Führung taumelte das Land, einem ungesteuerten Containerschiff unter bayerischer Flagge gleich, in der Dünung, stampfte und krängte ziellos dahin; schon der bloße Anblick erregte Schweißausbruch, Zwangsschlucken, mit einem Wort: die gepfeffertste Nausea.

An Bord zu sein aber ‒ weia.

Sorge auf den Gesichtern der Nachbarschaft. Es sorgte sich der Pole, der Däne, das welsche Brudervolk zur Linken des Rheines wie der wackere Niederländer, sie alle sorgten sich: Würde dieses Deutschland, schwer angeschlagen und durchgeschüttelt vom Geist der Anarchie, am Ende im Bermudadreieck seiner politischen Zwickmühlenlandschaft untergehen und bei den Fischen der Geschichte landen?

Unser eigener Nachbar, der ein Richter ist und am Familiengericht Recht spricht … aber da muss ich ausholen: Unser Nachbar ist HSV-Fan; wir dagegen halten dem BVB die Treue. An jenem Tag besuchten wir das Westfalenstadion gemeinsam, weil der BVB gegen den HSV spielte, wonach unser Nachbar es unbegreiflich fand, wie seine Hanseaten nur gegen „so eine Mädchenmannschaft“ hatten verlieren können. Auf dem Heimweg überholten wir rechts einen Wagen mit Bremer Kennzeichen, den der Nachbar in den Gegenverkehr zu drängen wünschte, wovon ich ihm mit Hinweis auf seine Beamtenpflicht abriet. Da er also weder die Bremer Karosse vor einen entgegenkommenden LKW schubsen noch seine Mannschaft bejubeln konnte, wandte er sich politischen Themen zu und sagte voraus: „Dieses Hickhack in Berlin ‒ also, lange wird sich die Uschi das nicht mehr mit ansehen.“

„Die Uschi?“, fragte ich.

Er nickte. „Die Uschi und ihre Bundeswehr. Ich denke, in den nächsten Tagen wird sie putschen. Meinst du nicht?“

„Doch, sicher“, sagte ich. „Was sonst? Ein Wunder, dass sie es nicht längst getan hat.“

Er nickte und sprach: „Gegen so eine Mädchenmannschaft. Ich fasse es nicht.“

Dann sangen wir gemeinsam – nun, nicht eben „Hamburg, meine Perle“, aber doch das schöne, ja großartige norddeutsche Lied „Ich vergesse nie die Tage, da draußen auf dem Meer“ der von mir geschätzten Kapelle Feine Sahne Fischfilet.

Man ist ja Optimist.

Ich bin mir sicher: Es wird alles gut geworden sein, und wenn diese Gedanken hier & heute erscheinen, wenn wieder ein Happen Zukunft von der Gegenwart abgebissen und durchgekaut sein wird, dann wird sich unser Land einer veritablen Regierung erfreuen. Anmutige Minister und patente Ministerinnen werden unser aller Wohlergehen in die starke Hand genommen haben; es wird mehr elektrische Zahnbürsten geben; der Heinrich Heine unserer Tage, Jan Böhmermann alias Jim Pandzko, wird den fabelhaften Echo gewinnen („Menschen Leben Tanzen Welt“); das Kantinenessen wird leckerer; warum ich das sage?

Ich gehöre nicht zur Kirche der Früher-war-alles-besser-Gläubigen; ich gebe der Zukunft eine Chance!

Wieso?

Wahrscheinlich, weil ich aufgewachsen in einer Zeit bin, als in der Auslage des Kioskes meines Vertrauens Pracht und Herrlichkeit herrschte: Superman- und Batman-Hefte priesen die Helden unser Zeit, „Felix“ brachte Wastl; von den knallbunten Titelbildern des Deutschen MAD strahlte das lückenhafte, aber überzeugende Lächeln von Alfred E. Neumann, und seit 1967 war auch noch „PERRY RHODAN im Bild“ zu haben (mit Gucky und Atlan!).

Und wer derlei las in möglichst bunter Mischung (wie ich), der wusste: Die Zukunft wird großartig werden!

Und so ist es ja auch gekommen.

Deswegen rufe ich den Heiligen Rominas dieser Welt zu: Heraus aus euren umbrischen Höhlen! Sucht euch einen Mann, eine Frau, ein was weiß ich, wonach immer es euch euer Herz gelüstet! Liebt und lest, was das Zeug hält! Selbst unser Comic-Antiquariat steckt noch voller Futurismen, Visionen, Utopien.

Die Februare unserer Zeit, die gehen auch vorüber. Der Frühling kommt; der Sommer auch. Die Zukunft ist für euch gemacht (für wen denn sonst?)!

Euer Dr. When
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier. 

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