Seltsamer Wein und Todesvögel
Zum Tod von Harlan Ellison
Der Tod von Harlan Ellison hat eine Lücke hinterlassen, die einem erst allmählich bewusst wird. Vielleicht auch deshalb, weil es schon so viele Jahre so still um ihn geworden war, um ihn, den großen Provokateur, den großen Stilisten, Moralisten, und – ja, auch um das große Arschloch, das er sicherlich sein konnte, wenn man den vielen Stimmen von Freund und Feind trauen kann, die sich nun (wieder) melden.
Hier in Deutschland war Ellison über viele Jahrzehnte eine seltsame Legende in der „SF-Szene“, ein ungelesener Unbekannter, dessen Werk nur mittels mühsamer Suche aufzutreiben war. In der Zeit vor dem Internet, das darf man nicht vergessen, war es nicht ganz einfach überhaupt in Erfahrung zu bringen, was jenseits von dem, was einem die großen deutschen SF-Verlage anboten, alles auf der Welt erschien. Ellison sackte zwar einen großen SF-Preis nach dem anderen ein – das bekam man mit etwas Mühe dann doch schon mit –, aber eben nur für Kurzprosa. Und Storysammlungen von Autoren, die keine Romane schrieben und mit diesen Romanen (und gerne auch Serien oder gar Zyklen) ein ausreichend großes Stammpublikum erobert hatten, waren auch damals eher selten. Zumal Ellison auch noch Storys schrieb, die sich doch arg vom Standard-Repertoire der SF absetzten.
Aber Anthologien gab es damals noch, und das nicht einmal in kleiner Zahl, weil manch ein Redakteur eine Schwäche für die Kurzform hatte und in liebervoller Arbeit Kurzgeschichten zusammenstellte. (Und natürlich auch, weil sich selbst Anthologien noch in Stückzahlen verkauften, bei denen die Verlage wenigstens nicht draufzahlten.) Klar waren immer „Zugpferde“ dabei, die großen Namen, aber eben ab und zu auch etwas von Ellison. Und so stieß man in den Auswahlbänden, die Heyne, Ullstein, Fischer oder Bastei verlegten, immer wieder mal auf die Storys dieses Autoren, Storys mit seltsamen Titeln, hinter denen sich alles oder nichts verbergen konnte.
Und irgendwann stellte man fest, dass man die Anthologien gar nicht mehr wegen der Zugpferde kaufte, sondern wegen Ellison.
Und bald danach hatte man eine Eingebung und entschied sich, eingerostete Englischkenntnisse zu reaktivieren und besorgte sich die Sammlungen seiner Storys im Original. Auch das war viele viele Jahre vor Ebay und Co. ein mühseliges Unterfangen. Denn ob ein in der Buchhandlung vor Ort bestelltes amerikanisches Taschenbuch wirklich den Weg in die Provinz fand, das war keineswegs immer sicher. Zudem war einiges vergriffen und der Weg über Antiquariate in Übersee nicht einfach und mitunter teuer.
Aber jedes Buch, das dann doch irgendwann ankam, war ein kleiner Schatz, den man immer und immer wieder zur Hand nahm. Und wenn ich mir heute meine völlig zerlesenen Exemplare von „Strange Wine“ oder „Deathbird Stories“ ansehe, dann wird mir klar, wie wichtig dieser Autor damals für mich war. Denn Ellison war ein Autor, der seine Leser ein ums andere Mal überraschte. Er ließ sich nicht so einfach festlegen, er machte es einem schwer, manchmal verrannte er sich auch, aber er war fast nie durchschnittlich – wenigstens Leidenschaft war immer zu spüren. Oft rasender Zorn, vor allem über Dummheit. Die Einleitungen, die er in den Sammlungen seinen Geschichten voranstellte, waren manchmal fast besser als die Geschichten selbst, das wurde einem im Laufe der Jahre immer bewusster.
Als dann etliche Jahre später bei Heyne der Werküberblicksband „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ (im Shop) erschien, war das eine Art Abschluss, eine Anerkennung, eine Würdigung. Zu spät, zu wenig, aber immerhin. Einige seiner Geschichten haben die Zeit nicht gut überstanden, andere um so besser. Manche wirken sogar frischer als zeitgenössische Werke, auch wenn es nicht um Google oder Gamer geht.
Jetzt ist Harlan Ellison tot und das ist ein seltsames, ein irritierendes Gefühl, weil es eigentlich gar nicht sein kann, weil er einmal so wahnsinnig wichtig war. Es war wirklich still um ihn geworden, und in den letzten zwanzig Jahren hatte sich sein Output deutlich verringert, vielleicht hatte man sich auch an ihn und seine Wut gewöhnt. „Ach, Ellison verklagt mal wieder jemanden.“ Fast gehörte er in die Kategorie: Was, der lebt noch?
Jetzt lebt er nicht mehr und und jetzt kommen also die Nachrufe, die kurzen und die langen. Seine großen Sätze und Bonmots werden zitiert, seine Wutausbrüche, Prozesse und Ausfälle gegen Frauen noch einmal dokumentiert und immer immer immer wieder muss diese verdammte Star Trek-Episode ganz oben erwähnt werden, 50 eher armselige Minuten, die nun wirklich nicht stellvertretend für sein Werk stehen, sondern nur eine amüsante Fußnote sein sollten.
Die Sammlung „Ich muss schreien und habe keinen Mund“ ist noch immer ein ordentlicher Einstieg in dieses Werk und wer Spaß daran hat, sollte danach unbedingt weiterforschen. Es hat gute Gründe, warum meine Ausgaben von „Strange Wine“ oder „Deathbird Stories“ auseinanderfallen.
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